«Ich habe nie jemandem etwas über das Geld erzählt«, sagt sie, immer noch mit sehr leiser Stimme.
«Aber gestern haben Sie gesagt, Sie hätten mit dem Reverend Chandler darüber gesprochen.«
Es folgt eine lange Pause, während deren sie ihre Tasse auf der Resopalplatte hin und her dreht.»Ja, das stimmt. Aber ich glaube nicht, daß ich ihm alles gesagt habe. Vielleicht habe ich ein bißchen gelogen. Und ich habe ihm ganz bestimmt nicht gesagt, von wem es stammt.«
«Okay. Und von wem stammt es?«
«Von meinem zweiten Mann.«
«Ihrem zweiten Mann?«
«Ja. Tony.«
«Thomas und Tony.«
«Ja. Ungefähr zwei Jahre nachdem Thomas gestorben war, habe ich Tony geheiratet. Er kam aus Atlanta und war sozusagen auf der Durchreise in Memphis, als wir uns kennenlernten. Wir haben fünf Jahre lang mehr oder weniger zusammengelebt und uns ständig gestritten, dann hat er sich davongemacht und ist nach Hause zurückgekehrt. Er war ein Faulenzer, der es nur auf mein Geld abgesehen hatte.«
«Das verstehe ich jetzt aber nicht. Sie hatten doch gesagt, das Geld käme von Tony.«
«Das stimmt auch. Nur hat er nichts davon gewußt. Das ist eine lange Geschichte. Es gab da ein paar Erbschaften und solches Zeug, von denen Tony nichts wußte und ich auch nicht. Er hatte einen reichen Bruder, der verrückt war, eigentlich war die ganze Familie verrückt, und kurz bevor Tony starb, erbte er von seinem verrückten Bruder ein Vermögen. Ich meine, zwei Tage, bevor Tony den Löffel abgab, ist sein Bruder in Florida gestorben. Tony hat kein Testament hinterlassen, nur eine Ehefrau. Mich. Und deshalb hat man sich von Atlanta aus mit mir in Verbindung gesetzt, eine große Anwaltskanzlei war das, und mir mitgeteilt, daß ich nach den Gesetzen des Staates Georgia jetzt eine Menge Geld besäße.«
«Wieviel Geld?«
«Wesentlich mehr, als Thomas mir hinterlassen hat. Jedenfalls habe ich nie jemandem etwas davon erzählt. Bis jetzt. Sie werden es doch nicht verraten, oder, Rudy?«
«Miss Birdie, als Ihr Anwalt unterliege ich der Schweigepflicht. Kein Anwalt darf über das reden, was ein Mandant ihm anvertraut hat.«
«Wie nett.«
«Weshalb haben Sie Ihrem vorigen Anwalt nichts von dem Geld erzählt?«frage ich.
«Ach, der. Dem habe ich nicht vertraut. Ich nannte ihm nur die Summen für die Legate, aber wieviel es genau war, habe ich ihm nicht gesagt. Sobald er begriffen hatte, daß ich im Geld schwimme, wollte er, daß ich ihn auch mit bedenke.«
«Aber Sie haben ihm nie alles erzählt?«
«Nie.«
«Sie haben ihm nicht gesagt, wieviel Sie besitzen?«
«Nein.«
Wenn ich richtig gerechnet habe, enthielt ihr altes Testament Legate in einer Gesamthöhe von mindestens zwanzig Millionen Dollar. Soviel zumindest muß dem Anwalt auch bekannt gewesen sein, schließlich hat er das Testament aufgesetzt. Fragt sich nur, wieviel genau besitzt die kostbare kleine Frau hier denn nun wirklich?
«Wollen Sie mir sagen, wieviel es ist?«
«Vielleicht morgen, Rudy. Vielleicht morgen.«
Wir verlassen die Küche und begeben uns auf die Hinterveranda. Sie hat einen neuen Springbrunnen neben den Rosen-
sträuchern, den sie mir zeigen will. Ich bewundere ihn hingerissen.
Jetzt weiß ich Bescheid. Miss Birdie ist eine reiche alte Dame, aber sie will nicht, daß es irgend jemand erfährt, schon gar nicht ihre Angehörigen. Sie hat immer in guten Verhältnissen gelebt, und jetzt erregt sie keinerlei Verdacht — sie ist eine achtzigjährige Witwe, die von ihren mehr als ausreichenden Ersparnissen lebt.
Wir sitzen auf schmiedeeisernen Bänken und trinken im Dunkeln kalten Kaffee, bis ich endlich genügend Vorwände beisammen habe, um mit Anstand flüchten zu können.
Um meinen gehobenen Lebensstandard zu finanzieren, habe ich in den vergangenen drei Jahren als Barmann und Kellner im Yogi's gearbeitet, einer Studentenkneipe ganz in der Nähe des Campus. Sie ist berühmt für ihre saftigen Onionburger und ihr Märzenbier am Tag des heiligen Patrick. Es ist ein lauter Laden, wo die Zeit zwischen Lunch und Feierabend nur eine lange happy hour ist. Krüge mit wäßrigem Light-Bier kosten beim» Monday Night Football «einen Dollar, bei jedem anderen Ereignis zwei Dollar.
Die Kneipe gehört Prince Thomas, einem Rumtrinker mit massigem Körper und einem noch größeren Ego. Prince ist eine der bekannteren Persönlichkeiten in der Stadt, ein echter Unternehmer, dem es Spaß macht, sein Bild in den Zeitungen zu sehen und in den Spätnachrichten. Er organisiert Sauftouren und Wahlen zur Miss Nasses T-Shirt. Bei der Stadtverwaltung hat er einen Antrag gestellt, daß Kneipen wie seine die ganze Nacht geöffnet bleiben dürfen. Die Stadtverwaltung ihrerseits hat ihn verschiedener Sünden wegen verklagt. Er genießt das. Nennen Sie ihm ein Laster, und er wird ein paar Leute zusammentrommeln und versuchen, es zu legalisieren.
Prince läßt uns bei Yogi's ziemlich freie Hand. Wir, die Angestellten, bestimmen unsere Arbeitszeiten selbst, kassieren unsere Trinkgelder, halten ohne viel Einmischung von seiner Seite den Betrieb in Gang. Das ist nicht sonderlich schwierig. Man muß nur dafür sorgen, daß genügend Bier vorn und genügend Hackfleisch in der Küche ist, dann läuft der Laden mit erstaunlicher Präzision. Prince zieht es vor, die Honneurs zu machen. Er begrüßt die hübschen Studentinnen und geleitet sie zu ihren Plätzen. Er flirtet mit ihnen und macht sich dabei in der Regel zum Narren. Besonders gern sitzt er an einem Tisch in der Nähe des großen Fernsehers und nimmt Wetten auf die Spiele an. Er ist ein gewaltiger Mann mit kräftigen Armen und bricht schon mal eine Schlägerei vom Zaun.
Prince hat auch eine dunklere Seite. Gerüchten zufolge mischt er in der Pornoszene mit. Die Oben-ohne-Clubs sind eine prosperierende Industrie in dieser Stadt, und seine angeblichen Partner haben lange Vorstrafenregister. Stand alles in den Zeitungen. Zweimal mußte er vor Gericht, wegen Glücksspiel und wegen Buchmacherei, aber beide Jurys haben sich hoffnungslos festgefahren. Nachdem ich drei Jahre für ihn gearbeitet habe, bin ich von zweierlei überzeugt: Erstens, daß Prince von den Rechnungen bei Yogi's den größten Teil der Einnahmen abschöpft. Meiner Schätzung nach sind es mindestens zweitausend pro Woche, hunderttausend im Jahr. Zweitens benutzt Prince Yogi's als Fassade für sein eigenes, korruptes kleines Imperium. Er benutzt es als Geldwäscherei und weist jedes Jahr Verluste aus, die er dann schön von der Steuer absetzen kann. Sein Büro hat er im Keller, einen ziemlich geschützten, fensterlosen Raum, in dem er sich mit seinen Kumpanen trifft.
Mich kümmert das nicht im geringsten. Zu mir war er immer nett. Ich bekomme fünf Dollar die Stunde, und ich arbeite ungefähr zwanzig Stunden pro Woche. Unsere Gäste sind Studenten, deshalb fallen die Trinkgelder bescheiden aus. Wenn ich Prüfungen habe, kann ich mir meine Arbeitszeiten danach einteilen. Täglich fragen hier mindestens fünf Studenten nach Arbeit, deshalb schätze ich mich glücklich, daß ich diesen Job habe.
Und abgesehen davon, was es sonst noch alles sein mag, ist Yogi's eine super Studentenkneipe. Prince hat es schon vor Jahren in Blau und Grau, den Farben der Memphis State, dekorieren lassen, und überall an den Wänden hängen Mannschaftswimpel und gerahmte Fotos von Sportstars. Außerdem liegt es nur wenige Minuten vom Campus entfernt, und die
Kids kommen scharenweise, um stundenlang zu reden, zu lachen und zu flirten.
Heute abend sieht er sich ein Spiel an. Die Baseball-Saison hat gerade erst begonnen, aber Prince ist schon jetzt überzeugt, daß die Braves in die Endausscheidung kommen werden. Er wettet auf alles, aber sein Favorit sind die Braves. Es spielt keine Rolle, gegen wen sie spielen und wo, wer wirft und wer verletzt ist — Prince setzt auf die Braves.