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Einer seiner Freunde, ein Bursche namens Maury Silverstein, trainierte für einen Platz in der Boxmannschaft von Queens College.

Eines Abends boxte Michael mit ihm in der Sporthalle. Maury war gebaut wie Tony Galento, aber er war kein wild drauflosgehender Bulle: seine Linke schoß vor und zog sich zurück, blitzschnell wie die Zunge einer Schlange, und seine Rechte schwang aus wie ein Hammer. Michael war mit ihm in den Ring gegangen, damit er sich an einem Gegner üben könne, der ihm an Körpergröße und Reichweite überlegen war.

Silverstein ging anfangs sehr behutsam mit Michael um, und zunächst war der Kampf ein Spaß. Dann aber geriet Maury in Begeisterung; das rhythmische Dröhnen der Schläge brachte ihn außer Rand und Band.

Plötzlich fühlte sich Michael von allen Seiten her angegriffen und getroffen von lederbewehrten Fäusten. Ein Schlag landete auf seinem Mund. Er hob die Fäuste und ging unter einem nächsten Schlag, der ihn ins Zwerchfell traf, krachend zu Boden. Keuchend saß er auf der Matte.

Silverstein stand vor ihm, sich auf den Ballen wiegend, verschleierten Blicks, die behandschuhten Fäuste noch immer erhoben. Allmählich nur wich der Schleier von seinen Augen, und die Hände sanken herab; verwundert sah er auf Michael nieder.

»Schönen Dank, Killer«, sagte Michael.

Silverstein kniete neben ihm und stammelte Entschuldigungen. Unter der Dusche fühlte Michael sich elend, aber später, als er sich im Umkleideraum frottierte und sein Gesicht im Spiegel sah, empfand er einen erregenden und seltsamen Stolz. Er hatte eine geschwollene Lippe und ein blutunterlaufenes linkes Auge. Maury bestand darauf, daß sie noch einen Keller unweit des Campus aufsuchten. Das Lokal hieß The Pig's Eye, und die Kellnerin war eine magere Rothaarige mit unwahrscheinlich wogendem Busen und etwas vorspringenden Zähnen.

Beim Servieren warf sie einen Blick auf Michaels zerschlagenes Gesicht und schüttelte den Kopf.

»Hab eben so einen Idioten verdroschen, der einer hübschen Kellnerin nahegetreten ist.«

»Schon gut«, sagte sie uninteressiert. »Er hätte dich gleich erschlagen sollen, du Schießbudenfigur. Dürfen denn Kellnerinnen gar kein Vergnügen haben?«

Als sie ihnen die zweite Runde Bier brachte, tauchte sie die Fingerspitze in den Schaum auf seinem Glas und berührte kühl und feucht die blutunterlaufene Stelle unter seinem Auge.

»Wann machst du hier Schluß?« fragte er.

» In zwanzig Minuten.« Sie starrten auf ihre wackelnden kleinen Hinterbacken, als sie sich entfernte.

Silverstein versuchte seine Erregung zu verbergen. »Hör zu«, sagte er,

»meine Leute sind zu Besuch bei meiner Schwester in Hartford. Die Wohnung steht leer, die ganze Wohnung. Vielleicht hat sie für mich auch ein Ferkel auf Lager.«

Sie hieß Lucille. Während Michael mit seiner Mutter telephonierte, um ihr zu sagen, daß er nicht nach Hause kommen werde, schleppte Lucille ein Mädchen für Maury herbei, eine kleine Blonde namens Stella. Sie hatte dicke Knöchel und kaute unablässig Kaugummi, aber Maury schien hoch befriedigt. Im Taxi, das sie zu Maurys Wohnung brachte, saßen die Mädchen ihnen auf den Knien, und Michael entdeckte eine kleine Warze auf Lucilles Nacken. Im Aufzug küßten sie einander, und als Lucille den Mund öffnete, spürte Michael Zwiebelgeschmack auf ihrer Zungenspitze.

Maury holte eine Flasche Scotch aus einem Wandschrank, und nach zwei Glas trennten sich die Paare. Maury ging mit seinem Mädchen in das elterliche Schlafzimmer, als solches kenntlich an dem großen Doppelbett, während sich Michael mit Lucille auf der Couch im Wohnzimmer einrichtete. Er bemerkte ein paar Mitesser auf ihrem Kinn. Lucille hob das Gesicht, seinen Kuß erwartend. Nach einer Weile knipste sie das Licht aus.

Aus dem Nebenzimmer hörte man Silversteins Keuchen und das Gekicher des Mädchens.

»Jetzt, Lucille?« rief Stella.

»Noch nicht«, gab Lucille etwas gereizt zur Antwort.

Er ertappte sich bei Gedanken an andere Frauen, an Edna Roth, an Mimi Steinmetz, selbst an Ellen Trowbridge. Während der ganzen folgenden Prozedur lag sie reglos, summte nur nasal vor sich hin. April in Paris, dachte er wirr, während er sich auf ihr abplagte. Als es vorüber war, blieben sie im Halbschlaf liegen, bis Lucille sich unter ihm hervorwand.

»Fertig! « rief sie fröhlich und ging nackt hinüber ins Schlafzimmer, das Stella im selben Augenblick verließ. Michael verstand plötzlich, daß die präzise Ausführung dieser Szene das Resultat langer, auf vielen ähnlichen Parties erworbener Übung war. Der Personenwechsel erregte ihn von neuem. Als aber die kleine, dickliche Stella zu ihm kam, berührte er eine teigige Haut, und was ihn einhüllte, war ein Geruch nicht nach Frau, sondern nach ungewaschenem Körper; plötzlich spürte er, daß er nicht mehr konnte.

»Wart einen Augenblick«, sagte er. Seine Kleider lagen hingeworfen auf dem Teppich am Fußende der Couch. Er hob sie auf und ging behutsam durch die dunkle Wohnung bis ins Vorzimmer; dort zog er sich eilig an und nahm sich nicht einmal mehr die Zeit, seine Schuhbänder zu knüpfen.

»Hey! « rief ihm das Mädchen nach, als er die Wohnung verließ. Er fuhr im Aufzug hinunter und kehrte dem Haus eilig den Rücken. Es war zwei Uhr morgens. Erst nach einem Fußmarsch von einer halben Stunde fand er ein Taxi und stieg ein, obwohl er da nur mehr zwei Straßen von seiner Wohnung entfernt war.

Zum Glück schliefen seine Eltern, als er nach Hause kam. Im Badezimmer putzte er sich ausführlich die Zähne und duschte sehr heiß und mit großem Seifenverbrauch.

Ihm war nicht nach Schlafen zumute. In Pyjama und Schlafrock schlich er aus der Wohnung und stieg leise wie ein Dieb die Dachstiege hinauf.

Auf Zehenspitzen, um die Waxmans nicht zu wecken, die die Mansarde bewohnten, betrat er das Dach und setzte sich hin, den Rücken an den Schornstein gelehnt.

Der Wind schmeckte nach Frühling. Der Himmel war übersät mit Sternen, und Michael lehnte den Kopf zurück und betrachtete sie, bis der Wind seine Augen tränen machte und die weißen Lichtpunkte vor seinem Blick zu kreisen und zu verschwimmen begannen. Das konnte nicht alles sein, dachte er. Maury hatte die Mädchen Ferkel genannt, aber wenn man es so betrachten wollte, dann hatten auch Maury und er sich wie Ferkel benommen. Er gelobte sich, daß es nie wieder Sex ohne Liebe für ihn geben sollte. Die Sterne waren ungewöhnlich hell. Er rauchte und beobachtete sie und versuchte sich vorzustellen, wie sie wohl aussahen ohne die Konkurrenz der Lichter einer Stadt. Was hielt sie dort oben, fragte er sich, und dann kam automatisch die Antwort: vage Erinnerungen an Masseanziehung, Schwerkraft, erstes und zweites Newtonsches Gesetz. Aber da gab es so viele tausende Sterne, ausgestreut über so unendliche Räume, und sie zogen so beständig ihre Bahn und bewegten sich so präzis wie Teile eines riesigen, großartig konstruierten Uhrwerks. Die Gesetze aus dem Lehrbuch reichten nicht aus, es mußte noch etwas geben, sonst, meinte Michael, wäre diese herrlich ineinandergreifende Vielfalt für ihn sinnlos und ohne Gefühl, wie Sex ohne Liebe. Er entzündete eine neue Zigarette an der abgerauchten und warf den noch glühenden Stummel über den Dachrand. Er fiel wie eine Sternschnuppe, aber Michael merkte es nicht.

Den Kopf zurückgeneigt, stand er da und sah auf zum Himmel und versuchte, etwas zu erkennen, fern, jenseits der Sterne.

Als er am Nachmittag dieses Tages die Shaarai-Shomayim-Syn a goge betrat, saß ein alter Mann bei Max Gross an dem mit Büchern bedeckten Tisch und sprach leise mit dem Rabbi. Michael setzte sich in einen der hölzernen Klappstühle in der letzten Reihe und wartete geduldig, bis der Alte sich mühsam und mit einem Seufzer erhob, die Schulter des Rabbi berührte und die schul verließ. Dann trat Michael an den Tisch. Rabbi Gross musterte ihn prüfend. »Nun?« sagte er. Michael sagte nichts. Der Rabbi sah ihn lange an. Dann nickte er befriedigt.