«Hält sie sich versteckt?«
«Ja.«
«Gut. Sie sind so verdammt blöde, daß sie ihr Leben bedrohen. Sie wissen nicht einmal, daß es gegen das Gesetz ist, so etwas zu tun. Ein ausgesprochen widerliches Volk.«
Wir sind uns alle drei einig, daß die Rikers ziemlich dumm und sehr gefährlich sind.
«Morgan will keine Anklage erheben«, fährt Vance fort. Morgan nickt.
«Es ist sehr einfach, Mr. Vance«, sage ich.»Sie können den Fall vor die Anklagejury bringen, und Sie können Glück haben und eine Anklage erreichen. Aber wenn es zum Prozeß kommt, werden Sie verlieren. Ich werde diesen verdammten Aluminiumschläger vor den Geschworenen schwenken. Ich werde ein Dutzend Experten für Mißhandlung im häuslichen Bereich in den Zeugenstand holen. Ich werde sie zu einem Symbol machen, und Sie und Ihre Leute werden sehr alt aussehen, wenn Sie versuchen, sie zu verurteilen. Kein einziger der zwölf Geschworenen wird für Sie stimmen.«
Ich fahre fort.»Mir ist es gleich, was seine Angehörigen tun. Aber wenn Sie sich von ihnen dazu drängen lassen, Anklage zu erheben, dann wird Ihnen das leid tun. Wenn die Geschworenen sie freisprechen, werden sie Sie sogar noch mehr hassen.«
«Er hat recht, Al«, sagt Morgan.»Es ist ausgeschlossen, daß sie verurteilt wird.«
Al war schon bereit, das Handtuch zu werfen, als er hier hereinkam, aber er wollte es erst von uns beiden hören. Er erklärt sich bereit, alle Anklagen fallenzulassen. Morgan verspricht, mir am späten Vormittag ein entsprechendes Schreiben zu faxen.
Ich danke ihnen und verschwinde. Meine Stimmung schlägt schnell um. Ich bin allein im Fahrstuhl, und ich sehe in dem polierten Messing über den Zahlenknöpfen, daß ich grinse. Alle Anklagen werden fallengelassen! Für immer!
Ich renne praktisch über den Parkplatz zu meinem Wagen.
Die Kugel wurde von der Straße her abgeschossen, durchschlug das Fenster im vorderen Büro, hinterließ ein säuberliches Loch von nicht mehr als anderthalb Zentimeter Durchmesser in der Scheibe und beendete ihre Reise tief in der Wand. Deck war zufällig im vorderen Büro, als er den Schuß hörte. Die Kugel verfehlte ihn um ungefähr drei Meter, aber das war nahe genug. Er rannte nicht sofort zum Fenster, sondern verkroch sich unter dem Tisch und wartete ein paar Minuten.
Dann verschloß er die Tür und wartete darauf, daß jemand kommen und nach ihm suchen würde. Es kam niemand. Das passierte gegen halb elf, während ich bei Al Vance war. Offenbar hat niemand den Schützen gesehen. Wenn jemand den Schuß gehört hat, werden wir es nie erfahren. In diesem Teil der Stadt hört man des öfteren Schüsse.
Decks erster Anruf galt Butch, der noch schlief. Zwanzig Minuten später war er im Büro, schwer bewaffnet, und bemühte sich, Deck zu beruhigen.
Als ich eintreffe, untersuchen sie gerade das Loch in der Scheibe, und Deck berichtet mir, was passiert ist. Ich bin sicher, daß Deck sogar herumzappelt, wenn er tief schläft, aber jetzt zittert er heftig am ganzen Leibe. Er sagt uns, er wäre in Ordnung, aber seine Stimme klingt schrill. Butch sagt, er wird unten direkt unter dem Fenster warten und sie schnappen, wenn sie zurückkommen. Er hat zwei Schrotflinten in seinem Wagen und ein AK-47-Sturmgewehr. Gott helfe den Rikers, falls sie noch einmal versuchen sollten, im Vorbeifahren zu schießen.
Ich kann Booker nicht telefonisch erreichen. Er ist nicht in der Stadt und führt zusammen mit Marvin Shankle Vernehmungen durch, also schreibe ich ihm einen kurzen Brief, in dem ich verspreche, mich später zu melden.
Deck und ich entscheiden uns für einen privaten Lunch, weit weg von den bewundernden Massen, außer Reichweite von herumfiegenden Kugeln. Wir kaufen uns Sandwiches und essen in Miss Birdies Küche. Butch sitzt in seinem Wagen, der auf der Einfahrt hinter meinem Volvo steht. Er wird ziemlich enttäuscht sein, wenn er keine Gelegenheit findet, seine AK-47 abzufeuern.
Der wöchentliche Reinigungsdienst war gestern hier, das Haus ist also sauber, und der schimmlige Geruch ist vorübergehend verschwunden. Es steht bereit für Miss Birdie.
Der Handel, den wir abschließen, ist schmerzlos und simpel. Deck bekommt die Akten, die er haben will, und ich bekomme zweitausend Dollar, zahlbar innerhalb von neunzig Tagen. Wenn es sein muß, wird er sich mit anderen Anwälten zusammentun. Außerdem kann er diejenigen meiner Fälle verhökern, die er nicht haben will. Die Inkassoakten von Ruffin's gehen an Booker zurück. Das wird ihm nicht gefallen, aber er wird darüber hinwegkommen.
Das Durchsehen der Akten ist einfach. Es ist ein Jammer, wie wenige Fälle und Mandanten wir in den letzten sechs Monaten aufgetan haben.
Die Kanzlei hat dreitausendvierhundert Dollar auf der Bank und ein paar offene Rechnungen.
Wir einigen uns über die Details, während wir essen, und der geschäftliche Aspekt der Trennung ist leicht. Nicht dagegen das persönliche Auseinandergehen. Deck hat keine Zukunft. Er kann das Anwaltsexamen nicht bestehen, und er kann nirgendwo hingehen. Er wird ein paar Wochen damit verbringen, meine Fälle abzuwickeln, aber ohne einen Bruiser oder einen Rudy, die ihm eine Fassade liefern, kann er nichts unternehmen. Das wissen wir beide, aber es bleibt unausgesprochen.
Er gesteht mir, daß er pleite ist.»Glücksspiel?«frage ich.
«Ja. Es sind die Casinos. Kann mich einfach nicht von ihnen fernhalten. «Er ist jetzt entspannt, scheinbar die Ruhe selbst. Er beißt ein großes Stück von einer Gewürzgurke ab und zermalmt es laut.
Als wir im letzten Sommer unsere Kanzlei eröffneten, hatten wir gerade jeweils einen gleich hohen Anteil aus dem Van-Lan-del-Vergleich erhalten. Jeder hatte fünftausendfünfhundert Dollar, und jeder hat zweitausend eingebracht. Ich war ein paarmal gezwungen, meine Ersparnisse anzugreifen, aber ich habe immer noch zweitausendachthundert auf der Bank. Ich habe Geld gespart, indem ich sehr bescheiden lebte und soviel wie möglich auf die hohe Kante legte. Auch Deck gibt sein Geld nicht aus. Er verschleudert es an den Black-Jack-Tischen.
«Ich habe gestern abend mit Bruiser gesprochen«, sagt er, und ich bin nicht überrascht.
«Wo ist er?«
«Auf den Bahamas.«
«Ist Prince bei ihm?«
«Ja.«
Das ist eine gute Nachricht, und es freut mich, das zu hören. Ich bin sicher, Deck weiß es bereits seit geraumer Zeit.
«Sie haben es also geschafft«, sage ich, schaue zum Fenster hinaus und versuche, mir die beiden mit Strohhüten und Son-nenbrillen vorzustellen. Schließlich haben sie hier praktisch im Dunkeln gelebt.
«Ja. Ich weiß nicht, wie. Nach manchen Dingen fragt man nicht. «Decks Gesicht macht einen leeren Eindruck. Er ist tief in Gedanken versunken.»Das Geld ist immer noch hier.«
«Wieviel?«
«Vier Millionen in bar. Das ist das, was sie von den Clubs abgesahnt haben.«
«Vier Millionen?«
«Ja. Im Keller eines Lagerhauses versteckt. Hier in Memphis.«
«Und wieviel haben sie Ihnen angeboten?«
«Zehn Prozent. Wenn es mir gelingt, es nach Miami zu bringen. Bruiser sagt, das Weitere könnte er selber bewerkstelligen.«
«Tun Sie es nicht, Deck.«
«Es ist ungefährlich.«
«Sie werden erwischt werden und ins Gefängnis kommen.«
«Glaube ich nicht. Die Feds haben die Sache abgehakt. Von dem Geld haben sie keine Ahnung. Alle nehmen an, daß Bruiser genug mitgenommen hat und nicht noch mehr braucht.«
«Braucht er denn noch mehr?«
«Das weiß ich nicht. Aber er will es unbedingt haben.«
«Tun Sie es nicht, Deck.«
«Es ist ein Kinderspiel. Das Geld paßt in einen kleinen U-Haul-Laster. Bruiser sagt, das Einladen dauert höchstens zwei Stunden. Dann mit dem U-Haul nach Miami und dort auf weitere Anweisungen warten. Dazu brauche ich zwei Tage, und dann bin ich aus allem raus.«
Seine Stimme klingt, als wäre er weit fort. Ich bezweifle nicht im geringsten, daß Deck es versuchen wird. Er und Bruiser haben das geplant. Aber ich habe genug gesagt. Er hört ohnehin nicht auf mich.