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Trotz meiner Sorgen ertappe ich mich dabei, daß ich von diesem Prozeß träume.

Booker und Charlene laden mich zum Thanksgiving-Essen bei seiner Familie ein. Seine Großmutter lebt in einem kleinen Haus in Süd-Memphis und hat offensichtlich die ganze letzte Woche gekocht. Das Wetter ist kalt und naß, deshalb sind wir gezwungen, den ganzen Nachmittag drinnen zu verbringen. Es sind mindestens fünfzig Leute anwesend, zwischen sechs Monaten und achtzig Jahren alt, und meines ist das einzige weiße Gesicht. Wir essen stundenlang, die Männer scharen sich um den Fernseher im Wohnzimmer und schauen sich ein Spiel nach dem anderen an. Booker und ich verziehen uns mit unserer Pekanpastete und unserem Kaffee in die Garage, wo wir uns auf die Haube seines Wagens setzen und die letzten Neuigkeiten austauschen. Er ist neugierig auf mein Liebesle-ben, und ich versichere ihm, daß ich keines habe, jedenfalls momentan nicht. Das Geschäft läuft gut, erzähle ich ihm. Er arbeitet rund um die Uhr. Charlene will noch ein Kind, aber es dürfte sich ziemlich problematisch gestalten, schwanger zu werden. Er ist nie zu Hause. Das Leben eines vielbeschäftigten Anwalts.

Kapitel 39

Wir wußten, daß er in der Post sein mußte, aber erst die schweren Schritte verraten mir, daß er eingetroffen ist. Deck stürmt, den Umschlag schwenkend, in mein Büro.»Er ist da! Er ist da!«

Er reißt den Umschlag auf, zieht vorsichtig den Scheck heraus und legt ihn auf meinen Schreibtisch. Wir bewundern ihn. Fünfundzwanzigtausend Dollar von State Farm! Es ist Weihnachten.

Da Derrick Dogan immer noch an Krücken geht, fahren wir mit den Papierkram zu ihm. Er unterschreibt, wo er unterschreiben soll. Wir teilen das Geld auf. Er bekommt genau 16.667 Dollar, und wir bekommen genau 8.333 Dollar. Deck wollte ihm noch ein paar Unkosten aufhalsen — Kopierer, Porto, Telefongebühren und eine Menge anderen Kleinkram, den die meisten Anwälte bei der Abrechnung aus ihren Mandanten herauszuquetschen versuchen —, aber ich habe nein gesagt.

Wir verabschieden uns von ihm, wünschen ihm alles Gute, versuchen, angesichts dieser betrüblichen kleinen Episode ein bißchen Mitgefühl zu bezeugen. Gar nicht so einfach.

Wir haben beschlossen, jeder dreitausend zu nehmen und den Rest für die unvermeidlichen mageren Monate, die noch vor uns liegen, in der Kasse zu lassen. Die Kanzlei zahlt uns ein gutes Essen in einem eleganten Restaurant in Ost-Memphis. Die Kanzlei hat jetzt eine goldene Kreditkarte, ausgestellt von einer krebsenden, offensichtlich von meinem Anwaltsstatus beeindruckten Bank. Um die Fragen auf dem Antragsformular, die sich auf frühere Konkurse bezogen, habe ich mich herumgedrückt. Deck und ich haben uns die Hand darauf gegeben, daß die Karte nie benutzt wird, sofern wir nicht beide zugestimmt haben.

Ich nehme meine dreitausend und kaufe mir einen Wagen. Er ist alles andere als neu, aber es ist der, von dem ich geträumt habe, seit der Dogan-Vergleich zur Gewißheit wurde. Es ist ein 1984er Volvo DL, blau, vier Gänge und Overdrive, in vorzüglichem Zustand und mit nur hundertzwanzigtausend Meilen auf dem Tacho. Das ist nicht viel für einen Volvo. Der einzige Vorbesitzer des Wagens war ein Bankier, der Spaß daran hatte, ihn selbst instand zu halten.

Ich habe mit dem Gedanken gespielt, mir etwas Neues zu kaufen, aber es widerstrebte mir, mich abermals zu verschulden.

Es ist mein erstes Anwaltsauto. Der Toyota bringt dreihundert Dollar, und von diesem Geld kaufe ich mir ein Autotelefon. Rudy Baylor kommt allmählich voran.

Ich habe den Entschluß, Weihnachten nicht in Memphis zu verbringen, schon vor Wochen getroffen. Die Erinnerungen an das vorige Jahr sind noch zu schmerzlich. Ich werde allein sein, und das ist leichter zu ertragen, wenn ich einfach wegfahre. Deck hat erwähnt, daß wir vielleicht zusammen fahren könnten, aber es war nur ein verschwommener Vorschlag ohne irgendwelche Details. Ich habe gesagt, daß ich wahrscheinlich meine Mutter besuchen würde.

Wenn meine Mutter und Hank nicht in ihrem Winnebago herumreisen, stellen sie das verdammte Ding hinter seinem kleinen Haus in Toledo ab. Ich habe das Haus und den Winnebago nie gesehen, und ich werde Weihnachten nicht mit Hank verbringen. Mutter hat kurz nach Thanksgiving angerufen und mich ziemlich schwächlich eingeladen, die Feiertage mit ihnen zu verbringen. Ich habe abgelehnt, weil ich angeblich zuviel zu tun hätte. Ich schicke ihr eine Karte.

Ich habe nichts gegen meine Mutter. Wir haben einfach aufgehört, miteinander zu reden. Die Kluft hat sich allmählich aufgetan, ganz ohne einen bestimmten, unerfreulichen Zwischenfall mit harten Worten, die zu vergessen Jahre dauern würde.

Wie Deck weiß, macht die gesamte Juristerei vom 15. Dezember bis kurz nach Neujahr Pause. Richter setzen keine Prozesse und Anhörungen an. Anwälte und ihre Kanzleien sind mit Büroparties und Essen fürs Personal beschäftigt. Für mich ist es eine ideale Zeit, die Stadt zu verlassen.

Ich packe die Unterlagen des Black-Falles in den Koffer raum meines Volvo, werfe ein paar Sachen zum Anziehe dazu, und fahre los. Dann rolle ich ziellos über kleine, zwe: spurige Straßen in grob nordwestlicher Richtung, bis ich i Kansas und Nebraska auf Schnee treffe. Ich schlafe in billige Motels, esse Fast food, schaue mir an, was es an Sehenswü] digkeiten gibt. Über die nördlichen Ebenen ist ein Winte] sturm hinweggefegt. Tiefe Schneeverwehungen säumen di Straßen. Die Prärien sind so weiß und still wie heruntergefal lene Kumuluswolken.

Die Einsamkeit der Straße gibt mir neue Kraft.

Am 23. Dezember treffe ich endlich in Madison, Wisconsii ein. Ich finde ein kleines Hotel, ein gemütliches Restaurant m warmem Essen, und ich durchwandere die Straßen der Inner stadt, als wäre ich ein ganz gewöhnlicher Mensch, der vo einem Geschäft zum nächsten eilt. Einige Dinge, die zu einei normalen Weihnachtsfest gehören, vermisse ich ganz und gE nicht.

Ich setze mich auf eine vereiste Parkbank, mit Schnee unte den Füßen, und höre einem Chor zu, der voller Inbrunst sein Weihnachtschoräle absingt. Niemand auf der Welt weiß, w ich mich im Augenblick befinde, weder in welcher Stadt, noc in welchem Staat. Ich liebe diese Freiheit.

Nach dem Essen und ein paar Drinks an der Hotelbar ruf ich Max Leuberg an. Er ist auf seinen Lehrstuhl als Juraprofes sor an der hiesigen Universität zurückgekehrt, und ich hab ihn ungefähr jeden Monat einmal angerufen, um seinen Re einzuholen. Ich habe ihm Kopien der meisten wichtigen Do kumente geschickt, dazu Kopien der Schriftsätze, der Beweis aufnahmen und fast aller Vernehmungen. Das FedEx-Pake hat vierzehn Pfund gewogen und fast dreißig Dollar gekoste' Deck war einverstanden.

Max scheint sich ehrlich zu freuen, daß ich in Madison bin Weil er Jude ist, spielt Weihnachten für ihn keine große Rolle und kürzlich hat er am Telefon gesagt, es wäre eine ideale Zei zum Arbeiten. Er hat mir den Weg beschrieben.

Als ich um neun Uhr am nächsten Morgen die Juristische

Fakultät betrete, beträgt die Temperatur minus zwölf Grad. Das Gebäude ist offen, aber menschenleer. Leuberg wartet in seinem Büro mit heißem Kaffee. Wir unterhalten uns eine Stunde so über einiges in Memphis, was er vermißt; die Juristische Fakultät gehört nicht dazu. Sein Büro hier hat sehr viel Ähnlichkeit mit seinem dort — überfüllt, unordentlich, mit politisch provokanten Postern und Aufklebern an den Wänden. Er sieht auch noch genauso aus — wirres, buschiges Haar, Jeans, weiße Turnschuhe. Er trägt Socken, aber nur, weil hoher Schnee liegt. Er ist aufgedreht und tatendurstig.

Ich folge ihm den Flur entlang zu einem kleinen Seminarraum mit einem langen Tisch in der Mitte. Er hat den Schlüssel. Auf dem Tisch sind die Unterlagen ausgebreitet, die ich ihm geschickt habe. Wir lassen uns einander gegenüber auf Stühlen nieder, und er schenkt Kaffee aus einer Thermosflasche nach. Er weiß, daß der Prozeß in sechs Wochen beginnt.