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Ein paar Bars hier in der Gegend besucht er auch öfter mal, gesteht er mir leise über die Suppe hinweg. Dann nimmt er seine Krawatte ab, damit er möglichst wie einer von den Gästen aussieht, und trinkt seine Cola. Er hört den Leuten zu, die sich nach der Arbeit einen hinter die Binde gießen. Er könnte mir sagen, wo die guten Bars liegen, die guten Weidegründe, wie er sie gern nennt. Deck steckt voller guter Ratschläge über das Jagen nach Fällen und das Aufspüren von Mandanten.

Und, ja, er ist gelegentlich sogar in den Pornoclubs gewesen, aber nur seiner Mandanten wegen. Man muß sich umtun, sagt er mehr als einmal. Er geht gern in die Casinos drüben in Mississippi und bezeichnet sie, vorausschauend wie er ist, vor allem deshalb als unerfreulich, weil dort nur arme Leute ihr Haushaltsgeld verspielen. Trotzdem könnte etwas zu holen sein. Die Kriminalität steigt, und je mehr Leute spielen, desto mehr Scheidungsverfahren und Konkurse wird es geben. Die Leute werden Anwälte brauchen. Da drüben gibt es eine Menge potentielles Leid, und er steht in den Startlöchern. Da ist etwas zu erwarten.

Er wird mich auf dem laufenden halten.

Ich verzehre eine weitere vorzügliche Mahlzeit in St. Peter's, im sogenannten Mull-Grill. Ich habe gehört, wie eine Gruppe von Assistenzärzten diese Cafeteria so nannte. Nudelsalat auf einem Plastikteller. Ich lerne sporadisch und sehe immer wieder auf die Uhr.

Um zehn erscheint der ältere Herr in der rosa Jacke, aber er kommt allein. Er bleibt stehen, sieht sich um, entdeckt mich und kommt herüber, mit ernster Miene und offenbar nicht glücklich über das, was er zu tun hat.

«Sind Sie Mr. Baylor?«fragt er. Er hat einen Briefumschlag in der Hand, und nachdem ich genickt habe, legt er ihn auf den Tisch.»Von Mrs. Riker«, sagt er, deutet eine Verbeugung an und geht davon.

Es ist ein normaler Briefumschlag, schlicht und weiß. Ich öffne ihn und ziehe eine Karte heraus. Darauf steht:

LieberRudy,

mein Arzt hat mich heute morgen entlassen, ich bin jetzt also wieder zu Hause. Danke für alles. Sprechen Sie ein Gebet für uns. Sie sind wundervoll.

Sie hat ihren Namen darunter gesetzt und außerdem ein Postskriptum: Bitte nicht anrufen oder schreiben. Das würde nur Probleme bringen. Nochmals danke.

Sie hat gewußt, daß ich hier sein und getreulich warten würde. Bei all den wollüstigen Gedanken, die mir in den letzten vierundzwanzig Stunden durchs Gehirn geschwirrt sind, ist mir nie die Idee gekommen, daß man sie entlassen könnte. Ich war ganz sicher, daß wir heute abend wieder miteinander reden würden.

Ich wandere ziellos auf den endlosen Korridoren herum und versuche, meine Gedanken zu ordnen. Ich bin entschlossen, sie wiederzusehen. Sie braucht mich, weil sonst niemand da ist, der ihr helfen kann.

An einem Münzfernsprecher finde ich einen Eintrag für Cliff Riker und wähle die Nummer. Eine Tonbandansage informiert mich, daß der Anschluß gesperrt ist.

Kapitel 20

Wir treffen am frühen Mittwochmorgen im Zwischengeschoß des Hotels ein und werden gekonnt in einen Ballsaal dirigiert, der größer ist als ein Fußballfeld. Wir werden eingetragen und katalogisiert, die Gebühr mußte schon vor langer Zeit entrichtet werden. Es gibt ein bißchen nervöses Geplapper, aber im Grunde sind alle nur mit sich selbst beschäftigt. Wir schlottern vor Angst.

Von den ungefähr zweihundert Leuten, die jetzt das Anwaltsexamen ablegen wollen, hat mindestens die Hälfte im vorigen Monat an der Memphis State graduiert. Darunter auch meine Freunde und Feinde. Booker läßt sich an einem weit von mir entfernten Tisch nieder. Wir haben beschlossen, nicht beisammenzusitzen. Sara Plankmore und S, Todd Wilcox sitzen in einer Ecke an der anderen Seite des Raumes. Sie haben letzten Samstag geheiratet. Hübsche Flitterwochen. Er ist ein gutaussehender Typ mit geschniegeltem Outfit und aristokratischem Getue. Hoffentlich fällt er durch. Und Sara auch.

Ich spüre wieder die gleiche Konkurrenz wie in den ersten Wochen unseres Studiums, als wir uns alle ungeheuer dafür interessiert haben, wie denn die anderen wohl so vorankamen. Ich nicke ein paar Bekannten zu und hoffe insgeheim, daß sie durchfallen, weil sie mir insgeheim dasselbe wünschen. So ist das nun mal in unserem Beruf.

Nachdem sich alle an weit auseinander stehenden Klapptischen niedergelassen haben, erhalten wir zehn Minuten lang Instruktionen. Dann werden, um genau acht Uhr, die Examensunterlagen verteilt.

Das Examen beginnt mit einem Abschnitt, der Multi-State genannt wird, eine endlose Reihe von Fragen über die allen Staaten gemeinsamen Gesetze, bei denen man die richtige Antwort ankreuzen muß. Ich kann unmöglich sagen, wie gut ich vorbereitet bin. Der Vormittag zieht sich hin. Zum Lunch holen Booker und ich uns etwas vom Hotelbuffet, reden aber kein Wort über die Prüfung.

Zum Abendessen gibt es Truthahnsandwich mit Miss Birdie auf der Terrasse. Um neun liege ich im Bett.

Das Examen endet sang- und klanglos am Freitag nachmittag um fünf. Wir sind alle zu erschöpft, um zu feiern. Sie sammeln zum letztenmal unsere Papiere ein und sagen uns, wir könnten gehen. Jemand schlägt vor, irgendwo ein paar kalte Drinks zu nehmen, um der alten Zeiten willen, also treffen wir uns zu sechst auf ein paar Runden bei Yogi's. Prince ist heute abend nicht da, und auch Bruiser ist nicht in Sicht. Eine ziemliche Erleichterung, denn ich möchte nur ungern zusammen mit meinem Boß gesehen werden. Zumal von meinen Freunden. Es würde nur einen Haufen Fragen über unsere Kanzlei geben. Nur ein Jahr, okay? Dann habe ich einen besseren Job.

Wir haben schon im ersten Semester gelernt, daß man am besten nie über Prüfungen redet. Wenn man seine Aufzeichnungen mit anderen vergleicht, ist man höchstens entsetzt, was man alles falsch gemacht hat.

Wir essen Pizza und trinken ein paar Bier, sind aber zu erledigt, um richtig einen drauf zu machen. Booker sagt mir auf der Heimfahrt, daß das Examen ihn regelrecht krank gemacht hat. Er ist sicher, daß er es verbockt hat.

Ich schlafe zwölf Stunden. Ich habe Miss Birdie versprochen, an diesem Tag in ihrem Garten zu arbeiten, wenn es nicht regnet, und als ich schließlich aufwache, ist meine Wohnung von Sonnenlicht erfüllt. Es ist heiß, schwül, stickig, der typische Juli in Memphis. Nachdem ich drei Tage lang in einem fensterlosen Raum Augen, Phantasie und Gedächtnis strapaziert habe, bin ich jetzt bereit für ein bißchen Schweiß und Schmutz. Aber vorher ist noch etwas anderes zu tun. Ich verlasse ungesehen das Haus, und zwanzig Minuten später parke ich auf der Auffahrt der Blacks.

Donny Ray wartet auf der Vorderveranda, in Jeans, Turnschuhen, dunklen Socken, weißem T-Shirt und einer Baseballmütze, die über seinem eingefallenen Gesicht viel zu groß wirkt. Er geht am Stock, braucht aber trotzdem eine stützende Hand unter seinem zerbrechlichen Arm. Dot und ich führen ihn den schmalen Gehsteig entlang und bugsieren ihn behutsam auf den Beifahrersitz meines Wagens. Sie ist erleichtert, ihn für ein paar Stunden aus dem Haus zu haben, sein erster Ausflug seit Monaten, erzählt sie mir. Jetzt ist sie allein mit Buddy und den Katzen.

Donny Ray sitzt mit dem Stock zwischen den Beinen und stützt auf der Fahrt durch die Stadt sein Kinn darauf. Nachdem er mir einmal gedankt hat, sagt er nicht viel.

Er hat vor drei Jahren die High-School im Alter von neunzehn Jahren abgeschlossen, Ron, sein Zwillingsbruder, schon ein Jahr vor ihm. Er hat nie versucht, auf ein College zu gehen. Zwei Jahre hat er als Verkäufer in einem Supermarkt gearbeitet, aber nach einem Raubüberfall aufgehört. Die Liste seiner Anstellungen ist kurz, und er ist nie von zu Hause fortgegangen. Nach den Unterlagen, die ich bisher durchgesehen habe, hat Donny Ray nie mehr als den Mindestlohn verdient.