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»Das stimmt«, sagte der Schaffner. »Ich bin dort zu Hause.« »So«, sagte Abe. Dann dachte er eine Weile nach. »Haben Sie Kinder?«

»Vier.«

»Muß schwer sein, immer so herumzureisen.«

»Ja, es ist nicht leicht«, sagte der Schaffner. »Aber wenn ich nach Hause komm - Chicago ist eben Chicago.«

»Und warum suchen Sie sich nicht einen Job in Chicago?«

»Die Eisenbahn bezahlt mir mehr, als ich dort verdienen könnte.

Und ich komm lieber einmal in der Zeit zu meinen vier Kindern nach Haus und bring Geld für neue Schuhe mit, als daß ich sie tagtäglich seh und kein Geld für neue Schuhe hab. Stimmt's nicht?«

»Stimmt«, sagte Abe, und sie grinsten einander an. »Sie müssen eine Menge zu sehen kriegen bei diesem Job. So ein Zug, vollgestopft mit Männern und Weibern - da muß sich doch allerhand abspielen.«

»Ja, manche Leute beginnt's zu jucken, sobald sie auf Reisen sind.

Und in einem Zug ist das ärger als auf einem Schiff. Man kann ja nicht viel anderes anfangen.« Und eine Zeitlang erzählten sie einander Geschichten, Schlafwagengeschichten und Geschichten aus der Miederbranche. Dann gingen Oscar die Handtücher und die Seifen aus, und Abe kehrte in sein Abteil zurück.

Der Garnknäuel war bis zur Tür gerollt, nachdem er ihr vom Schoß gefallen war. »Dorothy?« fragte Abe. Er hob den Knäuel auf und trat näher. »Dorothy?« sagte er nochmals und schüttelte sie, aber er wußte es augenblicks und drückte mit aller Kraft den Knopf des Summers nieder, der den Schaffner herbeirief. Man hätte glauben können, sie schliefe, wären ihre Augen nicht offen gewesen, blicklos auf die kahle grüne Wand gegenüber gerichtet. Oscar kam durch die Tür, die Abe offengelassen hatte.

»Ja, Sir, Mr. Kind?« fragte er. Dann erfaßte er, was geschehen war.

»O du lieber Gott«, sagte er leise.

Abe legte ihr den Garnknäuel in den Schoß.

»Mr. Kind«, sagte Oscar, »setzen Sie sich doch lieber hin, Sir.« Er faßte Abe am Ellbogen, aber der schüttelte seine Hand ab. »Ich hole einen Arzt«, sagte der Schaffner unsicher.

Abe lauschte seinen sich entfernenden Schritten, dann fiel er auf die Knie. Durch den Teppich spürte er das Vibrieren der Schienen und die Spannung und Schwingung des Zuges. Er griff nach ihrer Hand und drückte sie an seine nasse Wange. »Ich zieh mich aus dem Geschäft zurück, Dorothy«, sagte er.

35

Ruthie kam erst zehn Stunden nach dem Begräbnis. Sie saßen auf ihren Hockern im Wohnzimmer der Kinds, als es läutete. Ruthie kam herein und ging von einem zum andern und umarmte Abe, den ein tiefes, keuchendes Schluchzen zu schütteln begann.

»Ich weiß nicht, warum ich geläutet hab«, sagte sie, und dann begann sie leise zu weinen, den Kopf an der Schulter ihres Vaters vergraben.

Nachdem sich alle etwas beruhigt hatten, küßte Ruthie ihren Bruder, und Michael machte sie mit Leslie bekannt. »Wie geht's deiner Familie?« fragte er.

»Gut.« Sie schneuzte sich und blickte um sich. Auf Abes Wunsch waren alle Spiegel verhangen worden, obwohl Michael das für überflüssig erklärt hatte. »Es ist vorüber, nicht wahr?« Michael nickte. »Ja, heute vormittag. Ich fahre morgen mit dir hinaus.«

»Gut.« Ihre Augen waren verschwollen und rot vom Weinen. Sie war tief gebräunt, ihr schwarzes Haar von Grau durchzogen. Der Kontrast von Bräune und ergrauendem Haar war sehr attraktiv, aber sie hatte Übergewicht und mehr als die Andeutung eines Doppelkinns. Und die Beine waren dicker geworden. Michael stellte bestürzt fest, daß sie nicht mehr seine geschmeidige, so amerikanisch aussehende Schwester war.

Nach und nach erschienen die Trauergäste.

Um acht Uhr abends war die Wohnung voll von Menschen. Die Frauen bauten allerhand Eßbares auf dem Tisch auf. Michael ging in sein früheres Schlafzimmer, um Zigaretten zu holen. Zwei Geschäftsfreunde seines Vaters saßen mit dem Rücken zur Tür auf dem Messingbett und tranken Scotch.

»Rabbiner-und hat eine schiksse geheiratet! Jetzt sagen Sie mir, wie das zusammenpaßt! «

»Mein Gott, was für eine Zusammenstellung! « Michael zog die Tür leise wieder zu, kehrte ins Wohnzimmer zurück, setzte sich neben Leslie, faßte nach ihrer Hand und hielt sie fest.

Um ein Uhr nachts, nachdem alle Gäste sich verabschiedet hatten, saßen sie schließlich allein in der Küche und tranken Kaffee.

»Warum gehst du nicht zu Bett, Ruthie?« bat Abe. »Du hast diesen langen Flug hinter dir. Du mußt doch völlig erschöpft sein.« »Und was wirst du anfangen, Papa?« fragte sie.

»Anfangen?« sagte er. Seine Finger zerkrümelten ein Stück eines Kuchens, den die Frau eines seiner Zuschneider gebacken hatte.

»Kein Problem. Meine Tochter und ihr Mann und ihre Kinder werden von Israel hierher übersiedeln, und wir werden alle sehr zufrieden sein. Ich verkaufe Kind Foundations. Geld wird genug dasein, Saul kann sich als gleichberechtigter Partner an jedem Geschäft beteiligen, das ihm Spaß macht. Oder, wenn er unterrichten will - soll er nochmals aufs College gehen und noch ein Diplom machen. Es gibt wirklich genug Kinder hier, die Lehrer brauchen.«

»Aber, Papa«, sagte sie, schloß die Augen und schüttelte den Kopf.

»Warum nicht?« fragte er.

»Du müßtest in Israel kein Pionier mehr sein. Du könntest leben wie Rockefeller. Wenn du mit mir hinüberkommst, kannst du ein Haus in unserer Nähe haben, mit einem kleinen Hof zwischen weißgetünchten Mauern, im Schatten von Olivenbäumen«, sagte sie.

»Du kannst einen Garten haben. Du kannst im Sonnenschein mit deinen Hanteln trainieren. Deine Enkel werden jeden Tag zu Besuch kommen, und du wirst von ihnen Hebräisch lernen.«

Abe lachte, aber er lächelte nicht.

»Das hat man davon, wenn man seine Tochter einen Fremden heiraten läßt.« Er sah sie an. »Ich würde viele Briefe schreiben. Zu viele Briefe.

Es würde zehn Tage brauchen, bis ich weiß, ob die Yankees Red Sox geschlagen haben oder ob Red Sox die Yankees geschlagen hat. Und manchmal gibt's zwei Spiele an einem Tag.

Ich könnte da drüben nicht einmal Women's Wear Daily kaufen. Ich weiß es, ich hab es probiert, als ich das letztemal mit Mama -« Er stand auf und ging schnell ins Badezimmer. Sie hörten die Wasserspülung, sobald er die Tür hinter sich geschlossen hatte.

In ihr Schweigen fragte Michaeclass="underline" »Und wie steht's jetzt mit der Kanalisation dort drüben?«

Ruthie lächelte nicht, und er merkte, daß sie sich nicht erinnerte und dann doch erinnerte. »Das kümmert mich jetzt nicht mehr«, sagte sie.

»Ich weiß nicht, ob es daran liegt, daß die Toiletten besser geworden sind oder daß ich erwachsen geworden bin.« Sie schaute zur Tür hin, durch die ihr Vater verschwunden war, und schüttelte den Kopf. »Was wißt ihr schon hier herüben«, sagte sie leise. »Was wißt ihr schon wirklich. Wenn ihr es wüßtet, dann wäret ihr dort und nicht hier.«

»Pop hat dir die Antwort gegeben«, sagte Michael. »Wir sind Amerikaner.«

»Eben. Meine Kinder sind Juden, so wie ihr Amerikaner seid«, sagte sie.

»Sie haben gewußt, was man zu tun hat, als die Flieger herüberkamen.

Sie sind wie der Teufel in den nächsten Unterstand gerannt und haben hebräische Lieder gesungen.«

»Gott sei Dank, daß keiner von euch verletzt worden ist«, sagte Michael.

»Hab ich das gesagt?« fragte sie. »Nein, sicher nicht. Ich hab gesagt, wir sind wohlauf, und das sind wir auch -jetzt. Saul hat einen Arm verloren.

Den rechten.«

Leslie hielt unwillkürlich den Atem an, und Michael fühlte sich müde und elend. »Wo?« fragte er.

»Am Ellbogen.«

Er hatte wissen wollen, wo es geschehen war, und als er nichts erwiderte, merkte sie ihr Mißverständnis und sagte: »Bei einem Ort, der Petach Tikwah heißt. Er war bei der Irgun Zwi Leumi.« Leslie räusperte sich. »Bei den Terroristen? Ich meine, waren die nicht eine Art Untergrundbewegung?«