Выбрать главу

»Na, dann versuchen Sie's.« Er reichte ihr die Angelrute. Gebannt schaute sie ins Wasser.

»Kind ist ein merkwürdiger Name für einen Rabbiner, oder nicht?«

sagte sie nach einer Weile.

Er schien nicht ganz zu verstehen. »Klingt nicht sehr jüdisch, meine ich.«

»Wir haben ursprünglich Rivkind geheißen. Mein Vater ließ den Namen ändern, als ich noch ein Kind war.«

»Ich bin für Originalfassungen. Rivkind gefällt mir besser.«

»Mir auch.«

»Warum lassen Sie ihn nicht wieder ändern?«

»Ich bin daran gewöhnt. Es wäre genauso dumm von mir, den Namen ändern zu lassen, wie es dumm war von meinem Vater. Oder nicht?«

Sie lächelte. »Doch, ich verstehe schon.« Etwa sechzig Zentimeter der treibenden Leine tauchten plötzlich unter, und sie legte die Hand auf seinen Arm. Aber es war blinder Alarm, nichts weiter geschah.

»Es muß sehr unangenehm sein, Jude zu sein; viel schlimmer als Vegetarier«, sagte sie. »Mit all der Verfolgung und dem Wissen um die Todeslager und die Krematorien und all das.«

»Ja, sicher ist es unangenehm - wenn man selbst im Krematorium oder im Konzentrationslager ist«, sagte er. »Aber draußen, überall sonst, kann es wunderbar sein; da wird's nur unangenehm, wenn man es unangenehm sein läßt -wenn man zum Beispiel duldet, daß Leute einen guten Tag mit Gerede kaputtmachen, statt daß sie sich darauf konzentrieren, ihren schönen, aber hungrigen und knurrenden Bauch zu füllen.«

»Mein Bauch knurrt nicht.«

»Ich hab es ganz deutlich gehört - er knurrt fast wie ein Tier.« »Ich mag Sie gern«, sagte sie.

»Ich mag Sie auch gern. Ich habe so viel Vertrauen zu Ihnen, daß ich mich jetzt ein wenig schlafen lege.« Er streckte sich auf der Decke aus und schloß die Augen, und erstaunlicherweise schlief er wirklich ein, obwohl er das keineswegs beabsichtigt hatte. Als er erwachte, hatte er keine Ahnung, wie lang er geschlafen hatte; aber das Mädchen saß noch immer in derselben Haltung neben ihm, als hätte sie sich überhaupt nicht geregt; nur ihre Schuhe trug sie nicht mehr. Die Füße waren wohlgeformt, nur an der rechten Ferse entdeckte er zwei kleine Stellen gelblich verhärteter Haut und an der kleinen Zehe ein winziges Hühnerauge. Sie wandte den Kopf und lächelte, als sie bemerkte, daß er sie ansah - und in diesem Augenblick zog der Fisch an, und die Leinenwinde begann zu schwirren.

»Da«, sagte sie und wollte ihm die Rute reichen, aber er drückte sie ihr wieder in die Hand.

»Langsam bis zehn zählen«, flüsterte er. »Dann ein kräftiger Ruck, damit der Haken festsitzt.«

Sie zählte laut, ab vier von nervösem Lachen geschüttelt. Bei zehn riß sie die Angel kräftig hoch. Sie begann die Leine aufzuwinden, aber der Fisch kreuzte im Tümpel hin und her, kämpfte um sein Leben und kam nicht an die Oberfläche, bis Leslie in ihrer Aufregung die Angelrute hinwarf und die Leine Hand über Hand einholte. So brachte sie ihn schließlich aus dem Wasser; er war ein schöner Barsch, besser als der erste, dunkel und dick und an die vierzig Zentimeter lang. Der Fisch zappelte auf der Decke, schlug um sich und versuchte, in den Tümpel zurückzukommen. Sie mühten sich beide, ihn festzuhalten, und als sie sich mit ihm herumbalgten, legte Michael die Arme um Leslie, und ihre Hände waren in seinem Haar, und er spürte ihre Brüste deutlich und lebendig an seiner Brust und fast noch lebendiger den Fisch zwischen ihren Brüsten, und ihr Lachen sprudelte von ihrem Mund in seinen, als er sie küßte.

Er fürchtete, Leslie werde wütend über ihn sein, als er ihr Stan Goldsteins Jagdhütte auf der Anhöhe zeigte, aber beim Anblick all der Regale voll mit Konservendosen begann sie von neuem zu lachen. Er trug ihr auf, Bohnen zu wärmen, während er den Fisch zum Brunnen hinter dem Haus trug. Diesen Teil des Programms hatte er in seiner Planung vergessen gehabt. Außer einer unscheinbaren Barbe, die er vor vierzehn Tagen mit dem kleinen Bobby Lilienthal gefangen hatte, waren seine einzige Beute bis jetzt die Flundern gewesen, die er und sein Vater jedesmal triumphierend bei einem Fischverkäufer aus der Nachbarschaft gegen andere Nahrungsmittel eingetauscht hatten. Er hatte Phyllis Lilienthal zugesehen, wie sie aus dem Fang ihres Sohnes ein Abendessen bereitet hatte; jetzt, bewaffnet mit einer rostigen Schere, einer Zange und einem stumpfen Fleischermesser, versuchte er Schritt für Schritt zu rekonstruieren, wie sie es angestellt hatte.

Mit dem Messer führte er zwei tiefe, wenn auch unsichere Schnitte entlang der Rückengräte, die er dann mit der Zange herausriß. Während dieser Prozedur war Phyllis Lilienthals Fisch nochmals zu unerwartetem Leben erwacht und ihr fast aus den Händen gesprungen. Als Michael sich jetzt daran erinnerte, schmetterte er seinen Fisch mit dem Kopf gegen einen Felsen, mit so viel Nachdruck, als gelte es, einen Mann zu enthaupten; dennoch schauderte er noch immer beim Gedanken an die blutige Erweckung jenes anderen Fisches. Dann schnitt er mit der Schere den weißen Bauch vom After bis zum Maul auf. Mit der Zange zog er die Haut ab und wunderte sich, wie wenig Mühe es bedurfte, die Eingeweide zu entfernen. Das Abschneiden des Kopfes bereitete einige Schwierigkeiten. Während er mühsam mit dem Messer hin und her sägte, schienen die roten Augen anklagend auf ihn gerichtet. Aber schließlich fiel der Kopf zu Boden, und Michael führte das Messer an Rücken und Brust entlang. Die Filets, die er auf diese Art zustande brachte, waren zwar nicht ganz formvollendet, aber immerhin Filets. Er spülte sie am Brunnen ab und trug sie in die Hütte.

»Sie sehen etwas bleich aus«, sagte Leslie.

Bobbys Mutter hatte den Fisch in Ei und Paniermehl getaucht und ihn dann in Pflanzenfett gebraten. Hier gab es weder Eier noch Pflanzenfett, aber Michael fand Paniermehl und eine Flasche Olivenöl. Er hatte seine Zweifel wegen der Veränderungen am Rezept, aber der fertige Fisch sah aus wie direkt aus Ladies Home Journal. Leslie sah und hörte ihm aufmerksam zu, als er die brache sagte. Die Bohnen waren gut, und der Fisch war zart und köstlich, und Michael fand selbst die sonst verabscheuten Zucchini schmackhaft, die Leslie aus eigenem Antrieb geöffnet und gewärmt hatte. Zum Dessert öffneten sie eine Dose Pfirsiche und tranken den Saft.

»Wissen Sie, was ich jetzt gern täte?« »Nun?«

»Ihr Haar schneiden.«

»Und was sonst noch?«

»Nein, wirklich. Es wäre so dringend nötig. So wie Ihre Haare jetzt aussehen, könnte jemand, der Sie nicht kennt, glauben, Sie sind... na, Sie wissen schon.«

»Ich weiß gar nichts.«

»Schwul.«

»Sie kennen mich doch auch nicht - fast nicht. Woher wissen Sie, daß ich nicht schwul bin?«

»Ich weiß es eben«, sagte sie und neckte ihn weiter mit seinen langen Haaren, bis er nachgab und einen von Stan Goodsteins Ahornstühlen hinaus vor die Hütte trug. Es war warm in der Sonne, er zog sein Hemd aus, und sie holte die Schere und begann an seiner Frisur herumzuschnipseln. Plötzlich schnupperte er und fragte ärgerlich:

»Um Himmels willen, haben Sie die Schere nicht abgewaschen? Die ist doch voll Fisch.«

Er wollte die Sache sofort aufgeben, aber sie ging schon zum Brunnen und spülte die Schere ab und trocknete sie an ihrem straffgespannten Hosenboden, und er dachte: Noch nie im Leben war ich so fröhlich wie heute.

Er lehnte sich wieder in seinen Stuhl zurück und schloß die Augen und genoß die Wärme und hörte dem Geklapper der rostigen Schere zu.

»Ich bin Ihnen sehr dankbar«, sagte das Mädchen.

»Wofür?«

»Ich habe auf Ihren Kuß reagiert - sehr intensiv sogar.«

»Ist das so außergewöhnlich?«

»Für mich ist's außergewöhnlich - seit dem letzten Sommer. Ich hatte da so eine Affäre ...«

»Nicht! « Er beugte sich vor, so daß sie mit dem Haarschneiden aufhören mußte. »Sie werden mir doch nicht im Ernst solche Geschichten erzählen wollen.«