«Die müssen Sie sich unbedingt ansehen. Ich habe den Justizminister von South Carolina, einen alten Studienfreund von mir, auf den Laden hingewiesen, und sie stellen jetzt Ermittlungen an. Ebenso in Georgia. In Florida hat die Versicherungsaufsichtsbehörde eine Untersuchung eingeleitet. Offenbar sind im Verlauf einer sehr kurzen Zeitspanne ungewöhnlich viele Ansprüche abgewiesen worden.«
Vor Monaten, als ich noch Jurastudent war, hat Max Leuberg einmal erwähnt, daß er bei der staatlichen Versicherungsaufsichtsbehörde eine Beschwerde eingereicht hatte. Aber er sagte auch, daß das wahrscheinlich nicht viel bringen würde, weil zwischen der Versicherungsbranche und den Behörden, die sie überwachen sollen, ein notorisch gutes Einvernehmen besteht.
Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, daß mir da etwas entgangen ist. Aber schließlich ist dies mein erster Versicherungsfall.
«Es ist die Rede von einer Gruppenklage«, sagt er, wobei seine Augen funkeln und mich argwöhnisch mustern. Dun ist klar, daß ich nichts von einer Gruppenklage weiß.
«Wo?«
«Ein paar Anwälte in Raleigh. Sie vertreten eine Handvoll kleinerer Ansprüche gegen Great Benefit, aber sie warten erst einmal ab und haben bis jetzt noch keinen Treffer gelandet. Ich nehme an, sie schließen die Fälle, die ihnen Sorgen machen, mit einem stillen Vergleich ab.«
«Wie viele Policen sind im Umlauf?«Diese Frage habe ich bereits während der Beweisaufnahme gestellt und warte immer noch auf eine Antwort.
«Knapp hunderttausend. Wenn man von einer Anspruchsrate von zehn Prozent ausgeht, sind das zehntausend Ansprüche pro Jahr; das ist ungefähr der Durchschnitt in dieser Branche. Sagen wir, nur so über den Daumen gepeilt, daß sie die Hälfte der Ansprüche abweisen. Damit bleiben noch fünftausend. Der durchschnittliche Anspruch beläuft sich auf zehntausend Dollar. Fünftausend mal zehntausend Dollar macht fünfzig Millionen. Und sagen wir, sie geben zehn Millionen aus, eine lediglich aus der Luft gegriffene Summe, um die paar Prozesse, die gegen sie angestrengt werden, auf dem Vergleichsweg aus der Welt zu schaffen. Sie heimsen also mit ihrer kleinen Masche vierzig Millionen Dollar ein. Dann gehen sie im nächsten Jahr vielleicht dazu über, die legitimen Ansprüche zu erfüllen. Ein Jahr überspringen, dann zurück zur Abweisungsroutine. Sie scheffeln eine derartige Masse von Geld, daß sie es sich leisten können, jeden aufs Kreuz zu legen.«
Ich starre ihn lange Zeit an, dann frage ich:»Können Sie das beweisen?«
«Nein. Es ist nur eine Vermutung. Wahrscheinlich ist es unmöglich, das zu beweisen, weil es so belastend ist. Diese Gesellschaft macht Sachen, die unglaublich stupide sind, aber ich bezweifle, daß sie so stupid ist, etwas derart Niederträchtiges schriftlich festzuhalten.«
Ich bin im Begriff, den Blöde-Brief zu erwähnen, aber dann entscheide ich mich dagegen. Er ist ein erfolgreicher Anwalt und wird jeden Kampf um die erste Geige gewinnen.
«Arbeiten Sie in irgendeiner Vereinigung von Prozeßanwälten mit?«fragt er.
«Nein, ich habe meine Zulassung erst seit ein paar Monaten.«
«Ich bin ziemlich aktiv. Es gibt einen lockeren Zusammenschluß von Anwälten, denen es Spaß macht, Versicherungsgesellschaften wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben zu verklagen. Wir halten Kontakt. Es wird eine Menge erzählt. Ich höre Great Benefit dies und Great Benefit das. Ich glaube, sie haben zu viele Forderungen abgewiesen. Alle war-ten gewissermaßen auf den ersten großen Prozeß, in dem sie bloßgestellt werden. Ein massives Urteil wird eine Lawine auslösen.«
«Ich weiß nicht, wie das Urteil aussehen wird, aber ich garantiere Ihnen, daß es einen Prozeß geben wird.«
Er sagt, er würde sich mit seinen Freunden in Verbindung setzen, sich umhören, was sie zu berichten haben, was sich im Lande so tut. Und vielleicht würde er im Februar nach Memphis kommen, um den Prozeß zu verfolgen. Ein massives Urteil, sagt er noch einmal, würde den Damm brechen.
Ich verbringe die Hälfte des nächsten Tages damit, mich noch einmal durch Jacksons Akte zu wühlen, dann danke ich ihm und verabschiede mich. Er besteht darauf, daß wir Verbindung halten. Er hat das Gefühl, daß eine Menge Anwälte unseren Prozeß verfolgen werden.
Weshalb jagt mir das Angst ein?
Ich fahre in zwölf Stunden nach Memphis. Während ich hinter Miss Birdies dunklem Haus den Volvo auslade, beginnt es leicht zu schneien. Morgen ist Neujahr.
Kapitel 40
Die Prozeßvorbesprechung fndet Mitte Januar in Richter Kip-lers Gerichtssaal statt. Er hat uns um den Tisch der Verteidigung herum versammelt und seinen Gerichtsdiener an der Tür stationiert, damit er herumwandernde Anwälte fernhält. Er sitzt an einem Ende des Tisches, ohne seine Robe, flankiert von seiner Sekretärin auf der einen und seiner Protokollantin auf der anderen Seite. Ich sitze rechts von ihm, mit dem Rük-ken zum Gerichtssaal, und auf der anderen Seite des Tisches sitzt das gesamte Team der Verteidigung. Es ist meine erste Begegnung mit Drummond seit der Vernehmung von Kord am 12. Dezember, und es fällt mir sehr schwer, höflich zu sein. Jedesmal, wenn ich in meinem Büro telefoniere, sehe ich diesen gut gekleideten, makellos gepflegten und hochgeachteten Ganoven vor mir, wie er mein Gespräch mithört.
Kipler war nur mäßig überrascht, als ich ihm die Handbücher zeigte, die ich mir von Cooper Jackson ausgeborgt habe. Er hat sie sorgfältig mit den von Drummond zur Verfügung gestellten Handbüchern verglichen. Seines Erachtens bin ich nicht verpflichtet, Drummond zu informieren, daß ich jetzt weiß, daß sie Dokumente unterschlagen haben. Es ist absolut Rechtens, wenn ich damit bis zum Prozeß warte und die Mine gegen Great Benefit vor den Geschworenen hochgehen lasse.
Die Wirkung sollte eigentlich verheerend sein. Ich ziehe ihnen vor den Geschworenen die Hosen runter und schaue zu, wie sie versuchen, in Deckung zu gehen.
Wir kommen zu den Zeugen. Ich habe die Namen von so ungefähr jedermann aufgelistet, der etwas mit dem Fall zu tun hat.
«Jackie Lemancyzk arbeitet nicht mehr für meine Mandanten«, sagt Drummond.
«Wissen Sie, wo sie ist?«fragt Kipler mich.
«Nein. «Das stimmt. Ich habe an die hundert Anrufe in Cleveland und Umgebung gemacht und keine Spur von Jackie
Lemancyzk gefunden. Ich habe sogar Butch zu dem Versuch überredet, sie telefonisch ausfindig zu machen, aber auch ihm ist es nicht gelungen.
«Wissen Sie es?«fragt er Drummond.
«Nein.«
«Also ist sie ein Vielleicht.«
«So ist es.«
Drummond und T. Pierce Morehouse finden das lustig. Sie tauschen ein frustriertes Grinsen. Aber das Grinsen wird ihnen vergehen, wenn es uns gelingt, sie zu finden und aussagen zu lassen. Doch das ist ziemlich unwahrscheinlich.
«Was ist mit Bobby Ott?«fragt Kipler.
«Ein weiteres Vielleicht«, sage ich. Beide Seiten können die Leute auflisten, bei denen Anlaß zu der Hoffnung besteht, daß sie zum Prozeß erscheinen. Ott scheint zweifelhaft, aber wenn er kommt, will ich das Recht haben, ihn als Zeugen aufzurufen. Auch nach Bobby Ott ist Butch auf der Suche.
Wir sprechen über die Sachverständigen. Ich habe nur zwei, Dr. Walter Kord und Randall Gaskin, den Verwaltungschef der Krebsklinik. Drummond hat einen aufgeführt, einen Dr. Milton Jiffy aus Syracuse. Ich habe mich aus zwei Gründen dagegen entschieden, ihn zu vernehmen. Erstens wäre es teuer geworden, dorthin zu fahren und es zu tun, und zweitens, was wichtiger war, weiß ich genau, was er sagen wird. Er wird bezeugen, daß Knochenmarkstransplantationen zu experimentell sind, um als geeignete und sinnvolle medizinische Behandlung gelten zu können. Walter Kord ist wütend darüber und wird mir helfen, ein Kreuzverhör vorzubereiten.
Kipler bezweifelt, daß Jiffy überhaupt aussagen wird.
Wir streiten eine Stunde lang um Dokumente. Drummond versichert dem Richter, daß sie reinen Tisch gemacht und alles ausgehändigt haben. Jeden anderen würde er überzeugen, aber ich bin ziemlich sicher, daß er lügt. Kipler ebenfalls.