«Und weshalb sind dafür zwei Seiten Kleingedrucktes nötig?«fragt sie und zieht eine Zigarette aus der Schachtel auf dem Tisch.
«Zünde die bloß nicht an«, fährt Donny Ray sie über die
Schulter hinweg an. Er sieht mich an und sagt:»Kein Wunder, daß ich sterbe.«
Ohne jedes Zögern steckt sie sich die Zigarette zwischen die Lippen und betrachtet das Dokument. Sie zündet sie nicht an.»Und das müssen wir alle drei unterschreiben?«
«So ist es.«
«Er hat gesagt, er kommt nicht herein«, sagt sie.
«Dann geh damit zu ihm hinaus«, sagt Donny Ray wütend.»Nimm einen Kugelschreiber und geh hinaus und bring ihn dazu, das verdammte Ding zu unterschreiben.«
«Darauf bin ich überhaupt nicht gekommen«, sagt sie.
«Ist doch nicht das erste Mal. «Donny Ray senkt den Kopf und kratzt sich am Schädel. Die scharfen Worte haben ihn angestrengt.
«Ich denke, das könnte ich wohl tun«, sagt sie, immer noch zögernd.
«Geh endlich, verdammt noch mal«, sagt er, und Dot wühlt in einer Schublade, bis sie einen Kugelschreiber gefunden hat. Donny Ray hebt den Kopf und stützt ihn auf die Hände. Seine Handgelenke sind so dünn wie Besenstiele.
«Bin gleich wieder da«, sagt Dot, als hätte sie etwas ein Stück die Straße hinunter zu erledigen und machte sich Sorgen um ihren Jungen. Sie geht langsam über die hintere Terrasse und in das Unkraut hinein. Eine Katze auf der Motorhaube sieht sie kommen und verzieht sich unter den Wagen.
«Vor ein paar Monaten«, sagt Donny Ray, dann macht er eine lange Pause. Sein Atem geht schwer, und sein Kopf schwankt leicht.»Vor ein paar Monaten mußten wir seine Unterschrift beglaubigen lassen, und er wollte nicht mitkommen. Sie hat eine Notarin gefunden, die sich bereit erklärte, für zwanzig Dollar einen Hausbesuch zu machen, aber als sie hier war, wollte er nicht hereinkommen. Also sind Mom und die Notarin zu seinem Wagen hinausgegangen. Sehen Sie die große orangefarbene Katze auf dem Wagendach?«
«Ja.«
«Wir nennen sie Claws. Sie ist gewissermaßen die Wachkatze hier. Jedenfalls, als die Notarin in den Wagen langte, um Buddy, der natürlich beduselt und kaum bei Bewußtsein war, die Papiere wieder abzunehmen, ist Claws vom Wagen gesprungen und hat die Notarin angegriffen. Hat uns sechzig Dollar für den Besuch des Arztes gekostet. Und eine neue Strumpfhose. Haben Sie schon einmal jemanden mit akuter Leukämie gesehen?«
«Nein. Bis jetzt nicht.«
«Ich wiege noch fünfundfünfzig Kilo. Vor elf Monaten waren es achtzig. Die Leukämie wurde so rechtzeitig entdeckt, daß sie noch behandelt werden konnte. Ich habe das Glück, einen Zwillingsbruder zu haben, und unser Knochenmark ist identisch. Eine Transplantation hätte mir das Leben gerettet, aber wir konnten sie uns nicht leisten. Obwohl wir versichert waren. Den Rest der Geschichte kennen Sie. Ich nehme an, Sie wissen das alles, stimmt's?«
«Ja. Ich bin mit Ihrem Fall vollauf vertraut, Donny Ray.«
«Gut«, sagt er erleichtert. Wir beobachten, wie Dot die Katzen wegscheucht. Claws, die auf dem Wagendach liegt, tut so, als schliefe sie. Claws will mit Dot Black nichts zu tun haben. Die Türen stehen offen, und Dot streckt den Vertrag hinein. Wir können ihre durchdringende Stimme hören.
«Ich weiß, Sie glauben, daß sie verrückt sind«, sagt er, meine Gedanken lesend.»Aber sie sind gute Menschen, die eine Menge durchgemacht haben. Haben Sie Geduld mit ihnen.«
«Ich finde sie sehr nett.«
«Ich bin zu achtzig Prozent hinüber, okay. Achtzig Prozent. Wenn ich diese Transplantation bekommen hätte, vor sechs Monaten, dann hätte ich eine neunzigprozentige Chance auf Heilung gehabt. Neunzig Prozent. Merkwürdig, wie die Ärzte mit Zahlen umgehen, um uns zu sagen, ob wir leben oder sterben werden. Jetzt ist es zu spät. «Er keucht plötzlich nach Luft, ballt die Fäuste und zittert am ganzen Körper. Sein Gesicht färbt sich leicht rosa, während er verzweifelt Luft einsaugt, und eine Sekunde lang habe ich das Gefühl, ihm helfen zu müssen. Er trommelt mit beiden Fäusten auf seine Brust, und ich habe Angst, daß sein ganzer Körper einbrechen könnte.
Endlich kommt er wieder zu Atem und schnaubt hastig durch die Nase. Und genau in diesem Moment fange ich an, die Great Benefit Life Insurance Company zu hassen.
Jetzt widerstrebt es mir nicht mehr, ihn anzusehen. Er ist mein Mandant, und er zählt auf mich. Ich akzeptiere ihn, wie er ist.
Sein Atem ist wieder so normal wie möglich, und seine Augen sind rot und feucht. Ich weiß nicht, ob er weint oder sich nur von dem Anfall erholt.»Tut mir leid«, flüstert er.
Claws faucht so laut, daß wir es hören können, und wir schauen gerade noch rechtzeitig hin, um zu sehen, wie sie durch die Luft fliegt und im Unkraut landet. Offenbar hat sich die Wachkatze ein wenig zu sehr für meinen Vertrag interessiert, und Dot hat ihr einen Hieb verpaßt. Dot sagt etwas Gemeines zu ihrem Mann, der noch tiefer hinter seinem Lenkrad zusammengesunken ist. Sie greift hinein, entreißt ihm den Papierkram, dann stürmt sie auf uns zu, während die Katzen in alle Richtungen flüchten.
«Zu achtzig Prozent hinüber, okay?«sagt Donny Ray heiser.»Ich werde also nicht mehr lange dasein. Was immer Sie aus diesem Fall herausholen, sorgen Sie bitte dafür, daß sie es bekommen. Sie haben ein schweres Leben gehabt.«
Das rührt mich so, daß ich nicht imstande bin, etwas zu erwidern.
Dot öffnet die Tür und schiebt den Vertrag über den Tisch. Die erste Seite ist unten leicht eingerissen, und auf der zweiten prangt ein Schmutzfleck. Ich hoffe, es ist kein Katzendreck.»So«, sagt sie. Auftrag erledigt. Buddy hat tatsächlich unterschrieben, seine Unterschrift ist völlig unleserlich.
Ich zeige hierhin und dorthin. Donny Ray und seine Mutter unterschreiben, und der Handel ist abgeschlossen. Wir unterhalten uns noch ein paar Minuten, dann fange ich an, auf die Uhr zu sehen.
Als ich gehe, sitzt Dot neben Donny Ray, streichelt ihm sanft den Arm und sagt ihm, daß alles gut werden wird.
Kapitel 13
Ich hatte mich darauf vorbereitet, Barry X. zu erklären, daß ich am Samstag nicht arbeiten könnte, weil ich dringendere Aufgaben im Haus zu erledigen hätte. Und ich hatte mich darauf vorbereitet, ein paar Stunden am Sonntagnachmittag vorzuschlagen, falls er mich brauchte. Aber ich hatte mir umsonst Gedanken gemacht. Barry verläßt übers Wochenende die Stadt, und da ich es nicht wagen würde, das Büro ohne seine Mithilfe zu betreten, hat sich die Sache rasch von selbst erledigt.
Aus irgendeinem Grund rüttelt Miss Birdie nicht schon vor Sonnenaufgang an meiner Tür, sondern entscheidet sich dafür, sich vor der Garage, unter meinem Fenster, mit dem Zurechtlegen aller möglichen Werkzeuge zu beschäftigen. Sie läßt Harken und Schaufeln fallen. Sie kratzt mit einer unhandlichen Spitzhacke angetrocknete Erde aus der Schubkarre. Sie schärft zwei Breithacken, wobei sie die ganze Zeit singt und jodelt. Kurz nach sieben komme ich schließlich herunter, und sie tut überrascht, mich zu sehen.»Ach, guten Morgen, Rudy. Wie geht es Ihnen?«
«Gut, Miss Birdie. Und Ihnen?«
«Wunderbar, einfach wunderbar. Ist das nicht ein herrlicher Tag?«
Der Tag hat gerade erst begonnen, und es ist noch entschieden zu früh, um seine Herrlichkeit zu beurteilen. Auf jeden Fall ist es ziemlich stickig für eine so frühe Stunde. Die unerträgliche Hitze des Sommers in Memphis wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Sie gestattet mir eine Tasse Instantkaffee und eine Scheibe Toast, bevor sie anfängt, von dem Mulch zu reden. Ich mache mich ans Werk, sehr zu ihrem Entzücken. Ich hieve den ersten Zentnersack in die Schubkarre und folge ihr um das Haus herum, die Auffahrt entlang und über den vorderen Rasen zu einem mickrigen Blumenbeet an der Straße. Sie hält ihren Kaf-fee in den behandschuhten Händen und deutet auf die Stelle, auf die der Mulch kommen soll. Ich bin ziemlich außer Atem von der Tour, inbesondere dem letzten Stück über den feuchten Rasen, aber ich reiße schwungvoll den Sack auf und mache mich daran, mit einer Mistgabel Mulch zu verteilen.