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Ich stehe wieder auf. Ich habe genug von Barrys Zeit in Anspruch genommen.»Hören Sie«, sage ich so treuherzig wie möglich.»Ich weiß, daß Sie viel zu tun haben. Ich mache Ihnen nichts vor. Sie können sich bei der Juristischen Fakultät erkundigen. Rufen Sie Madeline Skinner an, wenn Sie wollen.«

«Die verrückte Madeline. Ist die immer noch da?«

«Ja, und zur Zeit ist sie meine beste Freundin. Sie wird für mich bürgen.«

«Gut. Ich setze mich so bald wie möglich wieder mit Ihnen in Verbindung.«

Wer's glaubt.

Auf dem Weg zum Ausgang verlaufe ich mich zweimal. Niemand beachtet mich, also lasse ich mir Zeit und bewundere die großen, über das ganze Gebäude verstreuten Büros. Einmal bleibe ich am Rand der Bibliothek stehen und schaue zu den Bücherwänden auf, die sich mit schmalen, rundherumführenden Galerien über drei Stockwerke ziehen. Keine zwei Büros haben auch nur eine entfernte Ähnlichkeit miteinander. Dazwischen immer wieder mal ein Konferenzraum. Sekretärinnen, Schreibkräfte und andere Unterlinge bewegen sich geschäftig über die polierten Kiefernfußböden.

Hier würde ich auch für weniger als einundzwanzigtausend im Jahr arbeiten.

Ich parke leise hinter dem langen Cadillac und schiebe mich lautlos aus meinem Wagen. Ich bin nicht in der Stimmung zum Umtopfen von Chrysanthemen. Vorsichtig umrunde ich das Haus und werde von einem riesigen Stapel aus weißen Plastiksäcken begrüßt. Dutzenden von Plastiksäcken. Mulch aus geschroteter Kiefernborke, tonnenweise. Jeder Sack wiegt einen Zentner. Jetzt erinnere ich mich, daß Miss Birdie vor ein paar Tagen etwas über das Mulchen sämtlicher Blumenbeete gesagt hat. Aber so habe ich mir das nicht vorgestellt.

Ich schieße auf die zu meiner Wohnung führende Treppe zu, und als ich fast oben angekommen bin, höre ich sie rufen:»Rudy, mein Lieber, lassen Sie uns einen Kaffee trinken. «Sie steht neben dem Monument aus Kiefernborke und lächelt mich mit ihren graugelben Zähnen breit an. Sie ist restlos glücklich, daß ich zu Hause bin. Es dämmert bereits, und sie liebt es, auf der Terrasse zu sitzen und Kaffee zu trinken, während die Sonne untergeht.

«Natürlich«, sage ich, hänge mein Jackett über das Geländer und nehme meine Krawatte ab.

«Wie geht es Ihnen, mein Lieber?«fragt sie herauf. Mit diesem» mein Lieber «hat sie vor ungefähr einer Woche angefangen. Mein Lieber dies und mein Lieber das.

«Danke, gut. Nur müde. Mein Rücken macht mir zu schaffen. «Seit mehreren Tagen habe ich immer wieder Anspielungen auf meinen Rücken gemacht, aber bisher hat sie den Köder noch nicht geschluckt.

Ich lasse mich auf meinem gewohnten Stuhl nieder, während sie in der Küche ihr fürchterliches Gebräu anmischt. Es ist früher Abend, lange Schatten fallen über den Rasen hinter dem Haus. Ich zähle die Mulchsäcke. Acht in einer Reihe, vier Reihen hintereinander, acht Schichten übereinander. Das macht 256 Säcke. Bei einem Zentner pro Sack sind das 256 Zentner. Gefüllt mit Mulch. Der verteilt werden muß. Von mir.

Wir trinken unseren Kaffee, wobei ich nur sehr kleine Schlucke nehme, und sie will alles wissen, was ich heute getan habe. Ich lüge und erzähle ihr, ich hätte mit einigen anderen Anwälten über Prozesse gesprochen und dann für das Anwaltsexamen gelernt. Morgen das gleiche. Vollauf beschäftigt, Sie wissen schon, mit Anwaltskram. Keinesfalls Zeit, eine Tonne Mulch anzuheben und herumzuschleppen.

Wir beide stoßen mehr oder weniger mit der Nase an die weißen Säcke, aber hinsehen will keiner von uns. Ich vermeide Blickkontakt.

«Wann fangen Sie an, als Anwalt zu arbeiten?«fragt sie.

«Das weiß ich noch nicht genau«, sage ich, dann erkläre ich ihr zum zehnten Mal, daß ich in den nächsten paar Wochen angestrengt lernen und mich in den Büchern in der Fakultät vergraben muß, damit ich das Anwaltsexamen bestehe. Bevor ich das Examen nicht bestanden habe, kann ich nicht praktizieren.

«Wie nett«, sagt sie und driftet einen Moment ab.»Wir müssen unbedingt mit dem Mulch anfangen«, sagt sie, deutet mit einem Kopfnicken hin und verdreht die Augen.

Mir fällt im Augenblick keine Antwort darauf ein, und dann sage ich:»Eine ziemliche Menge.«

«Ach, so schlimm ist das nicht. Ich werde helfen.«

Das bedeutet, sie zeigt mit dem Spaten hierhin und dorthin und redet ununterbrochen.

«Nun ja, vielleicht morgen. Es ist spät, und ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir.«

Sie denkt eine Sekunde darüber nach.»Ich hatte gehofft, wir könnten gleich heute anfangen«, sagt sie.»Ich helfe mit.«

«Ich habe noch nicht einmal gegessen«, sage ich.

«Ich mache Ihnen ein Sandwich«, bietet sie rasch an. Für Miss Birdie ist ein Sandwich eine durchscheinende Lage Dosentruthahn zwischen zwei dünnen Scheiben Diätweißbrot. Kein Tropfen Senf oder Mayonnaise. Kein Gedanke an Salat oder Käse. Es wären vier davon nötig, um den Hunger auch nur annähernd zu stillen.

Sie steht auf und will in die Küche, als das Telefon läutet. Ich habe bisher noch keinen eigenen Anschluß in meiner Wohnung, obwohl sie ihn mir seit zwei Wochen versprochen hat. Im Augenblick muß ich ihren Apparat mitbenutzen, was bedeutet, daß sie alles mit anhören kann. Sie hat mich gebeten, dafür zu sorgen, daß ich möglichst wenig angerufen werde, weil sie ständig erreichbar sein muß. Das Telefon läutet nur selten.

«Es ist für Sie, Rudy«, ruft sie aus der Küche.»Irgendein Anwalt.«

Es ist Barry X. Er sagt, er hätte mit Jonathan Lake gesprochen, und es wäre okay, wenn wir uns noch einmal unterhielten. Er fragt, ob ich in sein Büro kommen könnte, jetzt gleich am besten, er hätte den ganzen Abend zu arbeiten. Und ich soll die Akte mitbringen. Er will sämtliche Unterlagen meiner Versicherungssache sehen.

Während wir miteinander sprechen, beobachte ich Miss Birdie, wie sie mit allergrößter Sorgfalt ein Truthahnsandwich zurechtmacht. Gerade als sie es durchschneidet, lege ich den Hörer auf.

«Ich muß los, Miss Birdie«, sage ich atemlos.»Es tut sich etwas. Ich muß mit diesem Anwalt über einen großen Fall sprechen.«

«Aber was ist mit…«

«Tut mir leid, ich fange morgen damit an. «Ich lasse sie stehen, ein halbes Sandwich in jeder Hand und mit einem betretenen Gesichtsausdruck, als könnte sie es einfach nicht fassen, daß ich nicht mit ihr essen werde.

Barry erwartet mich an der Eingangstür, die verschlossen ist, obwohl drinnen noch viele Leute arbeiten. Ich folge ihm in sein Büro, und jetzt sind meine Schritte ein wenig schneller, als sie es seit Tagen waren. Ich kann nicht anders, ich muß ganz einfach diese Teppiche, die Bücherregale und die Ausstattung bewundern und mir vorstellen, daß ich vielleicht schon bald hierhergehören, ein Mitarbeiter der Kanzlei Lake sein werde, der Firma mit den bedeutendsten Prozeßanwälten weit und breit.

Er bietet mir eine Frühlingsrolle an, die noch von seinem Abendessen übriggeblieben ist. Er nehme seine drei Mahlzeiten täglich an seinem Schreibtisch ein, erklärt er mir. Ich erinnere mich, daß er geschieden ist, und jetzt verstehe ich auch, weshalb. Ich bin nicht hungrig.

Er schaltet sein Diktiergerät ein und legt das Mikrofon vor mir auf den Schreibtisch.»Wir zeichnen das auf. Morgen lasse ich es dann von meiner Sekretärin tippen. Ist das okay?«

«Natürlich«, sage ich. Ich bin mit allem einverstanden.

«Ich stelle Sie für zwölf Monate als Anwaltsgehilfe ein. Ihr Gehalt beträgt einundzwanzigtausend pro Jahr, zahlbar in zwölf gleichen Raten am fünfzehnten jedes Monats. Bevor Sie nicht ein Jahr hier gewesen sind, kommen Sie nicht in den Genuß einer Krankenversicherung oder anderer Nebenleistungen. Nach Ablauf von zwölf Monaten werden wir diesen Vertrag überprüfen und gleichzeitig die Möglichkeit ins Auge fassen, Sie als Anwalt weiterzubeschäftigen statt als Anwaltsgehilfe.«