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«Hören Sie, Rudy, wir unterbreiten Ihnen hier ein anständiges Vergleichsangebot«, sagt Drummond.

«Ihr Timing ist gräßlich.«

Es tritt eine Pause ein, wahrend der wir alle einen Schluck trinken. Drummond beginnt als erster zu lächeln.»Was will die Dame? Sagen Sie uns, Rudy, was sie glücklich machen würde.«

«Nichts.«

«Nichts?«

«Es gibt nichts, was Sie tun könnten. Der Junge ist tot, und Sie können nichts mehr daran ändern.«

«Wozu dann der Prozeß?«

«Um publik zu machen, was Sie getan haben.«

Weiteres Winden. Weitere schmerzliche Mienen. Weiteres Whiskeyschlucken.

«Sie will Sie bloßstellen, und dann will sie Ihnen das Genick brechen.«

«Dazu sind wir zu groß«, sagt Keeley selbstgefällig.

«Warten wir's ab. «Damit stehe ich auf und greife nach meinem Aktenkoffer.»Ich finde selbst hinaus«, sage ich und lasse sie einfach sitzen.

Kapitel 38

Langsam sammeln sich in unserem Büro die Beweise kommerzieller Aktivitäten an, so bescheiden und wenig einträglich sie auch sein mögen. Hier und dort stapeln sich dünne Akten, immer offen daliegend, damit ein Mandant, der mich aufsucht, sie sehen kann. Ich habe fast ein Dutzend mir vom Gericht zugewiesene Kriminalfälle, sämtlich mindere Delikte und nicht besonders schwerwiegende Straftaten. Deck behauptet, er hätte dreißig Akten, aber diese Zahl kommt mir ein wenig zu hoch vor.

Auch das Telefon klingelt jetzt häufiger. Es gehört sehr viel Disziplin dazu, in einen Apparat zu sprechen, in dem eine Wanze sitzt, und ich muß mich jeden Tag neu überwinden. Ich sage mir immer wieder, daß vor dem Anzapfen unserer Telefone eine richterliche Verfügung unterschrieben worden sein muß, die ein derartiges Eindringen in unsere Privatsphäre gestattet. Ein Richter mußte es genehmigen, also muß es schon halbwegs legitim sein.

Im Vorderzimmer stehen immer noch die gemieteten Tische, auf denen sich die zum Black-Fall gehörenden Dokumente türmen, und ihr Vorhandensein erweckt den Anschein, als wäre hier ein wahrhaft großes Werk im Gange.

Auf jeden Fall wirkt das Büro beschäftigter. Nach mehreren Monaten im Geschäft betragen unsere Unkosten bescheidene siebzehnhundert Dollar pro Monat. Unser Bruttoeinkommen beläuft sich auf durchschnittlich dreitausendzweihundert, so daß Deck und ich uns — auf dem Papier — fünfzehnhundert Dollar teilen können, vor Steuern und anderen Abzügen.

Wir überleben. Unser bester Mandant ist Derrick Dogan, und wenn es uns gelingt, seinen Fall mit einem Vergleich über fünfundzwanzigtausend, dem Höchstbetrag der Police, abzuschließen, können wir leichter atmen. Wir hoffen, daß das noch vor Weihnachten passiert, obwohl ich nicht recht weiß, warum wir das tun. Weder Deck noch ich haben jemanden, für den wir gern Geld ausgeben würden.

Ich werde die Feiertage damit verbringen, an dem BlackFall zu arbeiten. Der Februar ist nicht mehr fern.

Die heutige Post ist Routine, mit zwei Ausnahmen. Sie enthält nicht das geringste von Trent & Brent. Das kommt so selten vor, daß es direkt eine Freude ist. Die zweite Überraschung versetzt mir einen solchen Schlag, daß ich eine Weile in meinem Büro herumwandern muß, um ihn zu verdauen.

Der Umschlag ist groß und quadratisch, mein Name und meine Adresse sind mit der Hand geschrieben. Drinnen steckt eine gedruckte Einladung zu einer vorweihnachtlichen Verkaufsausstellung von goldenen Ketten und Armbändern in einem Juweliergeschäft in einem hiesigen Einkaufszentrum. Es ist nur eine Werbung von der Sorte, die normalerweise gleich im Papierkorb gelandet wäre, wenn sie einen vorgedruckten Adressenaufkleber gehabt hätte.

Am unteren Rand der Karte, unterhalb der Öffnungszeiten des Ladens, steht in einer recht hübschen Handschrift der Name: Kelly Riker. Keine Nachricht. Nichts. Nur der Name.

Nach meiner Ankunft wandere ich eine Stunde lang in dem Einkaufszentrum herum. Ich beobachte Kinder beim Schlittschuhlaufen auf einer Eisbahn. Ich beobachte Teenager dabei, wie sie in Horden durch die Gänge streifen. Ich kaufe mir einen Teller mit aufgewärmtem chinesischen Essen und verzehre es auf der Promenade oberhalb der Eisbahn.

Der Juwelierladen ist eines von mehr als hundert Geschäften unter diesem Dach. Beim ersten Vorbeischlendern habe ich sie an einer Kasse stehen sehen.

Ich betrete den Laden hinter einem jungen Paar und gehe langsam auf den langen Glastresen zu, an dem Kelly eine Kundin bedient. Sie schaut auf, sieht mich und lächelt. Ich weiche ein paar Schritte zurück, lehne mich mit einem Ellenbogen auf einen Tresen und betrachte die funkelnde Auslage von Goldketten, die fast so dick sind wie Schiffstaue. Der Laden ist voll.

Ein halbes Dutzend Verkäuferinnen redet und holt Stücke aus den Schaukästen.

«Kann ich Ihnen helfen, Sir?«sagt sie, als sie mir gegenübersteht, nur einen halben Meter entfernt. Ich sehe sie an und schmelze dahin.

Wir lächeln uns so lange an, wie wir es wagen.»Ich sehe mich nur um«, sage ich. Niemand beobachtet uns, das hoffe ich jedenfalls.»Wie geht es Ihnen?«

«Gut, und Ihnen?«

«Prächtig.«

«Darf ich Ihnen etwas zeigen? Das sind Sonderangebote.«

Sie streckt einen Finger aus, und wir betrachten eine Kette, die zu einem Zuhälter passen würde.»Hübsch«, sage ich, gerade laut genug, daß sie es hören kann.»Können wir miteinander reden?«

«Nicht hier«, sagt sie und beugt sich noch weiter vor. Ich erhasche einen Hauch von ihrem Parfüm. Sie schließt den Schaukasten auf, schiebt die Tür beiseite und holt eine fünfundzwanzig Zentimeter lange Goldkette heraus.»Gleich neben dem Einkaufszentrum ist ein Kino. Nehmen Sie eine Karte für den Eddie-Murphy-Film. Mittelabschnitt, letzte Reihe. Ich komme in einer halben Stunde nach.«

«Eddie Murphy?«sage ich, halte die Kette in der Hand und bewundere sie.

«Hübsch, nicht wahr?«

«Ja, wirklich hübsch. Sie gefällt mir. Aber ich möchte mich erst noch ein wenig umsehen. «Sie nimmt mir die Kette ab und sagt, ganz die perfekte Verkäuferin:»Beehren Sie uns bald wieder.«

Meine Knie sind weich, und ich schwebe durch das Einkaufszentrum. Sie hat gewußt, daß ich kommen würde, und sie hat alles geplant — das Kino, den Film, den Platz und den Abschnitt. Ich trinke neben einem überarbeiteten Weihnachtsmann einen Kaffee und versuche mir vorzustellen, was sie sagen wird, was ihr im Kopf herumgeht. Um mir einen gräßlichen Film zu ersparen, warte ich mit dem Kauf der Eintrittskarte bis zur letzten Minute.

Im Kino sitzen kaum fünfzig Zuschauer. Ein paar Kids, zu

jung für einen nicht jugendfreien Film, sitzen ziemlich weit vorn und kichern über jede Obszönität. Ein paar weitere traurige Seelen sind in der Dunkelheit verstreut. Die hinterste Reihe ist leer.

Sie kommt ein paar Minuten zu spät und setzt sich neben mich. Sie schlägt die Beine übereinander, ihr Rock rutscht bis über die Knie hoch. Ich kann nicht anders, ich muß hinschauen.

«Kommen Sie oft hierher?«sagt sie, und ich lache. Sie wirkt überhaupt nicht nervös, aber ich bin es.

«Sind wir hier sicher?«frage ich.

«Sicher wovor?«

«Vor Ihrem Mann.«

«Ja, er ist heute abend mit seinen Freunden unterwegs.«

«Trinkt er wieder?«

«Ja«

Das kann Schlimmes bedeuten.

«Aber nicht viel«, setzt sie dann hinzu.

«Also hat er Sie nicht…«

«Nein. Lassen Sie uns über etwas anderes reden.«

«Tut mir leid. Ich mache mir Ihretwegen Sorgen, das ist alles.«

«Weshalb machen Sie sich meinetwegen Sorgen?«

«Weil ich ständig an Sie denke. Denken Sie jemals an mich?«

Wir starren auf die Leinwand, sehen aber nichts.

«Immerzu«, sagt sie, und mein Herz steht still.

Auf der Leinwand reißen sich ein Mann und eine Frau plötzlich die Kleider vom Leibe. Sie fallen auf ein Bett, Kissen und Unterwäsche fliegen durch die Luft, dann umarmen sie sich hitzig, und das Bett beginnt zu beben. Während die beiden sich lieben, schiebt Kelly ihren Arm unter meinen und rückt näher an mich heran. Wir reden nicht, bis eine andere Szene kommt. Danach fange ich wieder an zu atmen.