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Er ist ein untersetzter Mann mit massigen Gliedmaßen, einem dunklen Bart und sehr dunklen Augen, die mit ihrem Funkeln und Tanzen seine Mimik beleben. Er ist sechsundvierzig und erzählt mir, daß er sein Geld mit Produkthaftung verdient hat. Er vergewissert sich, daß seine Bürotür geschlossen ist, bevor er zum Thema kommt.

Das meiste von dem, was er mir zu erzählen gedenkt, dürfte er gar nicht erzählen. Er hat mit Great Benefit einen Vergleich geschlossen, und er und seine Mandantin mußten eine Vereinbarung unterschreiben, die sie zu strikter Vertraulichkeit verpflichtet und schwere Strafen androht, falls einer von ihnen die Bedingungen des Vergleichs publik machen sollte. Ihm sind derartige Vereinbarungen zuwider, aber sie sind nicht unüblich. Er hat die Klage vor einem Jahr für eine Dame eingereicht, die unter einem schweren Nebenhöhlenproblem litt und operiert werden mußte. Great Benefit lehnte den Anspruch mit der Begründung ab, daß die Dame auf ihrem Antrag anzugeben versäumt hätte, daß fünf Jahre bevor sie die Police kaufte, bei ihr eine Eierstockzyste entfernt worden war. Die Zyste gelte als Vorerkrankung, hieß es in dem Schreiben, mit dem ihr Anspruch abgelehnt wurde. Ihr Anspruch belief sich auf elftausend Dollar. Weitere Schreiben wurden ausgetauscht, weitere Ablehnungen, dann heuerte sie Cooper Jackson an. Er flog viermal nach Cleveland, mit seiner eigenen Maschine, und führte acht Vernehmungen durch.

«Die verschwiegensten und gerissensten Kerle, die mir je untergekommen sind«, sagt er über die Leute in Cleveland. Jackson liebt harte Prozesse und spielt das Spiel ohne Rücksicht auf Verluste. Er drängte auf einen Prozeß, und plötzlich wollte Great Benefit einen stillen Vergleich.

«Das ist der vertrauliche Teil«, sagt er. Es macht ihm offensichtlich Spaß, gegen die Vereinbarung zu verstoßen und mir sein Herz auszuschütten. Ich wette, er hat es schon hundert Leuten erzählt.»Sie haben uns die elftausend gezahlt und dann noch zweihunderttausend draufgelegt, damit wir Ruhe geben. «Seine Augen funkeln, während er auf meine Reaktion wartet. Es ist tatsächlich ein bemerkenswerter Vergleich, weil Great Benefit praktisch einen Haufen Geld als Schadenersatz gezahlt hat. Kein Wunder, daß sie auf Geheimhaltung bestanden haben.

«Erstaunlich«, sage ich.

«Ja, das ist es. Ich selbst wollte keinen Vergleich, aber meine arme Mandantin brauchte das Geld. Ich bin sicher, daß wir einen haushohen Schuldspruch herausgeholt hätten. «Er erzählt ein paar Kriegsgeschichten, um mich zu überzeugen, daß er tonnenweise Geld gescheffelt hat, dann folge ich ihm in einen kleinen, fensterlosen Raum voller Regale, die mit Lagerkartons gefüllt sind. Er deutet auf drei von ihnen, dann lehnt er seinen massigen Körper an das Regal.»Hier ist ihr System«, sagt er und tippt auf einen Karton, als steckten große Geheimnisse darin.»Der Anspruch kommt herein und wird einem Sachbearbeiter zugewiesen, einem simplen Papierschieber. Die Leute in der Schadensabteilung sind die am schlechtesten ausgebildeten und am niedrigsten bezahlten. Das ist bei jeder Versicherungsgesellschaft so. Die tollen Typen beschäftigen sich mit dem Investieren, sie sitzen nicht in der Schadens- oder Haftungsabteilung. Der Sachbearbeiter sieht sich die Sache an und fängt sofort mit dem Verfahren des nachträglichen Haftungsausschlusses an. Er oder sie schreibt einen Brief an die versicherte Person und bestreitet jeglichen Anspruch. Ich bin sicher, daß Sie einen solchen Brief haben. Dann fordert der

Sachbearbeiter die medizinischen Unterlagen aus den letzten fünf Jahren an. Die Unterlagen werden geprüft. Die versicherte Person bekommt einen weiteren Brief von der Schadensabteilung, in dem es heißt: >Anspruch abgelehnt, vorbehaltlich weiterer Überprüfung<. Das ist der Punkt, an dem es lustig wird. Der Sachbearbeiter schickt die Akte an die Haftungsabteilung, und die Haftung schickt eine Aktennotiz zurück, in der so etwas steht wie >Regulieren Sie diesen Anspruch nicht, bis Sie von uns gehört haben<. Dann folgt weitere Korrespondenz zwischen Schadens- und Haftungsabteilung, Briefe und Aktennotizen, hin und her, das Papier türmt sich zu Bergen, es kommt zu Meinungsverschiedenheiten, die beiden Abteilungen ziehen in den Krieg, und Klausem und Unterklauseln werden hitzig diskutiert. Vergessen Sie nicht, diese Leute arbeiten zwar im gleichen Gebäude für die gleiche Gesellschaft, kennen sich aber kaum. Sie wissen auch nichts von dem, was die andere Abteilung tut. Das ist volle Absicht. Inzwischen sitzt Ihr Mandant in seinem Wohnwagen und bekommt diese Briefe, einige von der Schadensabteilung, andere von der Haftungsabteilung. Die meisten Leute geben auf, und das ist natürlich das, worauf sie spekulieren. Nur einer von ungefähr fünfundzwanzig wendet sich an einen Anwalt.«

Während Jackson mir das erzählt, erinnere ich mich an Dokumente und Fragmente der Vernehmungen, und plötzlich fügen sich die Teile zusammen.»Wie können Sie das beweisen?«frage ich.

Er tippt auf die Kartons.»Steckt alles hier drin. Das meiste von diesem Zeug werden Sie nicht brauchen, aber ich habe die Handbücher.«

«Die habe ich auch.«

«Sie können das hier gern durchsehen. Es ist alles bestens geordnet. Ich habe einen großartigen Anwaltsgehifen, eigentlich sogar zwei.«

Ja, aber ich, Rudy Baylor, habe einen Hilfsanwalt!

Er läßt mich mit den Kartons allein, und ich stürze mich sofort auf die dunkelgrünen Handbücher. Eines ist für die Schadensabteilung, das ändere für die Haftungsabteilung. Auf den ersten Blick scheinen sie identisch zu sein mit denen, die ich im Laufe der Beweisaufnahme bekommen habe. Die Verfahren sind in Abschnitte untergliedert. Ein Inhaltsverzeichnis vorn, ein Glossar hinten, sie sind nicht mehr als Handbücher für die Papierproduzierer.

Dann fällt mir ein Unterschied auf. Am Ende des Handbuchs für die Schadensabteilung entdecke ich einen Abschnitt U. Mein Exemplar enthält diesen Abschnitt nicht. Ich lese ihn sorgfältig, und die Verschwörung kommt ans Licht. Auch das Handbuch für die Haftungsabteilung enthält einen Abschnitt U. Es ist die andere Hälfte des Systems, ganz genau so, wie Cooper Jackson es beschrieben hat. Zusammen gelesen, weisen die Handbücher jede Abteilung an, den Anspruch abzulehnen, natürlich vorbehaltlich weiterer Überprüfung. Dann schicken sie die Akte an die andere Abteilung mit der Instruktion, nicht zu zahlen, bis eine weitere Anweisung ergangen ist.

Die weitere Anweisung kommt nie. Keine der beiden Abteilungen kann die Forderung begleichen, solange die andere Abteilung es nicht gestattet.

Beide Abschnitte U liefern massenhaft Instruktionen, wie jeder Schritt zu dokumentieren ist, wie eine Papierspur angelegt werden muß, die eines Tages, falls es erforderlich werden sollte, die ganze schwere Arbeit nachweisen kann, die man in die sachgemäße Beurteilung des Anspruchs investiert hat, bevor er abgewiesen wurde.

Keines meiner Handbücher hat einen Abschnitt U. Sie wurden praktischerweise entfernt, bevor ich sie bekommen habe. Die Gangster in Cleveland und vielleicht auch ihre Anwälte in Memphis haben mir die Abschnitte U ganz bewußt vorenthalten. Es ist, um es milde auszudrücken, eine erschütternde Entdeckung.

Der Schock verfliegt rasch, und ich ertappe mich beim Lachen angesichts der Vorstellung, wie ich diese Abschnitte beim Prozeß hervorhole und vor den Geschworenen schwenke.

Ich verbringe Stunden damit, mich durch den Rest der Akte hindurchzuwühlen, kann meine Augen aber nicht von den Handbüchern abwenden.

Cooper trinkt gern Wodka in seinem Büro, aber erst nach sechs Uhr abends. Er lädt mich zum Mittrinken ein. Die Flasche bewahrt er in einer Kühlbox in einem Schrank auf, der als Bar dient, und er trinkt ihn pur, kein Eis, kein Wasser. Ich nippe an meinem Glas. Ungefähr zwei große Tropfen pro Schluck, und sie brennen sich den ganzen Weg hinunter.

Nachdem er sein erstes Glas geleert hat, sagt er:»Sie haben doch sicher Kopien von den verschiedenen staatlichen Ermittlungen gegen Great Benefit.«

Ich habe keine Ahnung, und es hat keinen Sinn, ihm etwas vorzulügen.»Nein, die habe ich nicht.«