«Wie nett«, sagt sie abermals und stellt die beiden Tassen auf den Tisch. Es steigt kein Dampf aus ihnen auf. Meine Tasse ist nur lauwarm. Der Kaffee schmeckt schwach, schal und fade.
«Guter Kaffee«, sage ich und schmatze anerkennend mit den Lippen.
«Danke. Sie wollen also Ihre eigene kleine Kanzlei aufmachen?«
«Ich denke noch darüber nach. Es wird hart sein, jedenfalls in der ersten Zeit. Aber wenn ich hart arbeite und die Leute anständig behandle, dann bekomme ich bestimmt auch bald genügend Mandanten.«
Sie lächelt aufrichtig und schüttelt langsam den Kopf.»Das ist ja wundervoll, Rudy. Wie mutig. Ich glaube, die Branche braucht mehr junge Leute wie Sie.«
Ich bin so ziemlich das letzte, was die Branche braucht — ein junger Geier mehr, der durch die Straßen streift und dafür zu sorgen versucht, daß irgend etwas passiert, damit er aus Leuten, die selbst nichts haben, ein paar Dollar herausquetschen kann.
«Sie fragen sich vielleicht, weshalb ich gekommen bin«, sage ich und trinke einen Schluck Kafee.
«Ich freue mich so, daß Sie gekommen sind.«
«Ja, also, es ist wirklich schön, Sie wiederzusehen. Aber ich wollte mit Ihnen über Ihr Testament sprechen. Ich konnte letzte Nacht kaum schlafen, weil ich immer an Ihren Nachlaß denken mußte.«
Ihre Augen werden feucht. Sie ist gerührt.
«Ein paar Dinge sind besonders problematisch«, erkläre ich mit meinem besten Anwaltsstirnrunzeln. Ich hole einen Stift aus der Tasche und halte ihn hoch, als wollte ich mich ins Gefecht stürzen.»Erstens, und bitte verzeihen Sie, daß ich das sage, aber es macht mir wirklich zu schaffen, wenn ich erleben muß, wie Sie oder irgendein anderer Mandant zu so drastischen Maßnahmen gegen seine Angehörigen greift. Ich finde, das ist etwas, worüber wir ausführlich reden sollten. «Ihre Lippen verspannen sich, aber sie sagt nichts.»Zweitens, und auch hier müssen Sie mir verzeihen, aber ich könnte nicht mit mir selbst als Anwalt leben, wenn ich das nicht erwähnen würde, habe ich große Probleme damit, ein Testament oder eine andere Verfügung aufzusetzen, die den größten Teil eines Nachlasses einem Fernsehstar zukommen läßt.«
«Er ist ein Mann Gottes«, sagt sie mit Nachdruck, sofort bereit, die Ehre des Reverend Kenneth Chandler zu verteidigen.
«Ich weiß. Gut. Aber weshalb wollen Sie ihm alles geben, Miss Birdie? Weshalb nicht fünfundzwanzig Prozent, einen vernünftigen Anteil?«
«Er hat eine Menge Unkosten. Und sein Jet ist schon ziemlich alt. Das hat er mir alles erzählt.«
«Okay, aber der Herr erwartet doch sicher nicht von Ihnen, daß Sie für die Unkosten des Reverend aufkommen, oder etwa doch?«
«Was der Herr von mir erwartet, ist meine Sache und geht Sie nichts an.«
«Natürlich nicht. Ich will ja nur darauf hinaus, und ich bin sicher, das wissen Sie auch, Miss Birdie, daß schon eine Menge von diesen Burschen ziemlich tief gefallen sind. Sie wurden mit Frauen erwischt, die nicht ihre Ehefrauen waren, oder man ist ihnen drauf gekommen, daß sie Millionen für ein schönes Leben verschwendet haben — Häuser, Autos, Urlaubsreisen, schicke Anzüge. Viele von diesen Leuten sind Ganoven.«
«Er ist kein Ganove.«
«Das habe ich auch nicht behauptet.«
«Was wollen Sie dann damit andeuten?«
«Nichts«, sage ich und trinke nun doch einen großen Schluck. Sie ist nicht wütend, aber es fehlt nicht viel daran.»Ich bin hier als Ihr Anwalt, Miss Birdie, das ist alles. Sie haben mich gebeten, ein Testament für Sie aufzusetzen, und es ist meine Pflicht, mich mit allen Punkten dieses Testaments eingehend zu beschäftigen. Diese Verantwortung nehme ich sehr ernst.«
Die zahllosen Fältchen um ihren Mund herum entspannen sich, und ihr Blick wird wieder weicher.»Wie nett«, sagt sie.
Ich nehme an, viele reiche alte Leute wie Miss Birdie, besonders diejenigen, die die Wirtschaftskrise durchlitten und ihr Geld selbst verdient haben, würden ihr Vermögen mit Hilfe von Buchhaltern, Anwälten und unfreundlichen Bankern wie ihren Augapfel bewachen. Aber nicht Miss Birdie. Sie ist naiv und vertrauensselig wie eine arme Witwe, die von einer Rente lebt.»Er braucht das Geld«, sagt sie, trinkt einen Schluck und mustert mich ziemlich argwöhnisch.
«Können wir über das Geld reden?«
«Warum wollt ihr Anwälte immer über Geld reden?«
«Aus einem sehr guten Grund, Miss Birdie. Wenn Sie nicht vorsichtig sind, dann bekommt die Regierung einen großen Batzen davon. Es gibt gewisse Möglichkeiten, das Geld anzulegen und den Nachlaß so zu planen, daß Sie eine Menge Steuern sparen können.«
Das ärgert sie.»Ich verstehe nichts von diesem juristischen Kram.«
«Deshalb bin ich ja hier, Miss Birdie.«
«Ich nehme an, Sie wollen, daß in dem Testament irgendwo Ihr Name steht«, sagt sie, immer noch mit dem juristischen Problem beschäftigt.
«Natürlich nicht«, sage ich, bemüht, einen schockierten Eindruck zu machen und gleichzeitig meine Überraschung zu verbergen, daß ich ertappt worden bin.
«Die Anwälte versuchen immer, ihren Namen in meine Testamente zu bekommen.«
«Das tut mir leid, Miss Birdie. Es gibt eine Menge unehrliche Anwälte.«
«Genau das hat Reverend Chandler auch gesagt.«
«Das bezweifle ich nicht. Hören Sie, ich will nicht sämtliche Einzelheiten wissen, aber könnten Sie mir sagen, ob das Geld in Grundbesitz angelegt ist, in Aktien oder anderen Wertpapieren oder ob es sich um Barvermögen handelt? Für die Nachlaßplanung ist es äußerst wichtig, zu wissen, wie das Geld angelegt ist.«
«Es befindet sich alles an einem Ort.«
«Okay. Wo?«
«In Atlanta.«
«Atlanta?«
«Ja. Das ist eine lange Geschichte, Rudy.«
«Weshalb erzählen Sie sie mir nicht?«
Anders als bei unserem gestrigen Gespräch in Cypress Gardens steht Miss Birdie jetzt nicht unter Zeitdruck. Sie hat nichts anderes zu tun. Kein Bosco weit und breit. Sie hat kein Abräumen nach dem Lunch zu beaufsichtigen, braucht nicht bei Brettspielen den Schiedsrichter zu spielen.
Also dreht sie langsam ihre Kaffeetasse in den Händen, starrt vor sich auf den Tisch und denkt nach.»Niemand weiß etwas davon«, sagt sie sehr leise, wobei ihr Gebiß ein- oder zweimal klickt.»Jedenfalls niemand in Memphis.«
«Weshalb nicht?«frage ich, vielleicht eine Spur zu eifrig.
«Meine Kinder wissen nichts davon.«
«Sie wissen nichts von dem Geld?«frage ich ungläubig.
«Oh, sie wissen über einen Teil davon Bescheid. Thomas hat schwer gearbeitet und eine Menge gespart. Als er vor elf Jahren starb, hat er mir fast hunderttausend an Ersparnissen hinterlassen. Meine Söhne, und vor allem ihre Frauen, sind überzeugt, daß es jetzt ungefähr fünfmal soviel ist. Aber sie wissen nichts von Atlanta. Soll ich Ihnen noch einen Kaffee machen?«Sie ist bereits auf den Beinen.
«Gern. «Sie trägt meine Tasse zum Tresen, gibt kaum mehr als einen halben Teelöffel voll Kaffee hinein und lauwarmes Wasser nach, dann kehrt sie an den Tisch zurück. Ich rühre darin herum, als erwartete ich den phantastischen Duft eines Cappuccinos.
Unsere Blicke begegnen sich, und ich bin ganz Mitgefühl.
«Hören Sie, Miss Birdie. Wenn das alles für Sie zu schmerzlich ist, können wir ja auf die Einzelheiten verzichten und uns auf die wichtigsten Punkte konzentrieren.«
«Es ist ein Vermögen. Was sollte daran schmerzlich sein?«
Nun, das ist genau das, was ich denke.»Gut. Dann sagen Sie mir, ganz allgemein, wie das Geld angelegt ist. Wichtig ist vor allem etwaiger Grundbesitz. «Das stimmt. Erbschaftssteuern werden in der Regel immer erst mal aus Barvermögen und leicht flüssigzumachenden Investitionen beglichen. An den Grundbesitz gehen die Leute nur, wenn es sich gar nicht mehr anders machen läßt. Hinter meinen Fragen steckt also mehr als bloße Neugierde.