Выбрать главу

Al fragte noch immer fassungslos: »Warum eigentlich?«

»Wegen eurer Verbrechen selbstverständlich.« Wieder klang der Tonfall erstaunt. »Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, Zerstörung fremden Eigentums, illegale Einreise, Hantierung mit Feuerwaffen, Schmuggel, grober Unfug, Verletzung des Gesetzes zum Schutz gegen die radioaktive Verseuchung, vor allem aber schwere Körperverletzung in hundertzwanzig Fällen, Mord in zweiundvierzig Fällen oder vielleicht auch nur Totschlag. Das muß noch geklärt werden. Dazu kommen…«

»Halt«, schrie René. »Das ist ja gräßlich. Wie kommt ihr dazu…«

Al unterbrach ihn.

»René, ich fürchte, er hat recht. Das alles ist hier auf diesem Planeten geschehen. Wenn man nach irdischen Gesetzen urteilt…«

Er schwieg.

»Euch ist das Recht zuerkannt worden, nach euren Gesetzen abgeurteilt zu werden. Aber ich schlage vor, meine Herren, daß wir uns über die Anklage unterhalten.«

»Wieso kennt ihr unsere Sprache?«

»Wir haben alle eure sprachlichen Äußerungen samt den dazugehörigen Gebärden und Mikrogebärden aufgezeichnet und genau studiert. Das war der Grund, daß die Untersuchungshaft so lange gedauert hat. Ich glaube, wir beherrschen nun eure Sprache ganz gut. Leider haben sich seltsame Unstimmigkeiten in eurer Verhaltensweise ergeben, die wir noch klären wollen.«

»Hm. Und woher kennt ihr unsere Gesetze?«

»Wir kennen sie nur mangelhaft – eben nur so viel, wie sich aus euren Gesprächen ergeben hat. Wenn ihr das Recht, nach eurer Justiz behandelt zu werden, in Anspruch nehmen wollt, dann werdet ihr uns Genaueres mitteilen müssen. Es wird dann noch auf seinen logischen Gehalt geprüft – und dann kann die Verhandlung beginnen.«

Al blickte dem Automaten in alle sechzehn ihm zugewandten Augen.

»Wer garantiert uns, daß wir dir trauen können?«

»Ihr könnt meine Schaltung prüfen«, gab der Würfel zurück. Eine Reihe der außen liegenden Würfel verschob sich, eine andere aus dem Inneren rückte nach. Gespannt beugte sich René vor: Einige der inneren Würfel sahen anders aus als die äußeren. Sie waren vielfach unterteilt, die Seitenflächen trugen keine Augen, Membrane oder andere Organe mehr, sondern sie waren in winzige Quadrate geteilt, von denen einige wie die andern schwarz, andere aber weiß waren.

»Wenn du willst, zeige ich dir einzelne Schaltelemente vergrößert«, sagte der Automat. »Weiß bedeutet Leitung, schwarz bedeutet Sperre. Vielleicht begnügst du dich mit Stichproben. Sage mir, welches Auflösungsvermögen die Optik deiner Augen hat.«

»Ist schon in Ordnung«, murmelte René. Er schielte unsicher zu Al hinüber.

»An deiner Schaltung zweifeln wir nicht«, sagte Al. »Aber wir werden doch belauscht!« Er deutete auf die Lichtkreise in den Wänden ringsherum.

Der Automat bewegte sich. Die Reihe der Würfel aus dem Inneren zog sich an ihren alten Platz zurück, die Reihe der äußeren legte sich darüber, die glatte geometrische Gestalt war wiederhergestellt. Wieder erklang die verwischte und doch klare Stimme:

»Ich werde das gleich in Ordnung bringen.«

Fast im selben Moment erloschen alle Lichter an den Wänden. Nur noch jene des automatenhaften Besuchers glommen. Es sah aus, als ob er in der Leere schwebte, und der Eindruck war so beklemmend, daß René »Bitte das Licht wieder einschalten!« rief.

»Verzeihung«, sagte die Maschine. Die Lichtkreise schimmerten wieder auf. »Außer dem Licht ist alles abgeschaltet. Können wir jetzt beginnen?«

»Dürfen wir um Bedenkzeit bitten?« fragte Al.

»Ich bin in fünf Minuten wieder da«, antwortete der Automat und verschwand auf die hier übliche Fortbewegungsart durch die Wand.

»Jetzt wissen wir, woran wir sind«, sagte Al. »Dadurch hat sich eine ganze Menge auf vernünftige Weise geklärt.«

»Willst du dieses Theater mitmachen?« fragte René. »Glaubst du, daß du unter diesen Umständen noch ans Ziel kommst?«

Al schlug ihm auf die Schulter.

»Der Kontakt ist das Wichtigste. Jetzt ist er hergestellt. Zuerst können wir den Verteidiger aushorchen. Dann wird die Verhandlung sicher einiges Interessante ergeben. Und nachher… ich habe einen Plan. Paß auf: Wir lassen uns allen Ernstes in die Sache ein. Wir informieren uns genau über die Paragraphen, die üblichen Strafen und die Gerichtsordnung und teilen sie dem Verteidiger mit. Wir sagen ihm alles, was er wissen will, wahrheitsgetreu – bis auf eines: kein Wort über den Synchronstrahl und was damit zusammenhängt! Es ist unser Glück, daß wir – soviel ich mich erinnere – bisher nicht darüber gesprochen haben oder, falls wir es doch getan haben sollten, daß sie es nicht begriffen haben. Diese Chance nützen wir. Wahrscheinlich ist es unsere letzte.«

»Verrückt«, sagte René. »Aber ich mache mit.«

Pünktlich nach fünf Minuten setzte sich die Wand wieder in Bewegung, und der Verteidiger erschien.

»Habt ihr euch entschieden?«

»Ja«, sagte Al. »Wir stellen uns eurer Justiz. Wir danken euch dafür, daß ihr nach unseren Gesetzen Recht sprechen wollt. Und wir sind damit einverstanden, daß du uns verteidigst. Dazu noch eine Frage: Wie lange stehst du uns zur Verfügung?«

»Bis zum Ende der Verhandlung«, antwortete die Membranstimme.

»Und nachher nicht mehr?« fragte Al.

Prompt kam eine Gegenfrage: »Braucht ihr mich nachher noch?«

»Es könnte eine Berufungsverhandlung stattfinden. Oder es könnte sich später eine Änderung der Situation ergeben, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens nötig macht. Deshalb brauchen wir dich auch nachher noch.«

»Gut«, antwortete der Verteidiger. »Ich stehe euch so lange zur Verfügung, wie ihr mich braucht. Nur, fürchte ich, wird das nach dem Urteil kaum noch der Fall sein.«

Äußerlich ließ sich Al nichts anmerken, aber innerlich jubelte er. Den ersten Schachzug hatten sie gewonnen. Vorausgesetzt, er durfte sich auf die Rechtschaffenheit der Automaten verlassen. Und Automaten sind normalerweise verläßlich.

»Dann ist alles in Ordnung«, sagte er.

Der Verteidiger schwieg einige Sekunden, als wenn er sich sammeln müßte. Dann sagte er:

»Ich werde euch also verteidigen. Ich werde es ehrlich tun und alle meine Fähigkeiten daransetzen, euch zu entlasten – obwohl ich zugeben muß, daß es schlecht für euch steht. Von nun an gebe ich, außer mit eurem Einverständnis, keine eurer Informationen mehr weiter. Ihr könnt mir vertrauen. Sagt mir alles, was ihr wißt. Je mehr ich über euch erfahre, um so besser kann ich euch helfen. Und nun fangen wir an!«

Ihre Unterhaltung dauerte, von einigen Unterbrechungen abgesehen, hundertelf Stunden. Dann waren sie zur Verhandlung bereit.

Die Verhandlung

Reg.-Nr. 730214240261

Betr.: akustische Dokumentation zu Reg.-Nr. 730214250397

Unter Anklage stehen:

Name: Alexander Beer-Weddington, genannt Al*

Registriernummer: 12-3-7-87608 m*

Heimatort: Lima (Erde)

Konjunktionsdatum: 17. 12.122071* Konjunktionsort: Lima*

Spezifikation: Reg.-Nr. 7 308 271 600 089

* nach eigenen Angaben (unbewiesen)

Name: René Jonte-Okomura*

Registriernummer: 12-3-6-61 524 m*

Heimatort: Montreal (Erde)*

Konjunktionsdatum: 9. 3.122069*

Konjunktionsort: Montreal*

Spezifikation: Reg.-Nr. 7 308 271600 090

* nach eigenen Angaben (unbewiesen)

Al und René sind innerhalb der Koordinaten 873 362-873 357/ 368 523-368 518/220 867-220 861 untergebracht. Sie werden nach ihrem eigenen Recht abgeurteilt unter der Reg.-Nr. 7 302 148 500 629; soweit es unter den bestehenden Gegebenheiten möglich ist. Allenfalls sind möglichst gering gehaltene Abweichungen zugelassen. Im Sinn dieser Regelung wurde je ein 64-Einheiten-Komplex als Vorsitzender, Ankläger und Verteidiger aus der Einheit gelöst, als Zeugen dienen in sinngemäßer Abwandlung die Rezeptions-, Speicher- und Wiedergabeorgane der Einheit, als Richter fungiert die Logistikanlage.