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Er betrachtet es, als hätte er es noch nie zuvor gesehen, identifiziert es aber, als ich ihn danach frage. Alle wissen, wie die nächste Frage lauten wird.

«Ist dies ein vollständiges Handbuch?«

Er blättert es langsam durch, läßt sich Zeit. Offensichtlich weiß er, wie es Lufkin gestern ergangen ist. Wenn er sagt, es wäre vollständig, und ich präsentiere ihm dann das Exemplar, das ich mir von Cooper Jackson ausgeliehen habe, dann ist er tot. Wenn er zugibt, daß etwas fehlt, dann muß er einen hohen Preis zahlen. Ich wette, Drummond hat sich für letzteres entschieden.

«Also, lassen Sie mich nachsehen. Es sieht vollständig aus, aber — nein, Moment mal. Hinten fehlt ein Abschnitt.«

«Könnte das Abschnitt U sein?«frage ich ungläubig.

«Ich glaube, ja.«

Ich tue so, als wäre ich verwundert.»Welchen Grund sollte jemand haben, Abschnitt U aus diesem Handbuch zu entfernen?«

«Ich weiß es nicht.«

«Wissen Sie, wer ihn entfernt hat?«

«Nein.«

«Natürlich nicht. Wer hat dieses spezielle Exemplar zur Aushändigung an mich ausgewählt?«

«Daran kann ich mich wirklich nicht erinnern.«

«Aber es ist offensichtlich, daß Abschnitt U entfernt wurde, bevor es mir übergeben wurde?«

«Er ist nicht vorhanden, wenn Sie darauf aus sind.«

«Ich bin auf die Wahrheit aus, Mr. Aldy. Bitte helfen Sie mir. Wurde Abschnitt U entfernt, bevor mir das Handbuch übergeben wurde?«

«Es sieht so aus.«

«Heißt das ja?«

«Ja. Der Abschnitt wurde entfernt.«

«Stimmen Sie mir zu, daß das Haftungshandbuch für die Arbeit in Ihrer Abteilung sehr wichtig ist?«

«Natürlich.«

«Also kennen Sie es sehr gut?«

«Ja.«

«Also würde es Ihnen ein Leichtes sein, für die Geschworenen den Inhalt von Abschnitt U zusammenzufassen, nicht wahr?«

«Oh, das weiß ich nicht. Es ist eine Weile her, seit ich das letzte Mal hineingeschaut habe.«

Er weiß immer noch nicht, ob ich eine Kopie des Abschnitts U aus dem Haftungshandbuch habe.»Weshalb versuchen Sie es nicht einfach? Skizzieren Sie für die Geschworenen kurz, was in Abschnitt U steht.«

Er denkt einen Moment nach, dann erklärt er, daß es in dem Abschnitt um ein System zu Kontrolle und Ausgleich zwischen Schadens- und Haftungsabteilung geht. Bestimmte Ansprüche müssen von beiden Abteilungen bearbeitet werden.

Um zu gewährleisten, daß ein Anspruch ordnungsgemäß abgewickelt wird, ist eine Menge Papierkram erforderlich. Er redet drauflos, jetzt mit etwas mehr Zuversicht, und da ich bisher noch keine Kopie des Abschnitts U hervorgeholt habe, fängt er an zu glauben, ich hätte sie nicht.

«Also besteht der Zweck des Abschnitts U darin, zu gewährleisten, daß jeder Anspruch ordnungsgemäß abgewik-kelt wird?«

«Ja.«

Ich greife unter den Tisch, hole das Handbuch hervor und begebe mich zum Zeugenstand.»Dann lassen Sie uns dies hier den Geschworenen erklären«, sage ich und gebe ihm das vollständige Handbuch. Er sackt ein bißchen zusammen. Drummond versucht, eine zuversichtliche Haltung zu bewahren, aber er schafft es nicht.

Der Abschnitt U des Haftungshandbuches ist genauso schmutzig wie der Abschnitt U des Schadenshandbuches, und nachdem ich Aldy eine Stunde lang zugesetzt habe, ist es Zeit, Schluß zu machen. Das System ist bloßgestellt, die Geschworenen kochen vor Wut.

Drummond hat keine Fragen. Kipler unterbricht für eine Viertelstunde, damit Deck und ich die Monitore aufstellen können.

Unser letzter Zeuge ist Donny Ray Black. Der Gerichtsdiener dämpft die Beleuchtung im Gerichtssaal, und die Geschworenen lehnen sich vor, begierig, sein Gesicht auf dem Fünfzig-Zentimeter-Bildschirm vor sich zu sehen. Wir haben seine Aussage auf einunddreißig Minuten gekürzt, und die Geschworenen lassen sich keines seiner gequälten und schwachen Worte entgehen.

Anstatt mir das zum hundertsten Male anzusehen, sitze ich dicht neben Dot und beobachte die Gesichter auf den Geschworenenbänken. Ich sehe sehr viel Mitgefühl. Dot wischt sich mit dem Handrücken die Wangen ab. Gegen Ende habe ich einen Kloß in der Kehle.

Als die Bildschirme leer sind und der Gerichtsdiener sich aufmacht, um das Licht wieder einzuschalten, ist es eine volle Minute lang sehr still im Saal. Im Halbdunkel ist das leise, aber unmißverständliche Geräusch des Weinens einer Mutter an unserem Tisch zu hören.

Wir haben all den Schaden angerichtet, den ich mir vorstellen konnte. Wir haben den Fall gewonnen. Jetzt besteht die Herausforderung darin, ihn nicht wieder zu verlieren.

Die Lichter gehen an, und ich verkünde feierlich:»Euer Ehren, die Anklage hat ihre Zeugenvernehmung abgeschlossen.«

Nachdem die Geschworenen längst gegangen sind, sitzen Dot und ich in einem leeren Gerichtssaal und unterhalten uns über die bemerkenswerten Aussagen, die wir im Verlauf der letzten beiden Tage gehört haben. Es wurde eindeutig bewiesen, daß sie im Recht ist und die anderen im Unrecht sind, aber das ist für sie nur ein geringer Trost. Sie wird gepeinigt ins Grab gehen, weil sie nicht härter gekämpft hat, als es noch zählte.

Sie sagt mir, ihr wäre es gleich, was als nächstes passiert. Sie hat ihren Tag vor Gericht gehabt. Sie würde am liebsten gleich verschwinden und nie wieder zurückkehren. Ich erkläre ihr, daß das unmöglich ist. Wir haben erst die Hälfte hinter uns. Nur noch ein paar T age.

Kapitel 46

Ich bin gespannt, wie Drummond seine Verteidigung einrichten wird. Wenn er weitere Leute aus der Zentrale anschleppt und versucht, ihr System der Abweisung von Ansprüchen hinwegzuerklären, riskiert er, noch mehr Schaden anzurichten. Er weiß, daß ich einfach den Abschnitt U hervorziehen und alle möglichen unangenehmen Fragen stellen werde. Es ist durchaus denkbar, daß irgendwo noch andere krasse Lügen und Verschleierungen versteckt sind. Der einzige Weg, sie ans Licht zu bringen, besteht in einem unerbittlichen Kreuzverhör.

Er hat achtzehn Leute als mögliche Zeugen benannt. Ich habe keine Ahnung, wen er als ersten aufrufen wird. Als ich meine Zeugen vernahm, verfügte ich über den Luxus, zu wissen, was als nächstes passieren, wer der nächste Zeuge, welches das nächste Dokument sein würde. Jetzt muß ich reagieren, und zwar schnell.

Am späten Abend rufe ich Max Leuberg in Wisconsin an und informiere ihn voller Genugtuung über die Ereignisse der ersten beiden Tage. Er gibt mir einige Ratschläge und stellt ein paar Vermutungen an, was als nächstes passieren könnte. Er ist Feuer und Flamme und sagt, es könnte gut sein, daß er sich in ein Flugzeug setzt und herkommt.

Ich wandere bis drei Uhr morgens in meiner Wohnung herum, führe Selbstgespräche und versuche mir vorzustellen, was Drummond unternehmen wird.

Als ich um halb neun im Gerichtssaal eintreffe, bin ich angenehm überrascht, Cooper Jackson dort vorzufinden. Er macht mich mit zwei weiteren Anwälten bekannt, beide aus Raleigh, North Carolina. Sie sind gekommen, um meinen Prozeß zu verfolgen. Wie lauft es? fragen sie. Ich liefere ihnen eine zurückhaltende Zusammenfassung dessen, was passiert ist. Einer der Anwälte war am Montag schon hier und hat das

Abschnitt-U-Drama verfolgt. Die drei zusammen haben bisher an die zwanzig Fälle. Sie haben in Zeitungen und anderen Medien inseriert, und ständig werden neue Fälle an sie herangetragen. Sie haben vor, schon sehr bald Klage einzureichen.

Cooper gibt mir eine Zeitung und fragt, ob ich sie schon gesehen habe. Es ist das Wall Street Journal, die Ausgabe vom Vortag, und auf der Titelseite steht ein Artikel über Great Benefit. Ich sage ihnen, daß ich seit einer Woche keine Zeitung mehr gelesen habe und nicht einmal weiß, welcher Tag heute ist. Sie kennen das Gefühl.

Ich lese den Artikel rasch durch. Er berichtet hauptsächlich über die wachsende Zahl von Beschwerden über Great Benefit und ihre Praxis, Ansprüche abzuweisen. Viele Staaten haben bereits Ermittlungen eingeleitet. Zahlreiche Klagen wurden eingereicht. Im letzten Absatz heißt es, daß jetzt ein gewisser kleiner Prozeß unten in Memphis aufmerksam verfolgt würde, weil er das erste substantielle Urteil gegen die Gesellschaft bringen könnte.