Barrys Hinweisen folgend, setzte ich einen ziemlich harten Brief an Great Benefit auf, in dem ich alle relevanten Fakten und ihre einschlägigen Missetaten darlegte. Als seine Sekretärin mit dem Tippen fertig war, umfaßte er vier Seiten. Er strich ihn radikal zusammen und schickte mich zurück in meine Ecke. Er arbeitet sehr intensiv und ist überaus stolz auf seine Konzentrationsfähigkeit.
In einer kurzen Pause an meinem dritten Tag nahm ich schließlich meinen Mut zusammen und fragte die Sekretärin nach dem meine Einstellung betreffenden Papierkram. Sie war beschäftigt, sagte aber, sie würde sich darum kümmern.
Am Ende des dritten Tages verließen Barry und ich kurz nach neun sein Büro. Wir hatten den Brief an Great Benefit fertiggestellt, ein dreiseitiges Meisterwerk, das per Einschreiben mit Rückschein rausgehen sollte. Barry spricht nie über das Leben außerhalb des Büros. Ich schlug vor, wir könnten zusammen ein Sandwich essen und ein Bier trinken, aber er ließ mich schnell abblitzen.
Ich fuhr zu Yogi's auf einen späten Imbiß. Der Laden war bis auf den letzten Platz voll mit betrunkenen Verbindungsstudenten, und Prince stand selber hinter der Bar. Worüber er keineswegs glücklich schien. Ich übernahm und sagte ihm, er solle gehen und Rausschmeißer spielen. Er war hoch erfreut.
Er ging statt dessen zu seinem Lieblingstisch, an dem sein Anwalt Bruiser Stone eine Camel nach der anderen rauchte und Wetten auf einen Boxkampf entgegennahm. Bruiser hatte an diesem Morgen wieder in der Zeitung gestanden und hatte natürlich von nichts etwas gewußt. Wie immer. Vor zwei Jahren hatten die Bullen in einem Müllcontainer hinter einer Oben-ohne-Bar eine Leiche gefunden. Der Verblichene war ein einheimischer Ganove, der einen Teil des Pornogeschäfts in der Stadt beherrschte und offensichtlich vorgehabt hatte, auch in der blühenden Busenbranche miteinzusteigen. Er traf sich in der falschen Gegend mit den falschen Leuten und wurde kaltgemacht; Bruiser würde so etwas nie tun, aber die Bullen sind ziemlich sicher, daß er sehr genau weiß, wer es war.
Er war in letzter Zeit sehr oft hier, hat eine Menge getrunken und mit Prince geflüstert.
Gott sei gedankt, daß ich einen richtigen Job habe. Ich hatte mich schon fast mit dem Gedanken abgefunden, Bruiser um Arbeit bitten zu müssen.
Heute ist Freitag, mein vierter Tag als Angestellter der Kanzlei Lake. Ich habe einer Handvoll Leuten erzählt, daß ich für die Kanzlei Lake arbeite, und das geht mir angenehm glatt von den Lippen. Hört sich ungeheuer befriedigend an. Die Kanzlei Lake. Niemand braucht nachzufragen. Man erwähnt nur den Namen, und die Leute sehen das prachtvolle alte Lagerhaus und wissen, daß hier der große Jonathan Lake mit seiner Truppe aus beinharten Anwälten residiert.
Booker hat fast geweint. Er kaufte Steaks und eine Flasche alkoholfreien Wein. Charlene hat gekocht, und wir haben bis Mitternacht gefeiert.
Ich hatte nicht vorgehabt, heute morgen vor sieben aufzustehen, aber dann hämmert es laut an meiner Wohnungstür. Es ist Miss Birdie, sie rüttelt am Türknauf und ruft:»Rudy! Rudy!«
Ich entriegele die Tür, und sie stürmt herein.»Rudy. Sind Sie wach?«Sie mustert mich in der kleinen Küche. Ich habe eine Turnhose an und ein T-Shirt, nichts Anstößiges. Ich blinzle zwischen halb geöffneten Lidern hervor, mein Haar ist völlig zerwühlt. Ich bin wach, aber nur gerade so eben.
Die Sonne ist kaum aufgegangen, aber sie hat bereits Erde auf der Schürze und Schlamm an den Schuhen.»Guten Morgen«, sage ich und bemühe mich angestrengt, nicht sauer zu klingen.
Sie lächelt, gelb und grau.»Habe ich Sie geweckt?«fötet sie.
«Nein. Ich wollte gerade aufstehen.«
«Gut. Wir haben viel Arbeit vor uns.«
«Arbeit? Aber…«
«Ja, Rudy. Sie haben den Mulch lange genug stehengelassen, jetzt wird es Zeit, daß wir damit anfangen. Er verrottet, wenn wir uns nicht beeilen.«
Ich blinzle immer noch und versuche, mich zu konzentrieren.»Heute ist Freitag«, murmele ich einigermaßen unsicher.
«Nein. Heute ist Samstag«, erklärt sie.
Wir starren uns ein paar Sekunden lang an, dann schaue ich auf die Uhr, eine Gewohnheit, die ich nach nur drei Arbeitstagen angenommen habe.»Es ist Freitag, Miss Birdie. Freitag. Heute muß ich arbeiten.«
«Es ist Samstag«, wiederholt sie dickköpfig.
Wir starren uns noch ein wenig länger an. Sie wirft einen Blick auf meine Turnhose. Ich betrachte ihre schmutzigen Schuhe.
«Hören Sie, Miss Birdie«, sage ich freundlich,»ich weiß, daß heute Freitag ist, und ich muß in anderthalb Stunden im Büro sein. Wir verteilen den Mulch am Wochenende.«
Natürlich versuche ich nur, sie zu besänftigen. Ich hatte eigentlich vorgehabt, den morgigen Vormittag an meinem Schreibtisch zu verbringen.
«Er wird verrotten.«
«Bis morgen nicht. «Verrottet Mulch im Sack tatsächlich? Ich glaube nicht.
«Morgen wollte ich die Rosen beschneiden.«
«Weshalb beschneiden Sie die Rosen nicht heute, während ich im Büro bin? Und morgen verteilen wir dann den Mulch.«
Sie denkt einen Moment darüber nach und bietet plötzlich einen erbarmungswürdigen Anblick. Ihre Schultern sacken herunter, und auf ihrem Gesicht erscheint ein trauriger Ausdruck. Es ist schwer zu sagen, ob sie betreten ist.
«Versprechen Sie es?«fragt sie demütig.
«Ich verspreche es.«
«Sie haben gesagt, Sie würden im Garten helfen, wenn ich die Miete heruntersetze.«
«Ja, ich weiß. «Wie könnte ich das vergessen? Sie hat mich bereits ein Dutzendmal daran erinnert.
«Also gut«, sagt sie, als hätte sie genau das bekommen, was sie erreichen wollte. Dann stapft sie zur Tür hinaus und die Treppe hinunter, wobei sie ununterbrochen etwas vor sich hin murmelt. Ich mache leise meine Tür zu und frage mich, wann sie morgen früh kommen wird, um mich zu holen.
Ich ziehe mich an und fahre zum Büro, wo auf dem Parkplatz bereits ein halbes Dutzend Wagen steht und das Lagerhaus teilweise erleuchtet ist. Es ist noch nicht sieben Uhr. Ich warte in meinem Wagen, bis ein anderer auf den Parkplatz fährt, und richte es so ein, daß ich mit einem Mann in mittleren Jahren an der Eingangstür zusammentreffe. Er hat einen Aktenkoffer und balanciert einen hohen Pappbecher mit Kaffee, während er nach seinem Schlüssel sucht.
Bei meinem Anblick wirkt er erschrocken. Dies ist keine sehr unsichere Gegend, aber trotzdem das Stadtgebiet von Memphis, und die Leute sind nervös.
«Guten Morgen«, sage ich freundlich.
«Morgen«, grunzt er.»Kann ich etwas für Sie tun?«
«Ja, Sir. Ich bin Barry Lancasters neuer Anwaltsgehilfe und möchte mich an die Arbeit machen.«
«Name?«
«Rudy Baylor.«
Seine Hände erstarren für einen Moment, und er runzelt die Stirn. Seine Unterlippe verzieht sich und schiebt sich vor, dann schüttelt er den Kopf.»Sagt mir nichts. Ich bin der kaufmännische Direktor. Niemand hat mir etwas von Ihnen gesagt.«
«Er hat mich vor vier Tagen eingestellt, ich schwöre es.«
Er schiebt den Schlüssel ins Schloß und wirft dabei einen ängstlichen Blick über die Schulter. Der Kerl denkt, ich wäre ein Dieb oder ein Killer. Dabei trage ich Anzug und Krawatte und sehe recht anständig aus.
«Tut mir leid. Aber Mr. Lake hat strenge Sicherheitsvorschriften erlassen. Vor Arbeitsbeginn kommt hier niemand herein, der nicht auf der Gehaltsliste steht. «Er springt fast durch die Tür.»Sagen Sie Barry, er soll mich heute vormittag anrufen«, sagt er, dann schlägt er mir die Tür vor der Nase zu.
Ich denke nicht daran, wie ein Hausierer vor dem Eingang herumzulungern und auf die nächste auf der Gehaltsliste stehende Person zu warten. Ich fahre ein paar Blocks zu einem Imbiß, wo ich eine Zeitung, Brötchen und Kaffee kaufe. Ich schlage eine Stunde tot, atme Zigarettenrauch ein und höre mir den Klatsch an, dann kehre ich auf den Parkplatz zurück, auf dem jetzt noch mehr Wagen stehen. Hübsche Wagen. Elegante deutsche Wagen und andere funkelnde Importe. Ich entscheide mich für einen Platz neben einem Chevrolet.