Ich bin überrascht, wie müde Drummond aussieht. Für einen Mann, der sein Leben in Gerichtssälen verbringt, sieht er ungewöhnlich mitgenommen aus. Gut. Ich hoffe, er hat ebenfalls das Wochenende durchgearbeitet.
«Mir fällt nichts ein«, sage ich. Keine Überraschung. Ich trage nur selten etwas zu diesen kleinen Zusammenkünften bei.
Drummond schüttelt den Kopf. Nein.
«Ist es möglich, die Kosten einer Knochenmarkstransplantation festzulegen?«fragt Kipler.»Wenn ja, könnten wir auf Gaskin als Zeugen verzichten. Soweit ich informiert bin, betragen sie ungefähr hundertfünfundsiebzigtausend Dollar.«
«Einverstanden«, sage ich.
Anwälte der Verteidigung verdienen mehr, wenn die Festlegung niedriger ist, aber Drummond hat hier nichts zu gewinnen.»Klingt vernünftig«, sagt er gleichgültig.
«Ist das ein Ja?«fragt Kipler ungehalten nach.
«Ja.«
«Danke. Und nun zu den anderen Kosten. Die dürften so etwa bei fünfundzwanzigtausend liegen. Können wir uns darauf einigen, daß sich der vom Kläger geforderte Schadenersatz auf zweihunderttausend Dollar beläuft? Können wir das?«Er funkelt Drummond regelrecht an.
«Einverstanden«, sage ich, und ich bin sicher, daß Drummond das ganz und gar nicht gefällt.
«Ja«, sagt Drummond.
Kipler notiert sich etwas auf seinem Block.»Danke. Sonst noch etwas, bevor wir anfangen? Was ist mit der Möglichkeit eines Vergleichs?«
«Euer Ehren«, sage ich entschlossen. Das ist gut geplant.»Namens meiner Mandanten möchte ich das Angebot machen, daß wir einem Vergleich über eine Summe von eins Komma zwei Millionen Dollar zustimmen würden.«
Anwälte der Verteidigung sind darauf trainiert, angesichts jedes Vergleichsvorschlags von einem Vertreter der Anklage Schock und Fassungslosigkeit zum Ausdruck zu bringen, und sie reagieren auf mein Angebot mit dem erwarteten Kopfschütteln und Räuspern und sogar einem leisen Kichern von jemandem hinter mir, wo sich die Hilfstruppen zusammendrängen.
«Das könnte Ihnen so passen«, sagt Drummond bissig. Ich habe den Eindruck, daß Drummond ziemlich kaputt ist. Als dieser Fall anfing, war er ganz der Gentleman, ein sehr verbindlicher Profi sowohl im Gerichtssaal als auch außerhalb. Jetzt benimmt er sich wie ein schmollender Teenager.
«Kein Gegenangebot, Mr. Drummond?«fragt Kipler.
«Unser Angebot steht bei zweihunderttausend.«
«Also gut, dann können wir anfangen. Jede Seite bekommt fünfzehn Minuten für ihr Eröffnungsplädoyer, aber natürlich brauchen Sie nicht die ganze Zeit in Anspruch zu nehmen.«
Ich habe mein Eröffnungsplädoyer schon ein dutzendmal gehalten — es dauert genau sechseinhalb Minuten. Die Geschworenen werden hereingeführt, von Seinen Ehren begrüßt, sie erhalten ein paar Instruktionen, dann werden sie mir überlassen.
Wenn ich so etwas sehr oft tue, werde ich vielleicht eines Tages ein gewisses Talent für Dramatik entwickeln. Aber das muß warten. Im Augenblick will ich es einfach hinter mich bringen. Ich halte einen Notizblock in der Hand, werfe einoder zweimal einen Blick darauf, und erzähle den Geschworenen von meinem Fall. Ich stehe neben dem Podium und sehe in meinem neuen grauen Anzug hoffentlich halbwegs anwaltsmäßig aus. Die Tatsachen sprechen so sehr zu meinen Gunsten, daß ich sie nicht breittreten will. Es gab eine Police, die Prämien wurden regelmäßig jede Woche gezahlt, sie schloß Donny Ray ein, er wurde krank, und dann wurde ihm ein Strick gedreht. Er starb aus offensichtlichen Gründen. Sie, die Geschworenen, werden Donny Ray kennenlernen, aber nur mittels eines Videobandes. Er ist tot. Bei diesem Prozeß geht es nicht nur darum, von Great Benefit einzufordern, was von Anfang an hätte gezahlt werden müssen, sondern auch, die Gesellschaft für ihre Missetat zu bestrafen. Es ist eine sehr reiche Gesellschaft, die ihr Geld damit gemacht hat, daß sie Prämien kassiert und Leistungsansprüche abgewiesen hat. Wenn alle Zeugen ausgesagt haben, werde ich mich wieder an Sie, die Geschworenen, wenden und Sie um eine hohe Geldstrafe für Great Benefit bitten.
Es ist sehr wichtig, diese Saat frühzeitig auszubringen. Ich will, daß sie wissen, daß wir aufs große Geld aus sind und daß Great Benefit es verdient hat, bestraft zu werden.
Das Eröffnungsplädoyer läuft glatt. Ich stottere und zittere nicht und provoziere auch keine Einsprüche von Drummond. Ich wette, Drummond wird fast während des gesamten Prozesses seinen Hintern nicht vom Stuhl erheben. Er will nicht von Kipler in Verlegenheit gebracht werden, nicht vor dieser Jury.
Ich lasse mich neben Dot nieder. Wir sind ganz allein an unserem langen Tisch.
Drummond begibt sich selbstsicher vor die Geschworenen mit einer Kopie der Police in der Hand. Es gelingt ihm ein dramatischer Start.»Dies ist die Police, die Mr. und Mrs. Black gekauft haben«, sagt er und hält sie hoch, damit jedermann sie sehen kann.»Und in dieser Police steht nirgends, daß Great Benefit für Transplantationen zahlen muß. «Eine lange Pause, damit das einsinken kann. Die Geschworenen mögen ihn nicht, aber er hat ihre Aufmerksamkeit erregt.»Diese Police kostet achtzehn Dollar pro Woche und deckt keine Knochenmarkstransplantationen ab, und trotzdem erwarteten die Kläger von meinem Mandanten, daß er zweihunderttausend Dollar zahlt für, Sie haben es erraten, eine Knochenmarkstransplantation. Mein Mandant hat sich geweigert, dies zu tun, nicht aus Böswilligkeit gegenüber Donny Ray Black. Für meinen Mandanten war es keine Sache auf Leben oder Tod, es ging lediglich darum, was diese Police abdeckt. «Er schwenkt die Police dramatisch und ziemlich effektvoll.»Sie wollen nicht nur die zweihunderttausend Dollar, auf die sie keinen Anspruch haben, sie wollen außerdem, daß mein Mandant zu einer zusätzlichen Zahlung von zehn Millionen Dollar verurteilt wird. Sie nennen das eine Geldstrafe. Ich nenne es absurd. Ich nenne es Habgier.«
Das macht Eindruck, aber es ist riskant. In der Police werden ausdrücklich sämtliche Organtransplantationen ausgeschlossen, aber Knochenmarkstransplantationen werden nicht erwähnt. Ihre Verfasser haben geschlafen und sie ausgelassen. In der neuen Police, die Max Leuberg mir gegeben hat, sind Knochenmarkstransplantationen explizit ausgeschlossen.
Die Strategie der Verteidigung wird deutlich. Anstatt leise zu treten, indem er zugibt, daß von irgendeiner inkompeten-ten Person tief im Innern in einer riesigen Gesellschaft ein Fehler gemacht worden ist, macht Drummond keinerlei Eingeständnisse. Er wird behaupten, daß Knochenmarkstransplantationen überaus unverläßlich sind, schlechte Medizin und keinesfalls eine akzeptierte und routinemäßige Behandlung bei akuter Leukämie.
Er hört sich an wie ein Arzt, der sich über die äußerst geringen Chancen ausläßt, einen geeigneten Spender zu finden, in manchen Fällen eins zu einer Million, und die ebenso geringen Chancen für eine erfolgreiche Transplantation. Er wiederholt sich ständig, indem er sagt:»Sie wird von der Police einfach nicht abgedeckt.«
Er beschließt, mich herauszufordern. Als er zum zweitenmal das Wort» Habgier «erwähnt, springe ich auf und erhebe Einspruch. Direkte Attacken haben im Eröffnungsplädoyer nichts zu suchen. Die kommen erst zum Schluß. Er darf den Geschworenen nur sagen, was seiner Meinung nach die Zeugenaussagen beweisen werden.
Der wunderbare Kipler sagt rasch:»Stattgegeben.«
Drummond blutet als erster.
«Tut mir leid, Euer Ehren«, sagt er aufrichtig. Er redet über seine Zeugen, wer sie sind und was sie aussagen werden. Er verliert Dampf und hätte nach zehn Minuten aufhören sollen. Nach fünfzehn Minuten ruft Kipler ihn zur Ordnung. Drummond muß Schluß machen und dankt den Geschworenen.
«Rufen Sie Ihren ersten Zeugen, Mr. Baylor«, sagt Kipler. Mir bleibt gar keine Zeit, Angst zu haben.