Выбрать главу

Aber sie hielt der Prüfung stand, ohne zu wanken. Die Hütte lag auf einer kleinen Anhöhe. Der Küchenschrank war wohlgefüllt, und Michael bereitete sich eine reichliche Mahlzeit; er beschloß sie mit drei Tassen starken, heißen Tees vor dem Kamin, in dem er ein mächtiges Feuer entfacht hatte. Beim Dunkelwerden zog er sich warm an und ging hinaus in den nahen Wald, um das sch'ma zu sagen. Die riesigen Bäume, die dem Ort seinen Namen gaben, rauschten und seufzten im Wind, das Raunen im Laubwerk stieg und fiel wie das Gebet alter Männer. Michael schritt unter den Bäumen dahin, betete laut und fühlte sich zu Hause.

In der Hütte fand er ein Halbdutzend neuer Maiskolbenpfeifen, in einer Schüssel verwahrt, und einen Rest feuchtgehaltenen Tabaks. Er saß vor dem Feuer, rauchte und hing seinen Gedanken nach. Draußen frischte der Wind ein wenig auf. Michael fühlte sich wohlig warm und mit sich selbst in Frieden. Als er schläfrig wurde, dämpfte er das Feuer und schob das Bett nahe zum Kamin.

Irgend etwas weckte ihn kurz nach zwei Uhr morgens. Als er aus dem Fenster sah, wußte er sofort, was es gewesen war. Es schneite leicht, aber gleichmäßig. Er wußte, daß innerhalb von Minuten dichtes Schneetreiben einsetzen konnte. Stöhnend streckte er sich nochmals im Bett aus. Einen Augenblick lang war er versucht, die Augen zu schließen und wieder einzuschlafen. Würde er eingeschneit, dann könnte er sich drei oder vier Tage lang ausruhen, bis der Schnee wieder geschmolzen wäre. Die Aussicht war verführerisch; zu essen gab es genug in der Hütte, und er war müde.

Aber er wußte, daß er für die Leute, die er aufsuchte, eine vertraute Gestalt werden mußte, wenn er im Bergland mit Erfolg arbeiten wollte.

Er zwang sich, das warme Bett zu verlassen und schnell in die Kleider zu schlüpfen.

Als er zur Brücke kam, war sie schon dünn mit Schnee bedeckt. Den Atem anhaltend und wortlos betend, fuhr er den Wagen langsam hinauf.

Die Räder griffen; in wenigen Augenblicken war er drüben.

Nach zwanzig Minuten kam er an eine Hütte, deren Fenster erleuchtet waren. Der Mann, der ihm öffnete, war dunkel und mager, sein Haar schon schütter. Ohne ein Zeichen der Bewegung hörte er an, was Michael zu sagen hatte: daß er im Schnee nicht weiterfahren wolle; dann öffnete er die Tür weit und führte den Gast ins Haus. Indessen war es drei Uhr morgens geworden, aber in der Stube brannten noch drei Laternen, im Kamin loderte ein Feuer, und davor saßen ein Mann, eine Frau und zwei Kinder. Michael hatte auf ein Bett gehofft, aber sie boten ihm einen Stuhl an. Der Mann, der ihm geöffnet hatte, stellte sich als Tom Hendrickson vor. Die Frau war mit ihm verheiratet, das kleine Mädchen war Ella, ihre Tochter. Die beiden andern waren Toms Bruder Clive und dessen Sohn Bruce. »Und das ist Mr. Robby Kind«, sagte Hendrickson zu seiner Familie.

»Nein, Rabbi Kind«, berichtigte Michael. »Mein Vorname ist Michael.

Ich bin Rabbiner.«

Sie starrten ihn an. »Was ist das?« fragte Bruce.

Michael lächelte den Erwachsenen zu, während er dem Jungen sagte:

»Das ist mein Beruf, damit verdiene ich mein Geld.«

Sie lehnten sich wieder in ihre Stühle zurück. Tom Hendrickson warf von Zeit zu Zeit ein Kiefernscheit ins Feuer. Michael schaute verstohlen auf seine Uhr und fragte sich, was hier vorgehe. »Wir wachen für unsere Mutter«, sagte Hendrickson.

Clive Hendrickson nahm Geige und Bogen wieder auf, die er neben seinem Stuhl auf den Boden gelegt hatte, lehnte sich zurück, schloß die Augen und begann leise zu fiedeln, während sein Fuß den Takt gab. Bruce schnitzte an einem weichen Stück Föhrenholz, die Späne ringelten sich unter seinem Messer, fielen nieder ins Feuer. Die Frau lehrte ihre Tochter ein Strickmuster. Sie beugten sich über ihre Nadeln und sprachen im Flüsterton. Tom Hendrickson starrte ins Feuer.

Michael fühlte sich mit ihnen einsamer als zuvor allein im Wald. Er holte eine kleine Bibel aus der Tasche seiner Jacke und begann zu lesen.

»Mister.«

Tom Hendrickson betrachtete aufmerksam die Bibel. »Sind Sie ein Prediger?«

Das Geigen, das Schnitzen und das Stricken hörten auf: fünf Augenpaare starrten Michael an.

Jetzt wurde ihm klar, daß sie nicht wußten, was ein Rabbiner ist.

»Man kann es so nennen«, sagte er. »So eine Art Prediger des Alten Testaments.«

Tom Hendrickson griff nach einer der Laternen und lud den verwunderten Michael mit einer Kopfbewegung ein, ihm zu folgen.

In dem kleinen Hinterzimmer verstand Michael plötzlich, warum die Leute im Haus wachten. Die alte Frau war groß und mager wie ihre Söhne. Ihr Haar war weiß, sorgfältig gekämmt und zu einem Knoten geflochten. Die Augen waren geschlossen, das Gesicht friedlich, zumindest jetzt, im Tod.

„Mein aufrichtiges Beileid«, sagte Michael.

»Sie hat ein gutes Leben gehabt«, sagte Hendrickson mit klarer Stimme. »Sie war eine gute Mutter. Sie ist achtundsiebzig Jahre alt geworden. Das ist eine lange Zeit.« Er sah Michael an. »Die Sache ist die, wir müssen sie begraben. Es ist jetzt zwei Tage her. Der Prediger, den wir hier hatten, ist vor ein paar Monaten gestorben.

Clive und ich haben daran gedacht, sie morgen früh ins Tal zu führen. Sie wollte hier begraben werden. Ich wäre froh, wenn Sie sie einsegnen könnten.«

Michael spürte das Verlangen, zu lachen, und gleichzeitig zu weinen -

und natürlich tat er weder das eine noch das andere. Er sagte nur sehr sachlich: »Sie wissen, daß ich Rabbiner bin. Jüdischer Rabbiner.«

»Die Sekte spielt keine Rolle. Sind Sie Prediger? Ein Mann Gottes?«

»Ja.«

»Dann wären wir Ihnen dankbar für Ihre Hilfe, Mister«, sagte Hendrickson.

»Es ist mir eine Ehre«, erwiderte Michael hilflos. Dann kehrten sie ins Wohnzimmer zurück.

»Clive, du verstehst dich auf die Tischlerei. Im Schuppen findest du alles, was du für einen Sarg brauchst. Ich geh inzwischen hinunter zum Begräbnisplatz. « Hendrickson wandte sich an Michael.

»Brauchen Sie irgendwas Besonderes?«

»Nur ein paar Bücher und Gegenstände aus meinem Wagen.«

Michael fühlte sich keineswegs so zuversichtlich, wie er sprach. Er hatte bis jetzt bei zwei - natürlich jüdischen - Begräbnissen assistiert.

Jetzt sollte er zum erstenmal die Rolle des Geistlichen übernehmen, der die Zeremonie zu leiten hatte.

Er ging zum Wagen, holte seine Tasche heraus und saß dann wieder vor dem Feuer, diesmal allein. Bruce half seinem Vater, den Sarg zu zimmern. Ella und ihre Mutter rührten in der Küche einen Kuchen für das Leichenfrühstück. Michael durchforschte seine Bücher nach passenden Texten.

Von draußen drang der gedämpfte Schlag eines Werkzeugs auf gefrorene Erde herein.

Michael las lange in der Bibel, ohne zu einem Entschluß zu kommen.

Dann schloß er das Buch, zog Jacke und Stiefel an, setzte seine Kappe auf und trat ins Freie, wie gelenkt vom Geräusch des Grabens. Er folgte dem Laut, bis er den Schein von Hendricksons Laterne sah.

Der Mann hielt in seiner Arbeit inne. »Brauchen Sie etwas?« »Ich will Ihnen helfen. Als Tischler bin ich wohl nicht viel wert, aber graben kann ich.«

»Nein, Sir. Nicht notwendig.« Doch als ihm Michael die Spitzhacke aus den Händen nahm, überließ er sie ihm.

Hendrickson hatte den Schnee und die oberste gefrorene Erdschicht schon abgegraben. Der tiefer gelegene Boden war weich, aber steinig.

Michael keuchte beim Lockern eines großen Steines.

»Schieferboden«, sagte Hendrickson gelassen. »Voll Kiesel. Bei uns gibt's mehr Steine als Frucht.«

Es hatte zu schneien aufgehört, aber die Nacht war mondlos. Die Laterne flackerte, doch sie verlosch nicht.

Schon nach wenigen Minuten war Michael außer Atem. Rücken und Armmuskeln schmerzten. »Ich habe vergessen, Sie zu fragen«, sagte er, »welche Religion Ihre Mutter hatte?« Hendrickson stieg in die Grube und löste ihn ab. »Sie war Methodistin, gottesfürchtig, aber vom Kirchengehen hielt sie nicht viel. Mein Vater ist baptistisch erzogen worden, aber ich kann mich kaum erinnern, daß er in die Kirche gegangen ist.« Er wies mit der Schaufel auf ein Grab nahe der Grube, die sie aushoben. »Dort drüben liegt er. Schon seit sieben Jahren.« Eine Weile gruben sie schweigend weiter. Eine Krähe krächzte, und Hendrickson richtete sich auf und schüttelte enttäuscht den Kopf. »Das ist ein Regenvogel. Wird ein nasser Morgen. Nichts ist mir so zuwider wie ein verregnetes Begräbnis.«