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Künftige Prozesse können nur schlechter ausgehen, sagen sie. Sie sind überzeugt, daß ein siebenstelliges Urteil herauskommen wird. Jackson hat zwölf Jahre lang Fälle verhandelt, bevor er sein erstes Eme-Million-Dollar-Urteil erreichte.

Sie erzählen Kriegsgeschichten, um mich zuversichtlich zu stimmen. Es ist eine angenehme Art, den Nachmittag zu verbringen. Deck und ich werden die Nacht durcharbeiten, aber im Augenblick genieße ich den Trost verwandter Seelen, die sich ehrlich wünschen, daß ich Great Benefit einen gewaltigen Denkzettel verpasse.

Jackson ist etwas bestürzt über Neuigkeiten aus Florida. Ein Anwalt dort konnte die Zeit nicht abwarten und hat heute morgen vier Klagen gegen Great Benefit eingereicht. Sie glaubten, der Mann würde sich ihrer konzertierten Aktion anschließen, aber offensichtlich hat ihn die Habgier gepackt. Nach dem heutigen Stand der Dinge vertreten diese drei Anwalte neunzehn Ansprüche gegen Great Benefit, und sie haben vor, die Klagen Anfang nächster Woche einzureichen.

Sie wollen mich aufmuntern. Sie wollen uns ein gutes Abendessen spendieren, aber wir müssen arbeiten. Das letzte, was ich heute abend gebrauchen kann, ist ein schweres Essen und Wein und Drinks hinterher.

Also essen wir im Büro ein paar Sandwiches und trinken Limonade. Ich deponiere Deck auf einem Stuhl in meinem Büro und probe mein Schlußplädoyer für die Geschworenen. Ich habe so viele Versionen davon memoriert, daß ich sie jetzt alle durcheinanderbringe. Ich benutze eine kleine Tafel und notiere die entscheidenden Zahlen. Ich bitte um Fairneß und fordere gleichzeitig eine horrende Geldsumme. Deck unterbricht mich häufig, und wir diskutieren wie Schulkinder.

Keiner von uns beiden hat je ein Schlußplädoyer vor einer Jury gehalten, aber er hat mehr gehört als ich, also ist er der Experte. Es gibt Augenblicke, in denen ich mir unbesiegbar vorkomme, regelrecht arrogant, weil ich es auf eine so phantastische Art bis hierher geschafft habe. Deck spürt diese Anmaßung und versetzt mir schnell einen Dämpfer. Er erinnert mich wiederholt daran, daß der Fall morgen früh immer noch gewonnen oder verloren werden kann.

Aber die meiste Zeit habe ich einfach Angst. Die Angst ist kontrollierbar, aber sie verläßt mich nie. Sie motiviert mich und spornt mich zum Weitermachen an, aber ich werde sehr glücklich sein, wenn ich sie los bin.

Gegen zehn schalten wir das Licht aus und fahren nach Hause. Ich trinke ein Bier als Einschlafhilfe, und es funktioniert. Irgendwann nach elf schlafe ich über den in meinem Kopf herumtosenden Erfolgsvisionen ein.

Kaum eine Stunde später läutet das Telefon. Es ist eine mir unbekannte Stimme, eine Frau, jung und sehr eindringlich.»Sie kennen mich nicht, aber ich bin eine Freundin von Kelly«, sagt sie fast füsternd.

«Was ist passiert?«frage ich und bin schlagartig wach.

«Kelly geht es nicht gut. Sie braucht Ihre Hilfe.«

«Was ist passiert?«frage ich noch einmal.

«Er hat sie wieder geschlagen. Kam betrunken nach Hause, das Übliche.«

«Wann?«Ich stehe im Dunkeln neben meinem Bett und versuche, den Lampenschalter zu finden.

«Gestern abend. Sie braucht Ihre Hilfe, Mr. Baylor.«

«Wo ist sie?«

«Hier bei mir. Nachdem die Polizei Cliff mitgenommen hatte, ist sie in eine Notfallklinik gefahren. Gott sei Dank ist nichts gebrochen. Ich habe sie dort abgeholt, und jetzt versteckt sie sich hier bei mir.«

«Wie schwer ist sie verletzt?«

«Es sieht ziemlich schlimm aus, aber keine gebrochenen Knochen. Schnittwunden und schwere Prellungen.«

Ich lasse mir ihren Namen und ihre Adresse geben, lege den Hörer auf und ziehe mich schnell an. Es ist eine große Wohnanlage, nicht weit von Kellys Wohnung entfernt, und ich fahre durch etliche Einbahnstraßen, bevor ich das richtige Gebäude gefunden habe.

Robin, die Freundin, öffnet die Tür bei vorgelegter Kette einen Spaltbreit, und ich muß mich ausweisen, bevor sie mich einläßt. Sie dankt mir, daß ich gekommen bin. Sie ist selbst noch sehr jung, vermutlich geschieden und für kaum mehr als den Mindestlohn arbeitend. Ich trete ins Wohnzimmer, einen kleinen Raum mit gemietetem Mobiliar. Kelly sitzt auf dem Sofa, mit einem Eisbeutel auf dem Kopf.

Ich kann nur vermuten, daß es die Frau ist, die ich kenne. Ihr linkes Auge ist vollständig zugeschwollen, die Haut darum herum verfärbt sich bereits blau. Über dem Auge sitzt ein Verband mit einem Blutfleck darauf. Beide Wangen sind geschwollen. Ihre Unterlippe ist aufgeplatzt und steht auf groteske Weise vor. Sie trägt ein langes T-Shirt, sonst nichts, und auf beiden Schenkeln und oberhalb der Knie zeigen sich große Quetschungen.

Ich beuge mich vor und küsse sie auf die Stirn, dann setze ich mich dicht vor ihr auf einen Schemel. Im rechten Auge ist bereits eine Träne.»Danke fürs Kommen«, murmelt sie. Wegen der verletzten Wangen und der aufgeplatzten Lippe kann sie kaum sprechen. Ich tätschele ihr sehr sanft das Knie. Sie streichelt meinen Handrücken.

Ich könnte ihn umbringen.

Robin, die neben ihr sitzt, sagt:»Sie sollte nicht sprechen, okay? Der Doktor hat gesagt, sowenig Bewegung wie möglich. Diesmal hat er seine Fäuste gebraucht. Er konnte den Baseballschläger nicht finden.«

«Wie ist es passiert?«frage ich Robin, sehe aber weiterhin Kelly an.

«Es war ein Kreditkartenstreit. Die Weihnachtsrechnungen mußten bezahlt werden. Er hatte eine Menge getrunken. Den Rest kennen Sie. «Der Bericht ist füssig, und ich vermute, daß Robin selbst schon einiges erlebt hat. Sie trägt keinen Ehering.»Sie streiten. Er gewinnt, wie gewöhnlich. Nachbarn rufen die Polizei. Er geht ins Gefängnis, sie geht zu einem Arzt. Möchten Sie eine Cola oder sonst etwas?«

«Nein, danke.«

«Ich habe sie gestern abend hierhergebracht, und heute morgen war ich mit ihr in einer Beratungsstelle für mißhandelte Frauen in der Innenstadt. Sie hat mit einem der Berater dort gesprochen, der ihr gesagt hat, was sie tun muß. Er hat ihr einen Haufen Broschüren gegeben. Sie liegen da drüben, falls Sie sie brauchen. Im Grunde läuft es darauf hinaus, daß sie die Scheidung einreichen und dann sofort verschwinden soll.«

«Ist sie fotografiert worden?«frage ich, immer noch ihr Knie streichelnd. Sie nickt. Jetzt sind auch aus dem zugeschwollenen Auge Tränen hervorgequollen und rinnen ihr über die Wangen.

«Ja, sie haben eine Menge Aufnahmen gemacht. Da ist noch einiges, was Sie nicht sehen können. Zeig es ihm, Kelly. Er ist dein Anwalt. Er muß es sehen.«

Mit Robins Hilfe kommt sie langsam auf die Beine, dreht mir den Rücken zu und hebt das T-Shirt bis über die Taille an. Es ist nichts darunter, nichts außer massiven Quetschungen auf ihrem Hinterteil und der Rückseite ihrer Beine. Das T-Shirt rutscht höher und enthüllt noch mehr Quetschungen auf ihrem Rücken. Das T-Shirt fällt herunter, und sie läßt sich vorsichtig wieder auf das Sofa nieder.

«Er hat sie mit einem Gürtel geschlagen«, erklärt Robin.»Hat sie über sein Knie gezwungen und dann auf sie eingeschlagen.«

«Haben Sie ein Kleenex?«frage ich Robin.

«Natürlich. «Sie gibt mir einen großen Karton, und ich tupfe Kelly sehr behutsam die Wangen ab.

«Was willst du jetzt tun, Kelly?«frage ich.

«Machen Sie Witze?«sagt Robin.»Sie muß die Scheidung einreichen. Wenn sie es nicht tut, bringt er sie um.«

«Ist das wahr? Reichen wir die Scheidung ein?«

Kelly nickt und sagt:»Ja. So schnell wie möglich.«

«Ich tue es gleich morgen früh.«

Sie drückt meine Hand und schließt das rechte Auge.

«Womit wir zum zweiten Problem kommen«, sagt Robin.»Hier kann sie nicht bleiben. Cliff ist heute morgen aus dem Gefängnis entlassen worden, und er hat angefangen, ihre Freundinnen anzurufen. Ich bin heute nicht zur Arbeit gegangen, was ich nicht noch einmal tun kann, und er hat mich gegen Mittag angerufen. Ich habe ihm gesagt, ich wüßte von nichts. Eine Stunde später hat er wieder angerufen und mich bedroht. Die arme Kelly hat nicht besonders viele Freundinnen, und es wird nicht lange dauern, bis er sie gefunden hat. Außerdem habe ich eine Mitbewohnerin; es geht einfach nicht.«