Sie streute die Körner aus, und er begleitete sie, umringt von den gierigen Enten, zu einem Drahtkäfig im Schatten des Hauses. Sie öffnete den Verschlag, dessen Tür in rostigen Angeln durchdringend knarrte, stellte die Futterschüssel hinein und schlug das Gitter gerade rechtzeitig zu, um die Flucht eines großen Enterichs zu verhindern, der ihnen eilig und flügelschlagend auf seinen roten Schwimmfüßen entgegenkam.
»Warum ist er eingesperrt?« fragte Michael.
»Wir haben ihn eben erst bekommen, und seine Flügel sind noch nicht gestutzt. Das macht Harold, wenn er zurückkommt. Bitte, nehmen Sie Platz. Ich bin gleich wieder da.« Sie wandte sich zum Haus und er zum Liegestuhl, sorgfältig darauf bedacht, ihr nicht nachzusehen. Am Himmel waren indessen Wolken aufgestiegen. Während Michael sich setzte, grollte der erste Donner, dem das aufgeregte Geschnatter der Enten antwortete. Nach einer Weile kehrte Mrs. Elkins zurück und brachte zwar nicht die Listen, aber ein großes Tablett, auf dem Eis, Gläser und einige Flaschen standen.
»Nehmen Sie mir das ab, bitte, es ist schwer! « rief sie ihm zu. »Stellen Sie's nur auf den Rasen.«
Er nahm das Tablett und stellte es hin. »Das wäre nicht notwendig gewesen«, sagte er. »Ich komme unangemeldet, und Sie fühlen sich heute nicht wohl.«
»Nicht wohl?«
»Sie sind doch erkältet.«
»Ach so.« Sie lachte. »Nein, Rabbi, ich bin nicht erkältet. Ich hab Mr.
Kahners angelogen, weil ich zum Friseur gehen wollte.« Sie sah ihn an.
»Haben Sie jemals gelogen?«
»Ich denke doch.«
»Ich lüge oft.« Sie strich über ihr braunes Haar. »Gefällt es Ihnen?«
»Sehr«, sagte er wahrheitsgemäß.
»Ich hab bemerkt, daß Sie mein Haar angesehen haben. Ich meine neulich, als Sie zum erstenmal hier waren, und auch später, als ich in Ihr Büro kam. Ich hätte schwören können, daß Ihnen die frühere Farbe nicht gefallen hat.«
»Sie war sehr hübsch«, sagte er. »Jetzt lügen Sie, nicht wahr?«
»Ja«, sagte er und lächelte.
»Die Farbe ist besser, finden Sie nicht? Die gefällt Ihnen?« Und sie berührte seine Hand.
»Ja, sie ist besser. Wann kommt Mr. Elkins zurück?« fragte er und bemerkte zu spät, daß er in seinem Wunsch, das Thema zu wechseln, nicht gerade die glücklichste Wahl getroffen hatte. »Er bleibt noch ein paar Tage aus. Kann sein, daß er von New York noch nach Chicago fährt.« Sie begann die Flaschen zu öffnen. »Was darf ich Ihnen anbieten? Gin und Tonic?«
»Nein, danke«, sagte er rasch. »Nur irgend etwas Kaltes, wenn Sie so freundlich wären. Ginger Ale, wenn Sie das haben.«
Sie hatte es und goß ihm ein. Da es keine andere Sitzgelegenheit im Hof gab, machte sie es sich neben ihm auf dem Liegestuhl bequem.
Er trank sein Bier und sie ihren Whisky mit Eis, und dann stellte sie das Glas auf den Rasen und lächelte ihm zu. »Ich habe vorgehabt, Sie um einen Termin zu bitten«, sagte sie.
»Ja, worum handelt es sich?« fragte er.
»Ich möchte... Ihnen etwas erzählen. Etwas mit Ihnen besprechen. Ein Problem.«
»Möchten Sie es jetzt besprechen?«
Sie trank hastig den Rest des Whiskys aus und ging zum Tablett, um ihr Glas nochmals zu füllen. Statt dessen kehrte sie aber mit der Flasche zurück und stellte sie neben sich ins Gras. Dann streifte sie ihre Sandalen ab und nahm mit untergeschlagenen Beinen wieder neben Michael Platz; er merkte eine zarte Staubschicht auf den rotlackierten Zehennägeln, die nur ein paar Zoll von seinem Knie entfernt waren.
»Werden Sie Mr. Kahners sagen, daß ich gelogen hab?« fragte sie.
»Bitte, sagen Sie ihm nichts.«
»Sie sind niemandem Rechenschaft schuldig.«
»Es hat mir solche Freude gemacht, in Ihrer Nähe zu arbeiten.« Die Zehenspitzen berührten leicht und ohne Druck sein Knie. »Mr.
Kahners sagt, Sie seien eine der besten Maschinenschreiberinnen, die er je gesehen hat.«
»Sie glauben doch nicht, daß er überhaupt hingeschaut hat«, sagte sie.
Ein Stückchen Eis knirschte zwischen ihren Zähnen, während sie ihm ihr Glas hinhielt und Michael ein wenig alarmiert feststellte, daß es schon wieder leer war. Diesmal schenkte er sparsam ein und tat die zwei größten Eiswürfel ins Glas, die er finden konnte, um die Portion größer erscheinen zu lassen. Ich muß versuchen, hier herauszukommen, sagte er sich und war im Begriff, aufzustehen, als sie ihm abermals die Hand auf den Arm legte. »Es ist die Farbe, die es einmal hatte«, sagte sie, und er verstand, daß sie von ihrem Haar sprach. Er legte seine Hand auf die ihre, um sie sachte von seinem Arm zu schieben, aber die hatte sich plötzlich gewendet, die Innenfläche nach oben gekehrt, so daß nun Hand sich in Hand schmiegte und die Finger einander berührten.
»Mein Mann ist viel älter als ich«, sagte sie. »Wenn ein junges Mädchen einen alten Mann heiratet, macht es sich keinen Begriff von den Jahren, die ihr bevorstehen.«
»Mrs. Elkins«, sagte er, aber sie ließ seine Hand plötzlich los und lief zu dem Drahtkäfig. Die Tür knarrte beim Öffnen, und der Enterich schoß herbei, hielt aber dann offensichtlich verwirrt inne, als er entdeckte, daß die Tür nicht zugeschlagen, der Weg nicht versperrt wurde.
»Mach, daß du weiterkommst, du blödes Vieh«, sagte die Frau. Der Enterich tat einen leichten Sprung, stieß sich mit den großen roten Füßen ab, während seine Regenbogenschwingen sich schon zum Flug breiteten. Einen Herzschlag lang schwebte er über ihren Köpfen, war nichts als ein Glanz von weißem Bauch und langem schwarzem Schwanz, dann wurde der Flügelschlag lauter, und mit triumphierendem Schrei stieg er auf in einer Geschoßbahn, die ihn hinaustrug in die Wälder jenseits der Farm. »Warum haben Sie das getan?« fragte Michael.
»Weil ich möchte, daß alle Geschöpfe in dieser Welt frei sind.« Sie wandte sich ihm zu. »Alle. Er. Sie. Ich.« Sie hob die Arme und umschlang ihn, und er spürte ihren Körper nahe an seinem, spürte ihren Mund, der warm und erregend war, aber nach Kunsteis und Whisky schmeckte. Er versuchte, sich ihr zu entziehen, und sie fuhr fort, sich an ihn zu klammern, als wäre sie am Ertrinken. »Mrs. Elkins«, sagte er.
»Jean.«
»Jean - das hat doch mit Freiheit nichts zu tun.«
Sie rieb ihre Wange an seiner Brust. »Was soll ich nur machen mit dir?«
»Für den Anfang wär's ganz gut, den Whisky ein wenig einzuschränken.«
Einen Augenblick lang sah sie ihn an, während der Donner erneut ihnen zu Häupten grollte.
»Sie sind also nicht interessiert?« »Nicht auf diese Art«, sagte er. »Sie sind überhaupt nicht interessiert. Sind Sie denn kein Mann?«
»Ich bin ein Mann«, sagte er freundlich, jetzt schon zwei Schritte von ihr entfernt, so daß ihr Spott ihn nicht berühren konnte. Sie wandte sich herum und ging ins Haus, und diesmal blieb er stehen und sah ihr nach und bewunderte ihren noblen, unbekümmerten Gang, mit dem Gefühl, daß er sich durch seine Standhaftigkeit das Recht dazu erworben hätte. Dann griff er nach seiner Jacke und ging um das Haus herum zum Wagen. Als er die Wagentür öffnete, pfiff etwas über seinen Kopf, so knapp, daß er den Luftzug spüren konnte, und schlug dann ans Wagendach, wo es eine Kerbe hinterließ. Im Zubodenfallen hatte sich die Schachtel geöffnet, und einiges von ihrem Inhalt fiel heraus, aber zum Glück waren die meisten Karteikarten geordnet und stapelweise mit Gummischnürchen zusammengehalten. Einen Augenblick lang blendete ihn die Sonne, als er aufblickte, aber dann sah er die Frau an dem geöffneten Fenster im ersten Stock. »Geht's jetzt besser? Möchten Sie, daß ich Ihnen jemanden herausschicke, der bei Ihnen bleiben könnte?«
»Ich möchte, daß Sie sich zum Teufel scheren«, sagte sie sehr akzentuiert. Nachdem sie vom Fenster weggegangen war, kniete er hin, hob die Mitgliederlisten auf und verstaute sie wieder in der auf einer Seite aufgeplatzten Holzschachtel. Dann stieg er in den Wagen, startete und fuhr davon.