Die Gänseleberpastete vergammelte, als ich sie eines Nachts nach ausgedehntem Genuß von billigem Bier oben auf dem Kühlschrank stehenließ. Mein Weihnachtsessen nahm ich allein in meiner verdunkelten Wohnung ein. Es bestand aus Käse und Champagner. Der Kaviar blieb unangerührt. Ich hockte auf meinem durchgesessenen Sofa und starrte auf den Schmuck, der vor mir auf dem Fußboden lag. Während ich an großen Stücken Brie nagte und den Schampus trank, wanderte mein Blick von den Weihnachtsgeschenken zum Foto meiner Geliebten, und ich weinte.
Irgendwann zwischen Weihnachten und Neujahr riß ich mich zusammen und nahm mir vor, die teuren Geschenke an die Geschäfte zurückzugeben, in denen ich sie erstanden hatte. Ich spielte mit dem Gedanken, sie von einer Brücke aus ins Wasser zu werfen oder eine andere ähnlich dramatische Tat zu begehen. Aber in Anbetracht meiner damaligen seelischen Verfassung hielt ich es für besser, mich von Brücken fernzuhalten.
Es war der Tag nach Neujahr. Ich kehrte nach einem langen Spaziergang in meine Wohnung zurück und stellte fest, daß Einbrecher dagewesen waren. Die Tür war aufgebrochen worden. Die Diebe hatten meinen alten Fernseher und die Stereoanlage mitgehen lassen, ein Glas mit Vierteldollarstücken, das auf meiner Kommode stand, und natürlich den Schmuck, den ich für Sara gekauft hatte.
Ich rief die Polizei an und füllte die Formulare aus. Ich zeigte ihr die Kreditkartenquittungen. Der Sergeant schüttelte nur den Kopf und riet mir, mich an meine Versicherung zu wenden.
Ich habe mehr als dreitausend Dollar Plastikgeld ausgegeben. Es ist an der Zeit, die Sache zu bereinigen.
Die Zwangsräumung ist für morgen vorgesehen. Das Konkursrecht enthält eine wundervolle Klausel, die bei sämtlichen juristischen Verfahren gegen einen Schuldner einen automatischen Aufschub gewährt. Das ist der Grund, weshalb große, reiche Firmen, eingeschlossen meine Freunde von der Texaco, sofort zum Konkursgericht rennen, wenn sie vorübergehend Schutz benötigen. Mein Hauswirt darf mich morgen nicht anrühren; er darf mich nicht einmal anrufen und beschimpfen. Ich trete aus dem Fahrstuhl und hole tief Luft. Auf den Fluren wimmelt es von Anwälten. Es gibt drei Richter, die ausschließlich für Konkursverfahren zuständig sind, und ihre Gerichtssäle befinden sich in diesem Stockwerk. Sie setzen täglich Dutzende von Anhörungen an, und bei jeder Anhörung ist eine Gruppe von Anwälten zugegen; einer für den Schuldner und mehrere für die Gläubiger. Es ist der reinste Zoo. Im Vorbeigehen höre ich Dutzende von wichtigen Konferenzen, Anwälte, die über unbezahlte Arztrechnungen streiten und darüber, wieviel der Kleinlaster wert ist. Ich betrete das Büro des Kanzleivorstehers und warte zehn Minuten, während die Anwälte vor mir sich beim Einreichen ihrer Anträge Zeit lassen. Sie kennen die Amtssekretärinnen gut, und es gibt eine Menge Geflirte und haufenweise dumme Sprüche. Jetzt wäre ich gern auch so ein wichtiger Konkursanwalt und könnte mich von den Mädchen hier Fred oder Sonny nennen lassen.
Im vorigen Jahr hat uns ein Professor gesagt, in Anbetracht der unsicheren Zeiten, der wachsenden Arbeitslosigkeit und des Stellenabbaus bei den großen Firmen sei Konkursrecht die Wachsrumsindustrie der Zukunft. Und das von einem Mann, der nie in einer privaten Kanzlei eine Stunde in Rechnung gestellt hat.
Aber heute sieht es tatsächlich lukrativ aus. Links und rechts von mir werden Konkursanträge eingereicht. Jedermann geht pleite.
Ich händige meinen Papierkram einer überlasteten Sekretärin aus, einer hübschen Person mit dem Mund voll Kaugummi. Sie wirft einen Blick darauf, dann mustert sie mich eingehend. Ich trage ein Jeanshemd und eine Khakihose.
«Sind Sie Anwalt?«fragt sie ziemlich laut, und ich sehe, wie Leute sich zu mir umdrehen.
«Nein.«
«Sie sind der Schuldner?«fragt sie noch lauter und kaut schmatzend.
«Ja«, erwidere ich schnell. Ein Schuldner, der nicht Anwalt ist, kann seinen Antrag selbst einreichen, aber dafür wird nirgendwo Reklame gemacht.
Sie nickt beifällig und stempelt den Antrag ab.»Die Gebühr beträgt achtzig Dollar.«
Ich gebe ihr vier Zwanziger. Sie nimmt das Geld und betrachtet es argwöhnisch. In meinem Antrag ist kein Konto aufgeführt, weil ich es gestern gelöscht und damit einen Aktivposten im Werte von 11,84 Dollar aus der Welt geschafft habe.
Meine anderen aufgeführten Aktiva sind: ein stark abgenutzter Toyota — 500 Dollar; verschiedene Möbel und Einrichtungsgegenstände — 150 Dollar. CD-Sammlung — 200 Dollar; juristische Bücher — 125 Dollar; Kleidung — 150 Dollar. All diese Dinge gelten als persönliche Habe und können deshalb nicht in das Verfahren einbezogen werden, das ich gerade in Gang gesetzt habe. Ich werde sie alle behalten können, aber ich muß den Toyota auch weiterhin abbezahlen.
«Bargeld, wie?«sagt sie, dann füllt sie eine Quittung aus.
«Ich habe kein Bankkonto«, brülle ich sie fast an, zum Nutz und Frommen derjenigen, die zugehört haben und vielleicht auch den Rest der Geschichte erfahren möchten.
Sie funkelt mich an, ich funkele sie an. Sie macht sich wieder an die Arbeit, und eine Minute später schiebt sie mir eine Kopie meines Antrags zusammen mit meiner Quittung zu. Ich lese das Datum, die Uhrzeit und den Gerichtssaal, in dem meine erste Anhörung stattfinden soll.
Ich schaffe es fast bis zur Tür, bevor ich angehalten werde. Ein untersetzter Mann mit schweißigem Gesicht und schwarzem Bart berührt leicht meinen Arm.»Entschuldigen Sie, Sir«, sagt er. Ich bleibe stehen und sehe ihn an. Er drückt mir eine Geschäftskarte in die Hand.»Robbie Molk, Anwalt. Konnte es nicht vermeiden zu hören, was Sie da eben gesagt haben. Dachte, Sie könnten vielleicht Hilfe brauchen in Ihrer Sache.«
Ich betrachte die Karte und dann sein pockennarbiges Gesicht. Von Molk habe ich schon gehört. Ich habe seine Anzeigen in den Zeitungen gesehen. Er offeriert Abschnitt-7-Verfahren für hundertfünfzig Dollar, und hier ist er, treibt sich im Büro des Kanzleivorstehers herum wie ein Geier, der nur darauf wartet, sich auf irgendeinen bankrotten Blödmann zu stürzen, dem er vielleicht noch hundertfünfzig Dollar abknöpfen kann.
Ich nehme höflich seine Karte entgegen.»Nein, danke«, sage ich und versuche, nett zu sein,»damit werde ich allein fertig.«
«Da kann man schnell alles vermasseln«, sagt er rasch, und ich bin sicher, er hat diesen Satz schon Tausende von Malen angebracht.»Ein Siebener kann riskant sein. Ich bearbeite jedes Jahr Tausende davon. Zweihundert auf die Hand, und ich nehme den Ball und laufe. Habe ein richtiges Büro und Personal.«
Jetzt sind es also schon zweihundert Dollar. Ich nehme an, wenn man ihm persönlich begegnet, schlägt er schnell noch fünfzig auf. Es wäre jetzt sehr einfach, ihm das vorzuhalten, aber irgend etwas sagt mir, daß Molk nicht der Typ ist, den man demütigen kann.
«Nein, danke«, sage ich und schiebe mich an ihm vorbei.
Die Fahrt nach unten ist langsam und unerfreulich. Der Fahrstuhl ist vollgestopft mit Anwälten, alle schlecht gekleidet, mit ramponierten Aktenkoffern und abgeschabten Schuhen. Sie schnattern immer noch über Freistellungen und darüber, was ungesichert ist und was nicht. Fürchterliches Anwaltsgeschwätz. Ungeheuer wichtige Diskussionen. Sie scheinen sie nicht abstellen zu können.
Kurz bevor wir im Erdgeschoß anhalten, überfällt es mich. Ich habe keine Ahnung, was ich nächstes Jahr um diese Zeit tun werde, und es ist nicht nur möglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich, daß ich dann auch in diesem Fahrstuhl stek-ken und mit genau diesen Leuten dieselben banalen Debatten führen werde. Höchstwahrscheinlich werde ich dann genau so sein wie sie, mich auf den Straßen herumtreiben, versuchen, aus Leuten, die nicht bezahlen können, ein paar Dollar herauszuquetschen, in Gerichtssälen herumlungern und nach Arbeit Ausschau halten.
Dieser grauenhafte Gedanke macht mich schwindlig. Der Fahrstuhl ist heiß und stickig. Mir ist, als müßte ich mich übergeben. Er hält an, und sie stürmen hinaus in die Halle und zerstreuen sich, nach wie vor redend und gestikulierend.