Am Mittwoch abend um halb acht sind wir mit Pellrod fertig, und die Vernehmungen der Great-Benefit-Leute sind vorüber. Drei Tage, siebzehn Stunden, vermutlich an die tausend Seiten Protokoll. Wie die Dokumente müssen auch die Vernehmungsprotokolle Dutzende von Malen gelesen werden.
Während seine Begleiter ihre Aktenkoffer packen, zieht Leo F. Drummond mich beiseite.»Gute Arbeit, Rudy«, sagt er leise, als wäre er von meiner Leistung wirklich beeindruckt, wollte sein Urteil aber möglichst geheimhalten.
«Danke.«
Er holt tief Luft. Wir sind beide erschöpft und haben es satt, uns gegenseitig anzusehen.
«Also, was steht uns noch bevor?«fragt er.
«Ich bin fertig«, sage ich, und mir fällt wirklich niemand mehr ein, den ich vernehmen möchte.
«Was ist mit Dr. Kord?«
«Er wird beim Prozeß aussagen.«
Das ist eine Überraschung. Er mustert mich eingehend und fragt sich zweifellos, wie ich mir eine Live-Aussage des Arztes vor den Geschworenen leisten kann.
«Was wird er sagen?«
«Ron Black war der ideale Spender für seinen Zwillingsbruder. Eine Knochenmarkstransplantation ist ein Routineverfahren. Der Junge hätte gerettet werden können. Ihr Mandant hat ihn umgebracht.«
Er trägt es mit Fassung, und es ist offensichtlich keine Überraschung.
«Wahrscheinlich werden wir ihn vernehmen«, sagt er.
«Fünfhundert die Stunde.«
«Ja, ich weiß. Hören Sie, Rudy, wie wäre es mit einem Drink? Es gibt etwas, worüber ich gern mit Ihnen reden würde.«
«Und was ist das?«Im Moment kann ich mir nichts Schlimmeres vorstellen, als mit Drummond etwas zu trinken.
«Geschäft. Vergleichsmöglichkeiten. Könnten Sie in mein Büro kommen, sagen wir, in einer Viertelstunde? Es ist gleich um die Ecke, wie Sie ja wissen.«
Das Wort» Vergleich «hört sich nett an. Außerdem habe ich mir schon immer gewünscht, ihre Kanzlei zu sehen.»Ich habe nicht viel Zeit«, sage ich, als warteten schöne und wichtige Frauen auf mich.
«Okay. Wir können gleich losgehen.«
Ich bitte Deck, an der Ecke zu warten, und Drummond und ich laufen drei Blocks zum höchsten Gebäude von Memphis. Während wir zum vierzigsten Stock hinauffahren, unterhalten wir uns über das Wetter. In der Kanzlei ist alles Messing und Marmor, und es wimmelt von Leuten, als wäre es mitten am Tage. Es ist eine geschmackvoll ausgestattete Fabrik. Ich halte Ausschau nach meinem alten Freund Loyd Beck, dem Gangster von Broadnax and Speer, und hoffe, daß ich ihm nicht begegne.
Drummonds Büro ist elegant eingerichtet, aber nicht übermäßig groß. Die Mieten in diesem Gebäude sind die höchsten in der Stadt, und der Platz wird sinnvoll genutzt.»Was möchten Sie trinken?«fragt er und wirft seinen Aktenkoffer und sein Jackett auf den Schreibtisch.
Ich mache mir nichts aus harten Getränken, außerdem bin ich so müde, daß ich fürchte, schon ein Drink könnte mich umwerfen.»Nur eine Cola«, sage ich, und eine Sekunde lang ist er enttäuscht. Er geht zu einer kleinen Bar in der Ecke und macht sich selbst einen Drink zurecht, Scotch und Wasser.
Es klopft an der Tür, und zu meiner großen Überraschung tritt Mr. M. Wilfred Keeley ein. Wir haben uns nicht mehr gesehen, seit ich ihn am Montag acht Stunden lang vernommen habe. Er benimmt sich, als wäre er entzückt, mich wiederzusehen. Wir geben uns die Hand, begrüßen uns, als wären wir alte Freunde. Er geht zur Bar und gießt sich gleichfalls einen Drink ein.
Wir lassen uns an einem kleinen runden Tisch in einer Ecke nieder, und sie trinken ihren Whiskey. Daß Keeley so rasch wieder hierher zurückgekehrt ist, kann nur eines bedeuten. Sie wollen mir einen Vergleich anbieten. Ich bin ganz Ohr.
Meine kümmerliche Praxis hat mir letzten Monat sechshundert Dollar eingebracht. Drummond verdient mindestens eine Million im Jahr. Keeley leitet ein Unternehmen mit einer Milliarde Umsatz und bekommt wahrscheinlich noch mehr Geld als sein Anwalt. Und sie wollen mit mir ins Geschäft kommen.
«Richter Kipler macht mir große Sorgen«, sagt Drummond unvermittelt.
«So etwas habe ich noch nicht erlebt«, setzt Keeley rasch hinzu.
Drummond ist berühmt für seine makellose Vorbereitung, und ich bin sicher, daß sie dieses kleine Duett gründlich geprobt haben.
«Um ehrlich zu sein, Rudy, ich fürchte mich vor dem, was er beim Prozeß anstellen könnte«, sagt Drummond.
«Wir sind ihm praktisch ausgeliefert«, sagt Keeley und schüttelt dabei ungläubig den Kopf.
Sie haben allen Grund, sich Kiplers wegen Sorgen zu machen. Und sie schwitzen Blut, weil sie auf frischer Tat ertappt worden sind. Sie haben einen jungen Mann umgebracht, und jetzt müssen sie damit rechnen, daß ihre Untat bloßgestellt wird. Ich beschließe, nett zu sein und mir anzuhören, was sie zu sagen haben.
Sie trinken gleichzeitig, und dann sagt Drummond:»Wir würden gern einen Vergleich abschließen, Rudy. Wir haben ein gutes Gefühl, was unsere Verteidigung angeht, und das meine ich ganz ernst. Wenn wir ein glattes Spielfeld hätten, wären wir bereit, uns schon morgen ins Getümmel zu stürzen. Ich habe seit elf Jahren keinen Prozeß verloren. Ich liebe einen guten Kampf im Gerichtssaal. Aber dieser Richter ist so voreingenommen, daß es regelrecht beängstigend ist.«
«Wieviel?«frage ich, um dem Geschwätz ein Ende zu machen.
Sie winden sich beide gleichzeitig, als ob sie Hämorrhoiden hätten. Ein schmerzhafter Moment, dann sagt Drummond:»Wir verdoppeln. Hundertfünfzigtausend. Sie bekommen so an die fünfzig, Ihre Mandanten bekommen…«
«Rechnen kann ich selbst«, sage ich. Es geht ihn nichts an, wie hoch mein Honorar sein würde. Er weiß, daß ich pleite bin, und fünfzigtausend würden mich reich machen.
Fünfzigtausend Dollar!
«Und was, meinen Sie, soll ich mit diesem Angebot anfangen?«frage ich.
Sie werfen mir verblüffe Blicke zu.
«Mein Mandant ist tot. Seine Mutter hat ihn vorige Woche begraben, und jetzt erwarten Sie von mir, daß ich hingehe und ihr sage, daß mehr Geld auf dem Tisch liegt.«
«Unter ethischen Gesichtspunkten sind Sie verpflichtet, ihr zu sagen…«
«Halten Sie mir keinen Vortrag über Ethik, Leo. Ich werde es ihr sagen. Ich werde sie über das Angebot informieren, und ich bin sicher, daß sie nein sagen wird.«
«Sein Tod tut uns furchtbar leid«, sagt Keeley betrübt.
«Es ist nicht zu übersehen, daß er Sie heftig betroffen hat, Mr. Keeley. Ich werde den Eltern Ihr Beileid ausrichten.«