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Rabbi Michael Kind Tempel Isaiah

2103 Hathaway Street San Francisco, Kalifornien Lieber Rabbi Kind,

der Geschäftsführende Ausschuß des Tempels Emeth in Wyndham hat mit nicht geringem Interesse Ihren programmatischen Artikel in dem neu gegründeten und ganz ausgezeichneten CCAR Journal gelesen.

Tempel Emeth ist eine seit einundsechzig Jahren bestehende reformierte Gemeinde in der Universitätsstadt Wyndham, fünfunddreißig Kilometer südlich von Philadelphia. Der Zuwachs in den letzten Jahren brachte es mit sich, daß unser fünfundzwanzig Jahre alter Tempel nun wirklich zu klein geworden ist. Da wir vor der Notwendigkeit stehen, über einen Neubau zu beschließen, war uns Ihr Artikel besonders wichtig. Er wurde hier zum Gegenstand zahlreicher Diskussionen.

Rabbi Philip Kirschner, der sechzehn Jahre lang unser geistliches Oberhaupt war, zieht sich am 15. April 1954 zu wohlverdientem und, wie wir hoffen, zufriedenem Ruhestand in seiner Heimatstadt St. Louis, Mo., zurück. Wir möchten seinen Posten gern mit einem Mann besetzen, der uns sowohl ein mitreißendes geistliches Oberhaupt sein kann, als auch darüber nachgedacht hat, wie ein jüdischer Tempel im modernen Amerika beschaffen sein müßte.

Wir würden die Gelegenheit begrüßen, dies mit Ihnen zu besprechen.

Ich werde vom 15. bis 19. Oktober in Los Angeles sein, um am Kongreß der Gesellschaft für moderne Sprachen an der University of California teilzunehmen. Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie auf Kosten des Tempels Emeth während dieser Zeit per Flug nach Los Angeles kommen könnten. Sollte dies unmöglich sein, würde ich trachten, nach San Francisco zu kommen. Ich habe den Besetzungsausschuß der Union of American Hebrew Congregations von unserer Absicht unterrichtet, mit Ihnen über die bevorstehende Vakanz an unserem Tempel zu verhandeln.

Ihrer Antwort sehe ich mit großem Interesse entgegen und verbleibe Ihr ergebener Felix Sommers,

Ph. D. Präsident des Tempels Emeth

»Wirst du fahren?« fragte Leslie, als er ihr den Brief zeigte. »Es kann wohl nichts schaden, hinzufliegen«, sagte Michael.

In der Nacht seiner Rückkehr aus Los Angeles betrat er das Haus leise, in der Erwartung, sie schliefe schon. Sie lag jedoch auf dem Sofa und sah dem Spätabend-Programm zu.

»Nun?« fragte sie.

»Es wären um tausend Dollar weniger, als ich jetzt verdiene. Vertrag nur für ein Jahr.«

»Aber du kannst die Berufung bekommen, wenn du sie willst?«

»Sie würden die übliche Gastpredigt verlangen. Aber ich könnte die Berufung bekommen, wenn ich will.«

»Und, was wirst du tun?«

»Was möchtest denn du, daß ich tun soll?« fragte er.

»Das mußt du selbst entscheiden«, sagte sie.

»Du weißt, wie es Rabbinern ergeht, die eine Reihe kurzfristiger Verträge hinter sich haben? Man fängt an, sie herumzustoßen. Nur die problematischen Gemeinden ziehen sie mehr in Betracht, und mit den Mindestbezügen. So wie in Cypress, Georgia.«

Sie schwieg.

»Ich habe schon zugesagt.«

Sie wandte plötzlich ihr Gesicht ab, so daß er nur mehr ihren Hinterkopf sehen konnte. Seine Hand berührte ihr Haar.

»Was ist los?« fragte er.

»Hast du Angst vor einer neuen Schar von Weibern? Vor den jentes?«

»Zum Teufel mit den jentes«, sagte sie. »Es wird immer Leute geben, für die wir beide ein Greuel sind. Die zählen nicht.« Sie wandte sich schnell ihm zu und umarmte ihn. »Nur eines zählt: daß du mehr tun wirst, als bloß eine fette Jahresrente einzustreifen und daß du nicht mehr nur dem Namen nach Rabbiner sein wirst. Du kannst mehr als das - du weißt es doch.«

Er spürte ihre nasse Wange an seinem Hals, und Staunen erfüllte ihn.

»Du bist der bessere Teil meiner selbst«, sagte er. »Mein Bestes bist du.«

Seine Umarmung, die sie zunächst nur davor bewahren sollte, von dem schmalen Sofa hinunterzufallen, wurde enger.

Ihre Finger verschlossen ihm die Lippen.

»Nur eines zählt: daß du tust, was du wirklich tun willst.«

»Ich will«, sagte er, sie berührend.

»Ich spreche von Pennsylvania«, sagte sie nach kurzem Schweigen, aber schon überließ sie sich seinen Armen und hob ihr Gesicht voll Erwartung ihm entgegen.

Später, im Bett, berührte sie ihn an der Schulter, während er schon im Einschlafen war.

»Hast du ihnen von mir erzählt?« fragte sie. »Was meinst du?«

»Du weißt, was ich meine.«

»Ach so.« Er blickte empor ins freundliche Dunkel ihres Zimmers. »Ja, ich hab es ihnen erzählt.«

»Dann ist's gut. Gute Nacht, Michael.« »Gute Nacht«, sagte er.

37

Er fuhr allein nach Wyndham, um seine Gastpredigt zu halten, und das Empfangskomitee, das ihn vom Bahnhof abholte und vor dem Gottesdienst zum Abendessen in Dr. Sommers' Haus brachte, gefiel ihm. Die Stadt war klein und, wie die meisten Universitätsstädte, von trügerischer Ruhe erfüllt, wenn man sie vom Auto aus sah. Es gab vier Buchhandlungen, eine grüne Plakatwand inmitten des Hauptplatzes, auf der die Konzerte und Ausstellungen in der Umgebung angezeigt waren, und überall sah man junge Leute. Die Luft knisterte von herbstlicher Kälte und der Vitalität der Studenten. Der Teich im Universitätsgelände trug eine dünne Eisschicht. Die majestätischen Bäume mit ihren schon kahlen Ästen waren nackt und schön.

Beim Abendessen setzten ihm die leitenden Herren der Gemeinde mit Fragen zu und wollten vielerlei über den geplanten Neubau wissen. In den langen Wochen einsamer Studien hatte er sich mehr an Wissen angeeignet, als er nun verwenden konnte, und die unverhohlene Bewunderung der Herren machte, daß Michael das Essen voll Selbstvertrauen verließ und alle Voraussetzungen für eine blendende Predigt mitbrachte. Er sprach darüber, wie eine alte Religion all die Dinge überdauern könne, die in der Welt am Werk waren, sie zu vernichten.

Als er Wyndham am folgenden Nachmittag verließ, wußte er, daß die Berufung ihm sicher war, und als sie kaum eine Woche später tatsächlich eintraf, war er nicht verwundert.

Im Februar flogen er, Leslie und das Baby für fünf Tage nach Wyndham. Den Großteil der Zeit verbrachten sie mit Gebäudemaklern. Am vierten Tag fanden sie ein Haus, einen schwarzroten Ziegelbau im Kolonialstil mit restauriertem grauem Schieferdach. Der Agent sagte, es wäre in ihrer Preislage, weil die meisten Leute mehr als zwei Schlafzimmer haben wollten. Es hatte auch noch andere Nachteile: die Räume waren hoch und schwer sauberzuhalten. Es gab weder Müllschlucker noch Geschirrspülmaschine, wie sie in ihrem Haus in San Francisco vorhanden gewesen waren. Die Installationen waren veraltet, die Rohre gaben gurgelnde und stöhnende Geräusche von sich. Aber der Eichenboden war großzügig im Zuschnitt und mit Sorgfalt verlegt. Es gab einen Ziegelkamin im größeren Schlafzimmer und einen Marmorkamin mit einer schönen alten gemauerten Feuerstelle im Wohnzimmer. Von dem hohen, achtteiligen Vorderfenster aus überblickte man das Universitätsgelände.

»O Michael«, sagte Leslie, »wie schön! Hier können wir zu Hause sein, bis die Familie größer geworden ist. Max könnte von hier aus ins College gehen.«

Diesmal war er schon zu gewitzt, um zu nicken, aber er lächelte, als er den Scheck für den Gebäudemakler ausschrieb.

Seine Tage in Wyndham waren von Anfang an ausgefüllt mit Arbeit und Menschen. Sowohl Hillel als die Intercollegiate Zionist Federation of America verfügten über Studentengemeinden an der Universität, und beide hatte Michael zu betreuen. Gelegentlich unternahm er kleine Reisen mit Leuten vom Bauausschuß, um neue Tempel in anderen Gemeinden zu besichtigen. Leslie inskribierte als außerordentliche Hörerin für semitische Sprachen, und zweimal in der Woche lernte er mit ihr und einigen ihrer Kollegen. Tempel Emeth war eine intellektuelle Gemeinde in einer intellektuellen Stadt, und bald verbrachte Michael viel Zeit mit ähnlichen Studiengruppen und Forumsdiskussionen an der Universität. Er fand, daß die Cocktailparties den leidenschaftlichen Diskussionsabenden alter Talmudisten glichen, mit dem einzigen Unterschied, daß diese ihre modernen Schüler sich zumeist über Propheten wie Teller oder Oppenheimer oder Herman Kahn erhitzten. Die Studenten- und Studentinnen-Verbindungen erfüllten wichtige soziale Funktionen, und die Kinds hatten an den verschiedensten Veranstaltungen teilzunehmen. So fungierten sie eines Winterabends als Anstandspersonen bei der Schlittenpartie einer Jugendgruppe und hofften, während sie über den Schnee dahinglitten und einander unter der Decke an den Händen hielten, daß all das Lachen und Geschnatter rund um sie in der Dunkelheit nichts sei als der Ausdruck unschuldigen Vergnügens.