Schuldbewußt schlichen sie zu ihrem Wagen zurück. Michael suchte die dunklen Fenster des Hauses nach schlaflosen Spähern ab, und auf der Heimfahrt schmiegte sich Leslie eng an ihn. Als sie heimkamen, bestand Michael darauf, daß sie die Spuren ihres nächtlichen Abenteuers gründlich verwischten, bevor sie ins Haus gingen. Er war eben damit beschäftigt, die Kehrseite seiner Geliebten von den Resten von Laub und Zweigen zu säubern, und ihre Schuhe schauten noch aus seinen beiden Jackentaschen, als plötzlich das Licht über dem Eingang aufflammte und die verstörte Studentin ihnen mitteilte, sie hätte gefürchtet, es wären Einbrecher am Werk.
Zehn Tage später kam Leslie zu ihm, umfaßte ihn und sagte: »Meine Periode ist fort - unauffindbar.«
»Sie wird sich eben ein paar Tage verspäten. So was kommt vor.« »Bei mir nicht; pünktlich wie nur ein Yankee. Und ich fühl mich so kaputt, als hätte ich einen Vitaminstoß nötig.«
»Es wird eine Verkühlung sein«, sagte er zärtlich und betete wortlos.
Zwei Tage später verbrachte sie die frühen Morgenstunden im Badezimmer, mit heftigem Erbrechen beschäftigt.
Als dann die Urinprobe einen winzigen Laboratoriumsfrosch potent machte wie einen Stier im Frühling, buchte Dr. Reisman die endlich eingetretene Schwangerschaft triumphierend auf sein Konto. Sie ließen ihn bei seinem Glauben.
42
Sieben Wochen nachdem Kahners in die Stadt gekommen war wie ein fahrender Ritter, allerdings nur in schwarzem Buick statt auf weißem Hengst, packte der Herr von der Kapitalsbeschaffung seine Kisten, dirigierte drei Leute, sie aus dem Haus zu tragen, nahm einen Scheck über neuntausendzweihundertachtunddreißig Dollar entgegen und verschwand aus dem Leben der Gemeinde.
Die rote Marke auf dem Thermometer vor dem Tempel war zum höchsten Punkt gestiegen.
Zwölf Familien hatten ihre Mitgliedschaft zurückgelegt.
Dreihunderteinundfünfzig Gemeindemitglieder hatten Beiträge von fünfhundert Dollar bis hinauf zu Harold Elkins' fünfzigtausend gespendet.
Paolo Di Napoli kam aus Rom mit hübschen Pastellskizzen zurück, die den Einfluß Nervis ebenso zeigten wie den von Frank Lloyd Wright.
Das Baukomitee erklärte sich unverzüglich einverstanden.
Im Oktober polterten schwerfällige Maschinen den Hügel hinan, auf dem der Tempel errichtet werden sollte. Sie rissen die rote Erde auf und fällten zweihundertjährige Bäume, hoben alte Baumstümpfe aus ihren tiefen Verwurzelungen und räumten Felsblöcke weg, die sich nicht mehr geregt hatten, seit sie vom letzten großen Gletscher hier zurückgelassen worden waren. Zu Thanksgiving Day war der Boden schon hart gefroren, und es hatte zum erstenmal geschneit. Die Baumaschinen wurden zu Tal gefahren. Das dünne Weiß des frischen Schnees linderte die klaffende Wunde der Baugrube.
Eines Tages erschien der Rabbi mit einer eindrucksvollen Tafel, die den Leser darüber informierte, daß hier der neue Tempel Emeth erbaut werde. Michael hatte die Tafel selbst zusammengenagelt und gemalt. Aber der Boden war so hart gefroren, daß er sie nicht in die Erde rammen konnte, und so nahm er sie wieder mit und beschloß, bis zum Frühling zu warten.
Dennoch kehrte er oft zum Bauplatz zurück.
Er ließ seine Wasserstiefel im Gepäckraum des Wagens, und manchmal, wenn er das Bedürfnis hatte, ganz allein mit Gott zu sein, fuhr er bis zum Fuß des Hügels, zog die Gummistiefel an und stieg hinauf bis zum Gipfel. Dort saß er dann unter dem Felsen, auf dem Platz, wo er seine Frau geliebt hatte. Er betrachtete die gefrorene Ausschachtung und wiegte sich mit dem Wind. Es gab viele Spuren im Schnee, Kaninchenspuren und andere, die er nicht erkannte. Er hoffte, daß der Tempelbau die Tiere nicht verscheuchen werde. Immer nahm er sich vor, ihnen das nächstemal Futter mitzubringen, aber jedesmal vergaß er es. Er stellte sich eine heimliche Gemeinde von pelzigen oder gefiederten Wesen vor, die um ihn hockten und ihn mit im Dunkel glühenden Augen ansahen, während er ihnen das Wort Gottes predigte, eine Art jüdischer Franz von Assisi in Pennsylvania.
Der große Felsen trug nun einen Schneehöcker, der immer größer wurde, je länger der Winter währte. Mit dem Nahen des Frühlings schwand er dahin, und im selben Zeitraum wuchs Leslies Leib, bis schließlich der Schnee auf dem Felsen fast zur Gänze geschmolzen und ihr Leib prall war zum Bersten. Michael verfolgte beide Phänomene als ihr persönliches Wunder.
Sieben Tage nachdem der Schnee auf dem Felsen ganz verschwunden war, kehrten Maschinen und Mannschaft auf den Abhang zurück und nahmen die Arbeit am Tempel wieder auf. Die langwierige und mühsame Arbeit der Grundsteinlegung bedeutete für Michael eine wahre Folter des Wartens, verschärft durch die Erinnerung an die Enttäuschung, die Pater Campanelli in San Francisco beim Anblick seiner endlich vollendeten Kirche erlebt hatte. Doch konnte man von Anfang an sehen, daß hier ein schönes Bauwerk im Entstehen begriffen war und daß Michael keine Enttäuschung bevorstand.
Di Napoli hatte sich der herben Kraft des Betons bedient, um die Erinnerung an die harte Pracht der frühesten Tempel wachzurufen.
Die Wände des Heiligtums im Inneren waren aus porösen roten Ziegeln; um die bema liefen sie in ein Halbrund aus, das der Akustik förderlich war. »Sagen Sie Ihren Leuten, sie sollen die Wände abtasten, um ihre Textur zu spüren«, sagte der Architekt zu Michael.
»Diese Art Ziegel braucht die Berührung, um lebendig zu werden.«
Er hatte vergoldete Kupfernachbildungen der Gesetzestafeln entworfen, die über der Bundeslade aufgerichtet werden sollten, vom Ewigen Licht bestrahlt vor dem dunklen Hintergrund des Steins. Die Klassenzimmer der Hebräischen Schule im Oberstock waren mit warmen israelitischen Pastellen geschmückt, Räume in sanften, freundlichen Farben. Die Außenwände bestanden aus verschiebbaren Glasplatten, so daß Licht und Luft ungehindert eindringen konnten; nur ein Gitter aus schmalen Betonplatten schützte die Kinder vor dem Hinunterfallen und zugleich vor dem blendenden Sonnenlicht.
Ein nahe gelegener Bestand von hohen alten Föhren wurde zu einem Hain der Besinnung, und Di Napoli hatte auch eine ssuke vorgesehen, die hinter dem Tempel nicht weit von dem großen Felsen errichtet werden sollte.
Harold Elkins, der im Begriff stand, mit seiner nunmehr braunhaarigen Frau eine zweite Hochzeitsreise ans Mittelmeer zu unternehmen, teilte zuvor noch mit, er hätte einen Chagall erworben, der dem Tempel zugedacht sei.
Die Damen der Gemeinde schmiedeten bereits Pläne für eine Finanzierungskampagne in eigener Regie: sie wünschten sich eine Lipchitz-Bronze für den neuen Rasen.
Nach einem Minimum an höflichem Handeln wurde der alte Tempel für fünfundsiebzigtausend Dollar an die Knights of Columbus verkauft; Käufer wie Verkäufer waren von der Transaktion höchst befriedigt.
Der Verkauf hätte dem Baufonds einen Überschuß einbringen sollen, aber das Komitee sah sich der traurigen Tatsache gegenüber, daß zwischen den Beträgen, die dank Archibald S. Kahners' Tätigkeit gezeichnet worden waren, und jenen, die tatsächlich eingingen, beträchtliche Differenzen bestanden. Wiederholte Mahnungen zeitigten nur geringen Erfolg bei jenen, die nicht sofort bezahlt hatten.
Schließlich wandte sich Sommers an den Rabbiner. Er überreichte ihm eine Liste jener Familien, die ihre Spendenbeiträge nicht bezahlt oder überhaupt keine Spenden gezeichnet hatten. »Vielleicht könnten Sie diese Leute besuchen«, bemerkte er. Michael betrachtete die Liste, als gäbe sie ihm ein schwieriges Problem auf. Sie war ziemlich lang. »Ich bin Rabbiner, kein Wechseleintreiber«, sagte er schließlich.
»Gewiß, gewiß! Aber vielleicht könnten Sie das in Ihre Seelsorgebesuche einbauen, nur damit die Leute wissen, daß der Tempel sich ihrer Existenz erinnert. Ein diskreter Wink...«