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Lucerne Drive.« Er buchstabierte Lucerne. »Bei Aisner«, und er buchstabierte auch den Namen.

Michael notierte die Adresse. »Wo bist du dort, Pop? Ist das eine Pension? Ein Motel?«

»Eine Privatadresse. Ich bin da bei Freunden.« Abe zögerte einen Augenblick. »Wie geht's den Kindern? Und Leslie?«

»Danke, alles in Ordnung.« »Und dir? Wie geht's dir?« »Gut, Pop. Uns allen geht es gut. Und dir?« »Michael - ich bin im Begriff, zu heiraten.«

»Was hast du gesagt?« fragte Michael, obwohl die Nebengeräusche jetzt aufgehört hatten und er seinen Vater deutlich verstehen konnte. »Hast du heiraten gesagt?«

»Bist du bös?« fragte sein Vater. »Du denkst dir wohl, das ist glatt m'schuge - ein alter Mann wie ich?«

»Aber nein, ich finde es großartig. Wer ist sie denn?« Er war nicht nur erfreut, sondern auch erleichtert, obwohl ihm mit einem Anflug von Schuldgefühl einfiel, daß es vielleicht gar keine so großartige Sache sein könnte; schließlich wußte ja kein Mensch, mit was für einer Frau Abe sich da eingelassen hatte. »Wie heißt sie denn?«

»Ich hab dir doch schon gesagt, Aisner. Lillian mit dem Vornamen. Sie ist verwitwet, so wie ich. Verstehst du, sie ist die Frau, von der ich die Wohnung in Atlantic City gemietet habe. Na, was hältst du von dem Schachzug?«

»Schlau, sehr schlau! « Michael grinste; das ist ganz Vater, dachte er.

»Sie war mit Ted Aisner verheiratet - vielleicht kennst du den Namen?

Ein ganzes Dutzend jüdischer Bäckereien in Jersey hat ihm gehört.«

»Kenn ihn nicht«, sagte Michael.

»Ich hab ihn auch nicht gekannt. Er ist neunundfünfzig gestorben.

Sie ist eine süße Person, Michael. Ich glaube, sie wird dir gefallen.«

»Hauptsache, daß sie d i r gefällt. Wann wollt ihr denn heiraten ?«

»Wir haben uns vorgestellt, im März. Es hat ja keine Eile, über das Alter der Leidenschaften sind wir schließlich beide hinaus.« Aus der Art, in der Abe das sagte, erriet Michael, daß er etwas wiederholte, was Lillian Aisner gesagt haben mochte, vielleicht zu ihren eigenen Kindern.

»Hat sie Familie?«

»Ja, du wirst es nicht glauben«, sagte Abe, »sie hat einen Sohn, der Rabbiner ist. Allerdings orthodox. Er ist an einer schul in Albany, New York. Melvin, Rabbi Melvin Aisner.«

»Melvin Aisner... Kenn ich nicht.«

»Ich sag dir doch, er ist orthodox, deshalb habt ihr wahrscheinlich nie miteinander zu tun gehabt. Lillian sagt, er ist sehr angesehen unter den Kollegen. Ein netter Kerl. Sie hat noch einen zweiten Sohn, Phil, aber dem geh ich aus dem Weg, so gut ich kann. Sogar sie selber sagt, daß er ein schojte ist. Hat der nicht Auskünfte über mich einholen lassen, der Idiot! ? Ein Vermögen soll es ihn kosten!«

Michael wurde plötzlich traurig: der doppelte Stein aus behauenem Granit war ihm eingefallen, den sein Vater auf das Grab seiner Mutter hatte setzen lassen, ein Stein, auf dem Abes Name unter dem ihren eingraviert und nur das Todesdatum noch offengelassen war.

»Du kannst ihm nicht übelnehmen, daß er seine Mutter zu schützen versucht«, gab er zu bedenken. »Sag, ist sie da? Ich hätte ihr gern einiges erzählt über den Gigolo, den sie da kriegt. «

»Nein, sie ist grad einkaufen gegangen fürs Abendessen«, sagte Abe.

»Ich stell mir vor, wir werden so was wie Flitterwochen in Israel verbringen. Ruthie und ihre Familie besuchen.« »Möchtet ihr die Hochzeit nicht hier bei uns machen?« fragte Michael, ohne im Augenblick an seine eigenen Schwierigkeiten zu denken.

»Sie ist streng koscher. Sie würde in eurem Haus keinen Bissen anrühren.«

»Paß auf, sag ihr, ich werde über s i e Auskünfte einholen lassen.«

Abe lachte leise, und dieses Lachen, so ging es Michael durch den Sinn, klang jünger und unbekümmerter als seit vielen Jahren. »Du weißt, was ich dir wünsche«, sagte Michael.

»Ich weiß.« Abe räusperte sich. »Ich mach jetzt lieber Schluß, Michael. Der Phil, dieser schojte, soll nicht glauben, daß ich die Telephonrechnung seiner Mutter absichtlich hinauftreibe.« »Gib acht auf dich, Pop.«

»Du auch. Ist Leslie vielleicht da, ich hätte gern noch ihr maseltow gehört.«

»Nein, sie ist auch einkaufen gegangen.«

»Sag ihr alles Liebe von mir. Und den Kindern gib einen Kuß von ihrem sejde. Sie kriegen jedes einen Chanukka-Scheck von mir.« »Das solltest du nicht«, sagte Michael, aber die Verbindung war abgerissen.

Er legte den Hörer auf und blieb eine Weile sitzen, in Gedanken verloren. Abe Kind, der Überlebende. Das war die Lehre dieses Tages, das Erbe, vom Vater weitergegeben an den Sohn: wie man am Leben bleibt, wie man sich vorwärtsstürzt vom Heute ins Morgen.

Eine prächtige Lehre. Michael kannte Leute in Abe Kinds Alter und Lebensumständen, die nur mehr wie Schlafwandler lebten, in Stumpfheit versunken, die so sicher war wie der Tod. Sein Vater hatte sich für das schmerzhafte Leben entschieden, hatte statt des Doppelgrabes das Doppelbett gewählt. Michael goß sich noch eine Tasse Kaffee ein und überlegte dabei, wie Lillian aussehen mochte; während er die Tasse leerte, sann er darüber nach, ob wohl auch über Ted Aisners Grab ein Doppelstein prangte.

Um sieben Uhr dreißig fuhr er Rachel zur Woodrow-Wilson-Schule.

Sie verließ ihn auf dem Flur, und er nahm von einem ernsthaft blickenden jungen in langen Hosen ein Programm in Empfang und begab sich in den Festsaal. In der Reihe vor dem Mittelgang bemerkte er die allein sitzende Jean Mendelsohn. Er begrüßte sie und nahm neben ihr Platz.

»Oh, Rabbi, was machen denn Sie hier?« »Wahrscheinlich dasselbe wie Sie, wie geht's Jerry?« »Nicht so schlecht, wie ich gefürchtet habe.

Natürlich ist der Verlust des Beines schlimm. Aber all diese Geschichten, die ich gehört habe -daß man den fehlenden Körperteil immer noch spürt, als wär er vorhanden, daß man Krämpfe in den Zehen hat, die nicht mehr da sind, verstehen Sie ...«

»Ja.«

»Also, so ist es nicht. Zumindest nicht bei Jerry.« »Fein. Und wie ist seine Stimmung?«

»Könnt besser sein, könnt aber auch schlechter sein. Natürlich bin ich sehr viel bei ihm. Meine jüngere Schwester ist aus New York gekommen. Sie ist sechzehn und großartig mit den Kindern.«

»Spielt eines von Ihren Kindern hier mit?«

»Ja, meine Toby, der Teufel.« Sie schien etwas verlegen, und als er ins Programm sah, verstand er den Grund. Die Schule führte ihr alljährliches Weihnachtsspiel auf, eine Veranstaltung, von der er ursprünglich gehofft hatte, sie werde ihm erspart bleiben. In der letzten Zeile des Programms, als verantwortlich für die Requisiten, war Rachel namentlich genannt. »Meine Toby ist ein Weiser aus dem Morgenland«, sagte Jean verdrossen und schnell, um es hinter sich zu bringen. »Diese Kinder quälen einen doch entsetzlich. Sie hat gefragt, ob sie darf, und wir haben ihr gesagt, daß sie w e i ß, wie wir darüber denken, sie soll das selbst entscheiden.«

»Und so ist sie also ein Weiser aus dem Morgenland«, sagte Michael lächelnd.

Sie nickte. »In Rom versichern sie uns, daß wir nicht daran schuld sind, und in Woodborough ist meine Tochter ein Weiser an der Krippe.«

Der Saal hatte sich unterdessen gefüllt. Miss McTiernan, die Schulleiterin, betrat das Podium - eine eindrucksvolle Erscheinung mit üppigem Busen und stahlblauem Haar. »Es ist mir eine Freude, Sie im Namen der Schüler und Lehrer der Woodrow-Wilson-Schule bei unserem alljährlichen Weihnachtsspiel zu begrüßen. Wochenlang waren Ihre Kinder mit der Herstellung der Kostüme und mit den Proben beschäftigt. Das Krippenspiel ist seit langem eine Tradition dieser Schule, auf die alle Schüler stolz sind. Ich bin sicher, Sie werden unseren Stolz teilen, wenn Sie das Programm gesehen haben.« Sie setzte sich unter lautem Applaus, während die Kinder in ihren Kostümen durch den Mittelgang aufmarschierten: aufgeregte Schäfer mit langen Hirtenstäben, unsichere Weise aus dem Morgenland mit wuscheligen Bärten, kichernde Engel mit prächtigen Papiermachéflügeln an den Schultern. Nach den Schauspielern erschienen die Schüler der fünften und sechsten Klasse, die Burschen in dunklen Hosen und weißen Hemden, die Mädchen in Rock und Pullover. Rachel trug Notenblätter, die sie an die übrigen Kinder verteilte, sobald diese ihre Plätze eingenommen hatten; sie selbst stellte sich neben das Klavier.