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Booker schießt durch den Raum und holt die Bücher.

Es ist fast acht, als ich mich durch das Labyrinth der Korridore von St. Peter's schleppe und feststellen muß, daß an meinem Lieblingstisch ein Arzt und eine Schwester sitzen. Ich hole mir Kaffee und lasse mich in der Nähe nieder. Die Schwester ist sehr attraktiv und sehr bekümmert, und nach ihrem Geflüster zu urteilen, würde ich sagen, daß ihre Affäre auf der Kippe steht. Er ist sechzig mit implantiertem Haar und einem neuen Kinn. Sie ist dreißig und wird den Status einer Ehefrau offensichtlich nicht erreichen. Nur Geliebte auf Zeit. Ernstes Geflüster.

Ich bin nicht in Lernstimmung. Für einen Tag habe ich genug gehabt; das einzige, was mich motiviert, ist die Tatsache, daß Booker immer noch im Büro ist, arbeitet und sich auf das Examen vorbereitet.

Ein paar Minuten später verschwinden die Liebenden — sie in Tränen, er kalt und herzlos. Ich lasse mich an meinem Tisch nieder, breite meine Unterlagen aus und versuche zu lernen.

Und ich warte.

Kelly kommt ein paar Minuten nach zehn. Heute schiebt ein anderer Mann ihren Rollstuhl. Sie wirft mir einen kalten Blick zu und deutet auf einen Tisch in der Mitte des Raums. Er parkt sie dort. Ich sehe ihn an. Er sieht mich an.

Ich vermute, es ist Cliff. Er ist ungefähr so groß wie ich, nicht über einsachtzig, mit untersetztem Körper und Ansatz zum Bierbauch. Aber seine Schultern sind breit, und sein Bizeps wölbt sich unter einem T-Shirt, das viel zu eng ist und seine Arme offenbar zur Geltung bringen soll. Enge Jeans. Braunes, lockiges Haar, zu lang, um modisch zu sein. Massenhaft Haare auf den Unterarmen und im Gesicht. Cliff war der Junge, der sich in der achten Klasse schon rasieren mußte.

Er hat grünliche Augen und ein hübsches Gesicht, das wesentlich älter wirkt als neunzehn. Er geht um den Knöchel herum, den er mit einem Softballschläger gebrochen hat, zur Theke, um etwas zu trinken zu holen. Sie weiß, daß ich sie anstarre. Sie läßt den Blick ganz bewußt durch den Raum schweifen, und im letzten Moment zwinkert sie mir rasch zu. Ich verschütte beinahe meinen Kaffee.

Es gehört nicht viel Phantasie dazu, die Worte zu hören, die die beiden kürzlich gewechselt haben. Drohungen, Entschuldigungen, Bitten, noch mehr Drohungen. Sieht ganz so aus, als wäre ihnen heute abend nicht besonders wohl zumute. Sie machen beide ein ernstes Gesicht und nippen schweigend an ihren Getränken. Gelegentlich werden ein oder zwei Worte gewechselt, aber sie sind wie ein junges Pärchen in der Mitte seiner allwöchentlichen Schmollszene. Ein kurzer Satz hier, eine noch kürzere Erwiderung dort. Sie sehen sich nur an, wenn es unbedingt sein muß. Statt dessen mustern sie intensiv die Wände und den Fußboden. Ich verstecke mich hinter einem Buch.

Sie sitzt so, daß sie mich ansehen kann, ohne ertappt zu werden. Er wendet mir den Rücken zu. Von Zeit zu Zeit sieht er sich um, aber seine Bewegungen sind leicht vorhersehbar. Schon lange bevor sein Blick auf mich fällt, kann ich mir den Kopf kratzen und mich in meine Arbeit vertiefen.

Nachdem sie sich ungefähr zehn Minuten lang weitgehend angeschwiegen haben, sagt sie etwas, das eine hitzige Erwiderung auslöst. Ich wollte, ich könnte mithören. Er zittert plötzlich vor Wut und zischt ihr etwas zu. Sie zahlt ihm in gleicher Münze heim. Die Lautstärke steigt, und ich kann ziemlich schnell heraushören, daß es darum geht, ob sie vor Gericht gegen ihn aussagen wird oder nicht. Sieht so aus, als hätte sie sich noch nicht entschieden. Sieht so aus, als machte das Cliff wirklich Sorgen. Er ist ziemlich schnell auf hundertachtzig, kein Wunder bei einem Macho-Typ wie ihm, und sie sagt ihm, er solle nicht so herumbrüllen. Er sieht sich um und versucht, seine Stimme zu senken. Ich kann nicht hören, was er sagt.

Nachdem sie ihn provoziert hat, beruhigt sie ihn wieder, aber er ist immer noch sehr unglücklich. Er schmort vor sich hin, während sie einander eine Zeitlang ignorieren.

Dann tut sie es wieder. Sie murmelt etwas, und sein Rük-ken versteift sich. Seine Hände zittern, er pöbelt herum. Sie streiten eine Minute, dann hört sie auf zu reden und ignoriert ihn. Cliff kann nicht hinnehmen, daß man ihn ignoriert, also wird er lauter. Sie sagt ihm, er solle still sein, sie befänden sich in einem öffentlichen Raum. Er wird noch lauter, redet über das, was er tun wird, wenn sie nicht alles fallenläßt, daß man ihn ins Gefängnis stecken könnte und so weiter und so weiter.

Sie sagt etwas, das ich nicht hören kann, und er wischt plötzlich mit einem Schlag seinen hohen Styroporbecher vom Tisch und springt auf. Die Cola fliegt durch den halben Raum und verspritzt kohlensäurehaltigen Schaum über die anderen Tische und den Fußboden. Sie ergießt sich über sie. Sie keucht, schließt die Augen und beginnt zu weinen. Ich höre, wie er schimpfend und fluchend den Korridor entlangstampft.

Rein instinktiv springe ich auf, aber sie schüttelt rasch den Kopf. Ich setze mich wieder hin. Die Kassiererin hat die Szene beobachtet und erscheint mit einem Handtuch. Sie gibt es Kelly, die sich die Cola vom Gesicht und von den Armen wischt.

«Tut mir leid«, sagt sie zu der Kassiererin.

Ihr Nachthemd ist durchweicht. Sie kämpft gegen die Tränen an, während sie ihren Gipsverband und ihr Bein abtrocknet. Ich bin in der Nähe, aber ich kann nicht helfen. Vermutlich hat sie Angst, er könnte zurückkommen und uns dabei erwischen, daß wir miteinander reden.

In diesem Krankenhaus gibt es viele Orte, wo man sich niederlassen und einen Kaffee oder eine Cola trinken kann, aber sie hat ihn hierher gebracht, weil sie wollte, daß ich ihn sehe. Ich bin ziemlich sicher, daß sie ihn provoziert hat, damit ich mit eigenen Augen sehe, wie cholerisch er ist.

Wir sehen uns lange Zeit an, während sie sich methodisch das Gesicht und die Arme abwischt. Tränen strömen ihr übers Gesicht, und sie tupft sie ab. Sie verfügt über diese unerklärliche weibliche Fähigkeit, Tränen zu produzieren, ohne den Eindruck zu erwecken, daß sie weint. Sie schluchzt und heult nicht. Ihre Lippen beben nicht. Ihre Hände zittern nicht. Sie sitzt einfach da, in einer anderen Welt, sieht mich mit tränenverschleierten Augen an und betupft ihre Haut mit dem weißen Handtuch.

Zeit vergeht, aber ich weiß nicht, wieviel. Ein verkrüppelter Aufwärter erscheint und wischt den Boden um sie herum. Drei Schwestern kommen hereingestürmt, laut redend und lachend, bis sie sie sehen, dann sind sie plötzlich still. Sie mu-stern sie, flüstern miteinander und sehen gelegentlich in meine Richtung.

Er ist lange genug fort, als daß man wohl nicht mehr mit seiner Rückkehr rechnen muß, und es ist ein verlockender Gedanke, den Gentleman zu spielen. Die Schwestern verlassen die Cafeteria, und Kelly winkt langsam mit einem Zeigefinger. Jetzt kann ich zu ihr kommen.

«Tut mir leid«, sagt sie, als ich mich neben ihr niederhocke.

«Das ist schon okay.«

Und dann sagt sie etwas, das ich nie vergessen werde.»Bringen Sie mich in mein Zimmer?«

In einer anderen Umgebung hätten diese Worte weitreichende Konsequenzen haben können, und für einen Augenblick schweifen meine Gedanken ab zu einem exotischen Strand, an dem die beiden Liebenden endlich beschlossen haben, einander in die Arme zu sinken.

Ihr Zimmer ist natürlich ein Raum mit einer Tür, die von unzähligen Leuten geöffnet werden kann. Sogar Anwälte können in ihn eindringen.

Ich steuere Kelly und ihren Rollstuhl behutsam um die Tische herum und auf den Flur hinaus.»Fünfter Stock«, sagt sie über die Schulter. Ich habe es nicht eilig. Ich bin sehr stolz auf mich, weil ich so ritterlich bin. Mir gefällt die Tatsache, daß ihr sämtliche Männer hinterhersehen, während wir den Korridor entlangrollen.

Im Fahrstuhl sind wir ein paar Sekunden allein. Ich knie mich neben sie.»Sind Sie okay?«frage ich.

Jetzt weint sie nicht mehr. Ihre Augen sind nach wie vor feucht und ein wenig gerötet, aber sie hat sich unter Kontrolle. Sie nickt rasch und sagt:»Danke«. Und dann ergreift sie meine Hand und drückt sie fest.»Vielen Dank.«