Dies ist das größte Einkaufszentrum im Umkreis von vielen Meilen, und zeitweise ist es ziemlich belebt. Ich beobachte die herumschlendernden Leute und frage mich, ob vielleicht einer von ihnen zu meiner Jury gehören könnte. Wie finde ich zweiundneunzig Leute aus einer Million heraus?
Unmöglich. Ich tue mein Bestes mit dem, was uns zur Verfügung steht. Deck und ich haben aus den von den Geschworenen ausgefüllten Fragebögen knappe Übersichtskarten gemacht, und ich habe ständig eine kleine Kollektion davon bei mir.
Heute abend sitze ich wieder hier an der Promenade, mustere die umherwandernden Leute, dann ziehe ich eine Karte aus meinem Stapel. R. C. Badley lautet der Name in Großbuchstaben. Alter siebenundvierzig, weiß, männlich, Klempner, High-School-Absolvent, wohnt in einem Vorort im Südosten von Memphis. Ich drehe die Karte um, um mich zu vergewissern, daß mein Gedächtnis perfekt funktioniert hat. Es hat. Ich habe das so oft getan, daß mir diese Leute inzwischen beinahe zuwider sind. Ihre Namen hängen an der Wand meines Büros, und ich stehe jeden Tag mindestens eine Stunde davor und betrachte, was ich bereits auswendig gelernt habe. Nächste
Karte: Lionel Barton, Alter vierundzwanzig, schwarz, männlich, Teilzeit-Collegestudent und gleichzeitig Verkäufer in einem Geschäft für Autoteile, lebt in einer Wohnung in SüdMemphis.
Mein idealer Geschworener ist jung und schwarz mit mindestens High-School-Abschluß. Es ist eine alte Weisheit, daß Schwarze die besseren Geschworenen für die Anklage sind. Sie fühlen mit den Underdogs und mißtrauen dem weißen Amerika der großen Firmen. Wer könnte es ihnen verübeln?
Was Männer kontra Frauen angeht, habe ich gemischte Gefühle. Die konventionelle Weisheit besagt, daß Frauen geiziger mit Geld umgehen, weil sie es sind, die die Knappheit der Familienfinanzen zu spüren bekommen. Bei ihnen ist weniger damit zu rechnen, daß sie sich für eine hohe Geldstrafe aussprechen, weil nichts von dem Geld ihrem persönlichen Scheckbuch zugute kommt. Aber Max Leuberg neigt dazu, in diesem Fall Frauen den Vorzug zu geben, weil sie Mütter sind. Sie werden die Trauer um den Verlust eines Kindes mitfühlen. Sie werden sich mit Dot identifizieren, und wenn ich meinen Job gut mache und sie richtig aufwühle, dann werden sie versuchen, Great Benefit den Garaus zu machen. Ich glaube, er hat recht.
Also, wenn es nach mir ginge, würde ich zwölf schwarze Frauen auswählen, möglichst alle mit Kindern.
Deck hat natürlich eine andere Theorie. Er hat Angst vor Schwarzen, weil Memphis rassisch so polarisiert ist. Weißer Ankläger, weißer Verteidiger, alle weiß bis auf den Richter. Weshalb sollten die Schwarzen Anteil nehmen?
Das ist ein perfektes Beispiel dafür, wie falsch es ist, die Geschworenen nach Rasse, Gesellschaftsschicht, Alter, Schulbildung zu klassifizieren. Tatsache ist, daß niemand vorhersagen kann, wie irgendeiner von ihnen bei der Beratung der Geschworenen reagieren wird. Ich habe sämtliche in der Fakultätsbibliothek vorhandenen Bücher über die Auswahl von Geschworenen gelesen und bin jetzt genauso unsicher wie vorher.
Es gibt nur einen Typ von Geschworenen, den ich in diesem Fall vermeiden muß: den weißen, männlichen leitenden Angestellten. Diese Burschen sind tödlich in Fällen, in denen es um Entschädigungssummen geht. Sie neigen dazu, bei den Beratungen das Kommando zu übernehmen. Sie sind gebildet, tatkräftig und methodisch und halten nicht viel von Prozeßanwälten. Glücklicherweise sind sie gewöhnlich auch viel zu beschäftigt, um Geschworenenpflichten nachzukommen. Ich habe nur fünf auf meiner Liste ausfindig machen körnen, und ich bin sicher, jeder von ihnen wird ein Dutzend Gründe für seine Entlassung vorbringen. Unter anderen Umständen würde Kipler ihnen die Hölle heiß machen. Aber ich habe den starken Verdacht, daß auch Kipler diese Burschen nicht will. Ich würde mein überwältigendes Nettoeinkommen darauf verwetten, daß Seine Ehren schwarze Gesichter auf den Geschworenenbänken sehen möchte.
Ich bin sicher, daß mir, wenn ich in diesem Geschäft bleibe, eines Tages ein noch schmutzigerer Trick einfallen wird, aber im Augenblick kann ich mir nur schwer einen vorstellen. Ich habe eine Woche darüber nachgedacht und schließlich vor ein paar Tagen mit Deck darüber gesprochen. Er war sofort Feuer und Flamme.
Wenn Drummond und seine Bande mein Telefon abhören wollen, dann sollen sie auch etwas zu hören bekommen. Wir warten bis zum späten Nachmittag. Ich bin im Büro, Deck um die Ecke in einer Telefonzelle. Er ruft mich an. Wir haben dies mehrere Male geprobt, haben sogar einen Text.
«Rudy, Deck hier. Ich habe endlich Dean Goodlow gefunden.«
Goodlow ist weiß, männlich, Alter neununddreißig, College-Absolvent, besitzt eine Teppichreinigung. Er ist eine Null auf unserer Skala, eindeutig ein Geschworener, den wir nicht wollen. Drummond würde ihn mit Freuden nehmen.
«Wo?«frage ich.
«Habe ihn in seinem Büro erwischt. Er war eine Woche nicht in der Stadt. Wirklich ein netter Mann. Wir haben uns gründlich in ihm getäuscht. Er sagt, er kann Versicherungsgesellschaften nicht ausstehen, streitet sich ständig mit ihnen herum; er findet, sie müßten strengeren Vorschriften unterworfen werden. Ich habe ihm einiges über unseren Fall erzählt, und er ist buchstäblich in die Luft gegangen. Er wird einen großartigen Geschworenen abgeben. «Decks Bericht klingt ein bißchen unnatürlich, aber für den Uneingeweihten hört er sich glaubhaft an. Vermutlich liest er den Text ab.
«Was für eine Überraschung«, sage ich laut und deutlich ins Telefon. Ich will, daß Drummond keine Silbe entgeht.
Der Gedanke, daß Anwälte vor dem Auswahlprozeß mit potentiellen Geschworenen reden, ist unvorstellbar. Deck und ich haben uns Sorgen gemacht; unsere Kriegslist könnte so absurd sein, daß Drummond wissen würde, daß wir nur eine Schau abziehen. Aber wer wäre auch auf die Idee gekommen, daß ein Anwalt seinen Gegner mit Hilfe illegaler Abhörgeräte belauschen könnte? Außerdem sind wir zu dem Schluß gekommen, daß Drummond auf unser Spielchen hereinfallen würde, weil ich nur ein dämlicher Anfänger bin und Deck nichts ist als ein bescheidener Hilfsanwalt. Wir wissen es einfach nicht besser.
«War ihm unbehaglich zumute bei dem Gespräch?«
«Ein bißchen. Ich habe ihm erzählt, was ich auch den anderen gesagt habe. Ich bin nur ein Ermittler, kein Anwalt. Und wenn sie niemandem von unserer Unterhaltung erzählen, bekommt auch niemand Ärger.«
«Gut. Und Sie glauben, Goodlow steht auf unserer Seite?«
«Ganz bestimmt. Wir müssen ihn haben.«
Ich raschele neben dem Telefon mit ein paar Papieren.»Wen haben Sie noch auf Ihrer Liste?«frage ich laut.
«Einen Moment. «Ich kann hören, wie Deck gleichfalls mit Papier raschelt. Wir sind ein tolles Team.»Ich habe mit Dermot King, Jan DeCell, Lawrence Perotti, Hilda Hinds und RaTilda Browning gesprochen.«
Mit Ausnahme von RaTilda Browning sind das Weiße, die wir nicht in der Jury haben wollen. Wenn wir ihre Namen genügend einschwärzen, wird Drummond alles tun, um sie auszuschließen.
«Was ist mit Dermot King?«frage ich.
«Solide. Mußte einmal einen Versicherungsvertreter aus dem Haus werfen. Ich würde ihm eine Neun geben.«
«Und mit Perotti?«
«Toller Mann. Konnte einfach nicht glauben, daß eine Versicherungsgesellschaft tatsächlich einen Menschen umbringen kann. Er ist auf unserer Seite.«
«Jan DeCell?«
Weiteres Papierrascheln.»Einen Moment. Eine sehr nette Dame, die nicht viel reden wollte. Ich glaube, sie hatte Angst, es wäre nicht Rechtens oder so etwas. Wir haben uns über Versicherungsgesellschaften unterhalten, und ich habe ihr erzählt, daß Great Benefit vierhundert Millionen schwer ist. Ich glaube, sie wird für uns sein. Habe ihr eine Fünf gegeben.«