Als Jacobson eines Abends im Hause ihres Onkels auftauchte und sie über seine Kaffeetasse hinweg anlächelte, wußte sie, daß sie mit jedem einverstanden sein würde, den er für sie hatte, wußte, daß sie es sich nicht leisten konnte, auf irgendeine Chance zu verzichten. Als sie hörte, daß der Mann ein Rabbiner sei, erbebte sie vor Hoffnung.
Sie hatte englische Romane über Geistliche und deren Frauen gelesen, und sie phantasierte von einem Leben in einem kleinen, aber sauberen englischen Pfarrhaus mit m'susess an den Türen. Als sie ihn dann sah, einen kleinen Knirps von einem Mann, bärtig und in komischen ungebügelten Kleidern, mit merkwürdigen weibischen Locken an den Ohren, mußte sie sich zwingen, freundlich mit ihm zu sprechen, und ihre Augen glänzten vor Tränen.
Trotz aller Vorsätze wurde sie zehn Tage vor der Hochzeit hysterisch und schrie, sie werde ihn nicht heiraten, wenn er sich nicht die Haare schneiden ließe wie ein Amerikaner. Max war entsetzt, aber er hatte wohl bemerkt, daß die amerikanischen Rabbiner, mit denen er zusammenkam, keine Schläfenlocken trugen. Resigniert suchte er einen Friseursalon auf und nahm es hin, daß der Italiener sich fast schief lachte, als er die pejess abschnitt, die Max sein Leben lang getragen hatte.
Ohne Schläfenlocken fühlte er sich nackt. Nachdem Leahs Onkel Lester ihn auch noch in ein Warenhaus geschleppt und ihm einen grauen zweireihigen Anzug mit eckig wattierten Schultern gekauft hatte, kam er sich vor wie ein leibhaftiger goj.
Als er aber neuerlich das Büro der Vereinigung Orthodoxer Rabbiner aufsuchte, verursachte sein Äußeres keinerlei unliebsames Aufsehen. Er sei zur guten Stunde gekommen, sagte man ihm. In Manhattan habe sich eine neue Gemeinde gebildet, deren Mitglieder die Vereinigung beauftragt hatten, einen Rabbiner für sie zu gewinnen. Shaarai Shomayim habe nur wenige Mitglieder und verfüge nur über einen gemieteten Raum, in dem der Gottesdienst stattfinden solle, aber die Gemeinde werde schon wachsen. So versicherten ihm die Rabbiner der Vereinigung, und Max war überglücklich. Er hatte sein erstes Rabbinat.
Sie mieteten eine Vier-Zimmer-Wohnung, nur zwei Straßen von der schul entfernt, und gaben einen großen Teil der Mitgift für Möbel aus. In diese Wohnung kamen sie am Abend nach ihrer Hochzeit. Sie waren beide müde von den Aufregungen des Tages und schwach vor Hunger, denn von Tante Ethel Masnicks Hochzeitshühnchen hatten sie nichts essen können. Max saß auf seinem neuen Sofa und spielte mit der Skala seines neuen Radios, während seine neu angetraute Frau sich im Nebenzimmer auszog und in ihr neues Bett stieg. Als er sich neben sie legte, war ihm bewußt, daß sein Scheitel gerade an ihr Ohr heranreichte, während seine kalten Zehen auf ihren bebenden Knöcheln lagen. Ihr Hymen war zäh wie Leder. Er bemühte sich aus Leibeskräften, murmelte hastige Gebete und fühlte sich eingeschüchtert, sowohl von dem Widerstand, dem er begegnete, als auch von den leisen Angst- und Schmerzensschreien seiner Braut. Endlich gelang es ihm, das Häutchen riß, und Leah schrie durchdringend auf. Als alles vorüber war, lag sie allein an der äußersten Kante des Bettes und weinte, weinte über den Schmerz und die Demütigung, aber auch über ihren seltsamen kleinen Gatten, der nackt über zwei Drittel des Bettes ausgestreckt lag und Triumphgesänge auf hebräisch sang, in einer Sprache, die sie nicht verstand.
Anfangs fühlte sich Max von allem bedrückt und bedroht. Die Straßen waren voll mit fremden Menschen, die einander stießen und drängten und es immer eilig hatten. Autos und Autobusse und Trolleybusse und Taxis hupten unablässig und erfüllten die Luft mit dem Gestank ihrer Abgase. Überall gab es Lärm und Schmutz. Und in seinem eigenen Haus, wo er hätte Frieden finden sollen, gab es eine Frau, die es ablehnte, jiddisch mit ihm zu sprechen, obwohl sie doch sein Weib war.
Er sprach nie anders als auf jiddisch zu ihr, und sie antwortete nie anders als auf englisch: es war ein Tauziehen. Erstaunlicherweise erwartete sie Gespräche während der Mahlzeiten und weinte, wenn er darauf bestand, beim Essen zu studieren. Eines Nachts kurz nach ihrer Hochzeit setzte er ihr freundlich auseinander, daß sie die Frau eines Rabbis sei, den Chassidim erzogen hätten. Und die Frau eines Chassid, so erklärte er ihr, müsse kochen und backen und nähen und die Wohnung sauberhalten und beten und licht benschn, statt dauernd zu reden, zu reden und zu reden über nichts und wieder nichts.
Tag für Tag ging er früh zur schul und blieb bis spät abends; dort fand er Frieden. Gott war derselbe, der Er in Polen gewesen war, die Gebete waren dieselben. Er konnte den ganzen Tag so sitzen und lernen und beten, ganz verloren an seine Betrachtung, während die Schatten des Tages länger wurden. Seine Gemeinde fand, er sei gelehrt, aber distanziert. Sie respektierten sein Wissen, aber sie liebten ihn nicht.
Nach fast zwei Jahren der Ehe packte Leah eines Nachmittags ihre Kleider in einen Koffer aus imitiertem Leder und teilte ihrem Mann schriftlich mit, daß sie ihn verlasse. Sie fuhr mit dem Bus nach Bayonne, New Jersey, bezog wieder ihr altes Zimmer bei den Masnicks und begann wieder, Onkel Lesters Bücher zu führen. Max stellte fest, daß er nach Leahs Weggang allmorgendlich eine halbe Stunde früher aufstehen mußte, um rechtzeitig zum kadisch in der schul zu sein. Um die Wohnung kümmerte er sich nicht. Staub häufte sich auf dem Fußboden, und der Spülstein war voll mit schmutzigem Geschirr.
Leah hatte nicht mehr an den Blut- und Federngeruch der Geflügelhandlung gedacht. Ihr Onkel hatte seine Verrechnung während ihrer Abwesenheit nur unordentlich geführt, und die Bücher waren voll hoffnungsloser Fehler; sie verursachten ihr Kopfschmerzen, wie sie nun wieder an ihrem alten Schreibtisch im Hinterstübchen des Geschäftes saß, inmitten des Gegackers der Hühner und des Krähens der Hähne, und sich damit plagte, die Bilanz in Ordnung zu bringen. Nachts konnte sie nicht schlafen.
Der seltsame bärtige Zwerg, den sie geheiratet hatte, war stark und rüstig gewesen, und zwei Jahre lang hatte er ihren Körper benützt, wann immer er dazu Lust gehabt hatte. Sie hatte geglaubt, sie würde sich frei fühlen ohne ihn. Jetzt aber lag sie wieder im Bett ihrer einstigen Jungfernschaft und entdeckte mit Staunen, daß ihre Hand sich im Einschlafen zwischen ihre Schenkel verirrte und daß sie erschreckend deutlich und eindeutig von dem kleinen Tyrannen träumte.
Eines Morgens, während ihre Finger geschäftig über die Tasten der Addiermaschine liefen und sie sich bemühte, den Geruch des Hühnermistes nicht zur Kenntnis zu nehmen, begann sie plötzlich zu erbrechen. Stundenlang fühlte sie sich elend. Am Nachmittag sagte ihr der Arzt, daß sie im dritten Monat schwanger sei. Als Max tags darauf spät aus der Synagoge nach Hause kam, fand er seine Frau in der Küche bei der Arbeit. Die Wohnung war aufgeräumt.
Auf dem Herd standen brodelnde und dampfende Töpfe, aus denen es verlockend duftete. Das Abendessen sei gleich fertig, sagte sie.
Sie werde darauf achten, ihn nachher nicht beim Studium zu stören, aber während des Essens gebe es keine Bücher mehr auf dem Tisch, oder sie würde sofort wieder nach Bayonne fahren.
Er nickte zufrieden. Wenigstens redete sie mit ihm, wie es sich für eine jüdische Frau gehörte: auf jiddisch.
Die Synagoge Shaarai Shomayim entwickelte sich zu keiner großen und einflußreichen Gemeinde. Max war kein Administrator, und er gehörte auch nicht zu jenen Rabbinern, die in der Synagoge eine soziale Einrichtung sehen. Shaarai Shomayim hatte keinen Männer-und keinen Frauenverein. Es gab keinen gemeinsamen Ausflug einmal im Jahr, keine Filmvorführungen. Familien, die solche Erwartungen gehegt hatten, waren schnell enttäuscht worden. Die meisten von ihnen wanderten mit ihrer Mitgliedschaft und ihren Jahresbeiträgen zu anderen Synagogen ab, die in den umliegenden Vierteln neu gegründet wurden. Bei Max verblieb schließlich eine Handvoll Männer, die nichts wollten als ihre Religion.