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Al hörte das leise Zischen und empfand den Geruch, der zuerst gar nicht unangenehm war. Dann aber trat neben den schwachen Dufteindruck ein leises Gefühl des Übelseins, und erst Sekunden danach vollzog sich fast schlagartig die Vereinigung beider Eindrücke: Der Geruch schlug mit einem Male ins Ekelerregende, Abstoßende, Unerträgliche um. In ihren Köpfen begann es dumpf zu hämmern, der Boden schwankte unter ihren Füßen, schwarze Schatten tanzten vor ihren Augen.

»Abschalten«, rief Al.

René war die ganze Zeit darauf gefaßt gewesen, rasch abschalten zu müssen, doch als er es jetzt tun wollte, war er von einer unerklärlichen Lähmung befangen. Er wußte ganz genau, daß er jede Empfindungsart nach Belieben unterbrechen konnte, so intensiv sie auch zu wirken schien. Er wußte ebensogut, daß ihm selbst dann, wenn er es zu tun vergaß oder verhindert war, es zu tun, nichts Körperliches passieren könnte. Ein Ansteigen der Empfindungsintensität über die Schmerzschwelle hinaus bis zur Ohmacht – das war das Ärgste, was ihm widerfahren konnte, und der dadurch ausgelöste seelische Schock; aber eben weil er das wußte, schwächte sich die Schockwirkung von selbst zu etwas Harmlosem. Er hatte es schon einige Male mitgemacht, das letzte Mal im Hof der alten Stadt, vor dem Tor, das zur Brücke führte – als er von einem Schuß Jaks zerrissen wurde. Aber das war fast unmerklich schnell gegangen.

Und jetzt? Zum erstenmal verlor er den Boden unter den Füßen, und das Auffangnetz seines Sicherheitsbewußtseins, das bisher als letzter Schutz alle Abenteuer in unbedingter Gefahrlosigkeit hatte verlaufen lassen, schien ihm lückenhaft und schwach. Er wagte auf einmal nicht mehr zu glauben, daß sich jene hochüberlegene Intelligenz, mit der sie sich eingelassen hatten, einfach betrügen ließ, und die Furcht, trotz aller Vorkehrungen und Schutzmaßnahmen, vor allem trotz der unvorstellbaren Entfernung, die zwischen diesem Planeten und der Erde lag, auf eine unmerkliche Weise überlistet worden zu sein, verdichtete sich in ihm plötzlich zur Gewißheit. Die Woge von Übelkeit, Ersticken und Todesangst überflutete ihn, ohne daß er sich wehrte. Kraftlos sank er seitlich gegen die leuchtende Wand. Sein Bewußtsein war erloschen, doch sein Körper bäumte sich gegen das, was Illusion und Wahrheit zugleich war, verzweifelt auf.

Al war längst nicht so selbstbewußt, wie er es sich und dem Gefährten vorzuspielen versucht hatte, doch war es ihm gelungen, Geruch, Geschmack und Schmerz rechtzeitig abzuschalten, obwohl die Exekution so überraschend angefangen hatte. So vertrieb er augenblicklich Übelkeit, Schwindel und Schmerz, gewann aber dafür jene eigene Ruhe, die für die Qual anderer so empfindlich macht. In dem engen Raum mit dem Gefährten eingeschlossen, hatte er keine Möglichkeit, dem auszuweichen, was er sah, und er litt das Zucken, Winden und Verkrampfen, das Knirschen der Zähne und das wehe Lallen aus dem geifernden Mund mit, als wenn er es selbst erlebte. Er hatte auch bisher durchaus Achtung vor dem Leben und vor dem Tod gehabt, aber jetzt fühlte er zum erstenmal die Ungeheuerlichkeit, die hinter beiden steckt.

Um diese quälend langen Minuten nicht unnötig zu vermehren, ließ auch er sich auf den Boden fallen, und als sich der Körper Renés nicht mehr regte, lag auch er still.

Al wartete. Er wartete geduldig – auf das Erwachen Renés, aber auch auf die Ereignisse, die sich nun abspielen mußten. Zuerst hörte er, wie das Zischen leiser wurde und erlosch und wie es später wieder begann. Nach einer Weile schaltete er auf die niedrigste Stufe der Geruchsempfindung und konstatierte befriedigt, daß die Luft wieder atembar wurde. Er ließ noch einige Zeit verstreichen, dann regelte er Geruch, Geschmack und Schmerz wieder ein, ohne die sein Lebensgefühl nur unvollständig war. Sobald er bemerkte, daß René wieder zu atmen begann, setzte er sich auf, um ihm zu helfen. Es war ihm klar, daß die Verstellung, wenn überhaupt, dann nur kurze Zeit wirken würde.

Mit einem würgenden Seufzer öffnete René die Augen.

»Na, Alter, du kannst es wohl nicht echt genug bekommen?« fragte Al mit wohlwollendem Spott. »Warum hast du denn nicht abgeschaltet?«

René brauchte einige Zeit, bevor er sprechen konnte.

»Ich weiß nicht…«, sagte er heiser. »Ich konnte plötzlich… nichts mehr tun.«

»Mach dir nichts draus«, tröstete Al. »Wie fühlst du dich?«

»Leidlich«, antwortete René. »Was ist inzwischen geschehen?«

»Sie haben das Gas herausgesaugt und später frische Luft hineingepreßt – sonst nichts.«

René rang noch immer nach Atem.

»Was nun?« fragte er nach einer Weile.

»Ich will versuchen, mich mit ihnen zu verständigen«, sagte Al. Und dann rief er, obwohl ihm im selben Moment einfiel, daß er genausogut leise hätte sprechen können: »Hallo, ich rufe den Verteidiger!«

Unmittelbar danach vergrößerte sich der Raum wieder auf die alte würfelförmige Gestalt mit vier Meter Kantenlänge.

»Gott sei Dank«, flüsterte René, als sich die Decke hob und sie sich wieder aufrichten konnten.

Nun bewegten sich die Wände erneut, und das automatische Aggregat, das sich Verteidiger nannte, glitt herein.

»Ihr habt das Entgegenkommen des Gerichts mißbraucht«, klang es aus den Membranen. »Glaubt ihr wirklich, daß ihr euch so der Verantwortung entziehen könnt?«

»Wir haben bewiesen, daß wir euch in einigen entscheidenden Dingen überlegen sind«, sagte Al. »Hast du noch nicht begriffen, daß es unser freier Wille ist, daß wir noch immer in eurer Hand sind?«

»Dafür liegt kein Beweis vor. Ihr habt einen Trick angewendet.«

»Du meinst, wir hätten euch nicht richtig über die Körperfunktionen der Menschen auf der Erde informiert? Wir hätten euch eine von uns erfundene Strafordnung erzählt? Wir hätten eine Prozedur als Todesart angegeben, die den Menschen gar nicht schädlich ist?«

»Nein – das glaube ich nicht. Eure Angaben waren wahr. Ich habe sie mit dem Lügendetektor geprüft. Ich gebe zu, daß ich die Art eures Tricks nicht durchschaue.«

»Paß auf!« sagte Al. Er empfand fast ein Gefühl von Mitleid mit dem überlisteten Roboter. »Wir haben den ganzen Prozeß nur mitgemacht, weil wir euch unsere Überlegenheit, aber auch unsere Friedfertigkeit demonstrieren wollten. Doch von nun ab machen wir die Vorschläge. Es ist wahr, daß wir uns auf diesem Planeten einiges zuschulden kommen ließen. Wir sind bereit, uns eurem Urteil zu beugen und die Strafe – allerdings in sinnvoll umgewandelter Form – auf uns zu nehmen. Wir werden euch sogar mitteilen, auf welche Weise wir auf diesen Planeten gekommen sind, wenn auch ohne technische Einzelheiten; denn diese sind uns selbst nicht bekannt. Ihr werdet dann sehen, wie ihr uns wirklich von hier entfernen könnt, und ihr werdet dann verstehen, daß es von unserem guten Willen und unserem Einverständnis abhängt, ob euch das auf eine nachhaltige Weise gelingt. Zu alldem sind wir aber nicht bereit, ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Ihr habt uns vor Gericht gestellt, weil wir Menschen verletzt und getötet haben sollen. Wir sind hier bisher keinem einheimischen Lebewesen und erst recht keinem einheimischen Menschen begegnet. Es ist nur recht und billig, wenn wir fordern, die Menschen, die hier irgendwo stecken, zu sehen. Wir wollen alles erfahren, was mit ihnen zusammenhängt.

Unsere Überlegenheit ist so klar, daß wir euch unsere Art, den Weltraum zu durchqueren und beliebige Punkte in ihm zu erreichen, auch mitteilen, bevor wir eure Information erhalten.

Obwohl es eigentlich keinen anderen Ausweg für euch gibt, frage ich doch: Seid ihr einverstanden?«

Es war das erstemal, daß die Antwort nicht prompt kam. Eine halbe Minute verging, ehe die Stimme des Verteidigers erklang:

»Einverstanden.«

6

Al begann seine Erklärung: