Das Mädchen stieß einen schrillen Schrei aus. Al sah ihr Gesicht von ihm fortschnellen. Es klatschte häßlich, als Katja mit dem Rücken voran in den zähen Brei schlug. Sie streckte ihm die Hände entgegen, aber sie war hilflos, langsam, aber mit bestürzendem Gleichmaß sank sie tiefer.
Al kletterte wieder hinunter, auch René hatte gemerkt, was geschehen war – vergeblich angelte er nach Katjas Händen –, und sogar Don verließ seinen sicheren Standplatz, um zu helfen. Weit beugte sich Al vor, René, der einsah, daß er allein nichts ausrichten konnte, hielt ihn am Kragen fest… noch ein Stück tiefer… Katja ruderte mit den Armen, berührte die blasige Masse – wie angefroren saß der rechte Arm fest. Bisher hatte sie leise gewimmert, jetzt drang kein Laut mehr zwischen ihren Lippen hervor. Als wäre die letzte Kraft verronnen, sank nun auch der linke Arm zur sachte wogenden Oberfläche hinab. Al sah es, er ließ sich nach vorn fallen, soweit es die eisern zupackende Hand Renés zuließ, und erwischte ihre Fingerspitzen. Er legte alle Energie in seine Muskeln und zog… Kats Körper hob sich ein wenig aus den trägen Massen… Al griff mit der zweiten Hand zu… Er merkte es gleich: Das Schwerste war überstanden. Er mußte sich noch immer sehr anstrengen, aber jetzt war ihm Katja nicht mehr zu entreißen.
Das, was sie da mit vereinter Kraft über das Gerüst heraufzerrten, war ein unförmiger kugeliger Klumpen, an einem Löffel haftendem grüngelbem Honig ähnlich. Katja steckte darin eingepuppt wie eine Insektenlarve. Nur Gesicht, linker Arm und Brust waren noch frei. Obwohl ihre Nase nicht unter die Flüssigkeit gekommen und somit der Atem nicht unterbunden gewesen war, atmete sie nicht. Sie bewegte sich auch nicht – ihre Augen waren halb geöffnet, starr und blicklos. Al und Don legten sie auf das Gesims, ein zähflüssiges Oval breitete sich um sie herum aus. Auch an sich selbst spürten sie das klebrige Zeug. Bei jedem Schritt hatten sie zu kämpfen, bevor sie die Sohlen lösen konnten.
Don starrte auf Katja.
»Pfui Teufel«, sagte er, »das haben wir nötig gehabt. Sie hat aufgegeben.«
Das Gesims lief um das ganze Gebäude herum. Zu dritt entfernten sie sich aus der unangenehmen Nähe des gedunsenen Klebstoffs. Den Körper Kats hatten sie liegen lassen – ein Stück kompliziert zusammengesetzter Materie, das jetzt wertlos geworden war.
Die Straße auf der gegenüberliegenden Seite war noch frei. Sie fanden ein Gerüst, das ebenso an die Wand gebaut war wie jenes, über das sie heraufgekommen waren, und sie kletterten daran zum Boden hinab.
Zwischen stampfenden Maschinen hindurch, unter Rauchpilzen und absinkendem Staub, gejagt von durch die Straßen peitschenden Entladungen, bedroht von stürzenden Masten und Gerüsten, näherten sie sich dem Zentrum. Mit größtem Unbehagen bewegten sie sich an den porzellanweißen, birnenförmigen Körpern vorbei, aus denen jetzt Striche weißglühender Luft senkrecht nach oben wuchsen.
Dann drangen sie in die Gänge des Hügels, und das Lärmen der Maschinen schmolz zu einem unbestimmten Rauschen zusammen. Die Dämmerung war wie ein Grab, alles, was sich außen befand, erschien entfernt und nebensächlich. Sie taten, was sie sich vorgenommen hatten, sie suchten Jak und Heiko, aber als Triebfeder wirkte nicht mehr die situationsbedingte Notwendigkeit, sondern nur noch ein Pflichtgefühl sich selbst gegenüber.
Ohne zu wissen, wie lange sie schon durch die Gänge geirrt waren, entdeckten sie schließlich ihre beiden Widersacher. Sie standen in einem kanzelartigen Raum, weit oben unter dem Scheitel des Hügels, einem Raum, der ebenso der Steuerung gewidmet zu sein schien wie das tiefer gelegene System, nur waren hier die Wirkungen, auf die sie gerichtet war, unschwer zu erkennen. Ein ringsherum laufendes Glasfenster gab Übersicht über die ganze Stadt. Und wenn Jak oder Heiko einen Hebel herumrissen oder einen Knopf drückten, dann fiel unten irgendwo ein Gebäude auseinander, Flammen schlugen auf, Geschosse rasten hoch, Maschinen explodierten, oder etwas Ähnliches geschah. Sie betrieben es als aufregendes Spieclass="underline" Betätige einen Schalter und laß dich davon überraschen, was passiert.
»He«, rief Al von der Tür her, »ihr seid die reinsten Vandalen!«
Die beiden drehten sich um. Heiko winkte ihnen.
»Ah, da seid ihr ja! Wir haben euch anmarschieren sehen! Wo habt ihr denn heute eure Schreckpistolen?«
»Warum zerstört ihr denn die ganze Stadt?« fragte Al. »Was soll das für einen Zweck haben?«
»Keinen«, lachte Jak. »Aber es ist wahnsinnig komisch! Schau doch!« Er drückte einen Schalter herum, und unten öffnete sich ein Tor, eine Rakete schoß heraus und bog in steiler Kurve nach oben.
»Nicht so eilig«, rief Heiko. Er trat neben Jak und drückte einen anderen Hebel hinunter, den er dann, wie es auch Jak mit seinem Hebel tat, wie einen Steuerknüppel eines Sportflugzeuges hin und her rückte. Unten pfeilte eine zweite Rakete aus dem Silber, den Reflexen und dem Rauch heraus und raste auf die erste zu. Mit einer jähen Wendung wich diese aus, die zweite drehte um, flog wieder an…Jak riß seine Rakete in einem Kreis herum und ließ sie in die andere hineinstürzen. Ein Schwarm von glühenden Trümmern senkte sich auf die Erde nieder.
»Was sagt ihr nun?« fragte Jak. »Kommt, versucht es doch selbst!«
Don schien nicht abgeneigt, aber er bezwang sich und fragte:
»Wie weit seid ihr? Habt ihr das Ziel erreicht?«
Jak setzte sich auf einen Schalttisch.
»Wir sind fast soweit«, sagte er. »Nur noch eine Kleinigkeit fehlt.«
Don blickte überlegen von einem zum anderen.
»Jak«, sagte er dann. »Du hast schon zwei Mann verloren. Du bist in der Minderzahl. Ich habe dir einen Vorschlag zu machen: Nimm mich in deine Gruppe auf! Ich mach’ bei dir weiter. Sozusagen im Austausch gegen René.«
Jak zog die Luft zischend durch die Nase ein. »Ho, ho, du gehst ja scharf ran!« Er überlegte kurz. »Aber du bist gar nicht so dumm. Mir soll es recht sein.«
Don gewann wieder etwas Selbstsicherheit. Er wandte sich an Al und René: »Habt ihr gehört? Am besten, ihr verschwindet jetzt von hier. Ihr seid viel zu weich. Durch eure Flausen habt ihr alle meine Aktionen vermasselt.«
Al maß ihn von oben bis unten und drehte sich dann verächtlich von ihm weg zu Jak.
»Da habt ihr euch was Feines eingehandelt! Ich wünsche euch viel Freude mit ihm.« Er wechselte einige leise Worte mit René. »Paß auf, Jak!« sagte er dann. »René und ich, wir geben auf. Wir überlassen dir den Sieg. Wir stellen dir nur eine Bedingung: Du mußt uns alles mitteilen, was ihr bisher entdeckt habt!«
Jak zog erstaunt die Augenbrauen hoch.
»Wenn wir also doch noch feststellen, wie sie ausgesehen haben, und das Bild im Museum ausstellen, dann wird es nach uns benannt?«
»Ja«, bestätigte Al. »Wir haben kein Interesse daran.«
Jak sprang vom Tisch und schüttelte Als Hand.
»Abgemacht.«
»Jetzt erzähl!« forderte Al.
»Kommt mit!« sagte Jak.
Sie gingen zurück in die Gänge, durch mehrere Dome – die Stiegenhäuser mit den abwärts führenden Wendelwegen. Wo sich Gelegenheit dazu bot, wandten sie sich hinunter. Inzwischen berichtete Jak.
»Es ist nicht viel zu sagen«, meinte er. »Unser erstes Lager liegt drüben im Westen, am Berghang. Das war ja ausgemacht. Wir sind dann losgezogen, haben uns zuerst die modernen und dann die alten Häuser angesehen und sind zuletzt an der Mauer angekommen. Wir gingen daran entlang, bis wir die Brücke fanden. Das war die erste Enttäuschung – ihr habt ja gesehen, was mit ihr los ist. Dann fanden wir den Waffensaal, und ich kam auf die Idee, euch die Suppe ein bißchen zu versalzen – es war ja anzunehmen, daß ihr auch auf die Brücke kommen würdet. Wart ihr sehr überrascht?«