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«Ist das hier drin erlaubt?«frage ich und hoffe auf ein Rau-chen-Verboten-Schild, kann aber keins entdecken.

«Natürlich. «Sie klemmt sich eine Zigarette zwischen die spröden Lippen und zündet sie an, dann reißt sie sie wieder heraus und bläst Buddy eine Rauchwolke direkt ins Gesicht; der rührt sich keinen Zentimeter.

«Und was kann ich für Sie tun?«frage ich und betrachte den von breiten Gummibändern zusammengehaltenen Packen Papiere. Ich schiebe Miss Birdies Testament unter meinen Block. Meine erste Mandantin ist eine Multimillionärin, und meine nächsten Mandanten sind Rentner. Meine gerade beginnende Karriere ist wieder auf die Erde zurückgestürzt.

«Wir haben nicht viel Geld«, sagt sie leise, als wäre das ein großes Geheimnis, das sie mir nur ungern preisgibt. Ich lächle mitfühlend. Ganz gleich, was sie besitzen mögen, sie sind auf jeden Fall viel reicher als ich, und daß man sie jeden Moment verklagen wird, bezweifle ich auch.

«Und wir brauchen einen Anwalt«, setzt sie hinzu, nimmt die Papiere und streift die Gummibänder ab.

«Wo liegt das Problem?«

«Wir werden von einer Versicherungsgesellschaft aufs Kreuz gelegt und betrogen.«

«Welche Art von Police?«frage ich. Sie schiebt mir den Papierkram zu, dann wischt sie sich die Hände ab, als wäre sie ihn jetzt los und hätte die Last an jemanden weitergereicht, der imstande ist, Wunder zu wirken. Obenauf liegt eine verschmierte, zerknitterte und abgenutzte Police. Dot stößt eine weitere Rauchwolke aus, und einen Augenblick lang ist Buddy kaum zu sehen.

«Es ist eine Krankenversicherung«, sagt sie.»Great Benefit Life. Wir haben sie vor fünf Jahren abgeschlossen, als unsere

Jungen siebzehn waren. Jetzt stirbt Donny Ray an Leukämie, und die Gauner wollen seine Behandlung nicht zahlen.«

«Great Benefit?«

«Richtig.«

«Nie davon gehört«, sage ich selbstbewußt, während ich die erste Seite der Police überfliege, als hätte ich schon Dutzende solcher Prozesse hinter mir und wüßte alles, was es über Versicherungsgesellschaften zu wissen gibt. Zwei Angehörige sind aufgeführt, Donny Ray und Ronny Ray Black. Beide haben dasselbe Geburtsdatum.

«Entschuldigen Sie die Ausdrucksweise, aber das ist eine verdammte Drecksbande.«

«Das sind die meisten Versicherungsgesellschaften«, erkläre ich nachdenklich, und Dot lächelt. Ich habe ihr Vertrauen gewonnen.»Sie haben diese Police also vor fünf Jahren gekauft?«

«So ungefähr. Habe sämtliche Prämien pünktlich bezahlt und das verdammte Ding nie benutzt, bis Donny Ray krank wurde.«

Ich bin Student, unversichert. Es gibt keine Policen, die mich oder mein Leben, meine Gesundheit oder mein Auto abdecken. Ich kann mir nicht einmal einen neuen Hinterreifen für meinen ramponierten kleinen Toyota leisten.

«Und, äh, Sie sagten, daß er stirbt?«

Sie nickt mit der Zigarette zwischen den Lippen.»Akute Leukämie. Ist vor acht Monaten ausgebrochen. Die Ärzte haben ihm ein Jahr gegeben, aber das schafft er nicht, weil er seine Knochenmarkstransplantation nicht bekommen konnte. Jetzt ist es vermutlich zu spät.«

«Eine Transplantation?«sage ich verwirrt.

«Wissen Sie denn nichts über Leukämie?«

«Nein, jedenfalls nicht viel.«

Sie klickt mit den Zähnen und verdreht die Augen, als wäre ich ein kompletter Idiot, dann steckt sie die Zigarette wieder in den Mund und tut einen gequälten Zug. Als der Rauch hinreichend exhaliert ist, sagt sie:»Meine Jungen sind eineiige Zwillinge. Also ist Ron, wir nennen ihn Ron, weil er Ronny Ray nicht mag, der ideale Spender für Donny Rays Knochenmarkstransplantation. Das haben die Arzte gesagt. Das Problem ist, daß die Transplantation so an die hundertfünfzigtausend Dollar kostet. Die haben wir nicht. Die Versicherungsgesellschaft müßte zahlen, weil es von der Police her gedeckt ist. Die Schweine sagen nein. Und deshalb stirbt Donny Ray, wegen denen.«

Sie hat eine erstaunliche Art, auf den Kern der Dinge zu kommen.

Wir haben Buddy ignoriert, aber er hört zu. Er nimmt langsam seine Brille mit den dicken Gläsern ab und wischt sich mit dem haarigen Handrücken über die Augen. Großartig. Buddy weint. Bosco wimmert am Tisch der ehrenwerten N. Elizabeth Erickson. Und Bookers Mandanten haben wieder Schuldgefühle oder Reue oder sonst ein Kummer gepackt, und er schluchzt in seine Hände. Smoot steht an einem Fenster und beobachtet uns; bestimmt fragt er sich, was das für Ratschläge sind, die wir erteilen, daß sie solche Qualen auslösen.

«Wo lebt er?«frage ich, nur um eine Antwort zu bekommen, die ich auf meinen Block notieren und damit für ein paar Sekunden die Tränen ignorieren kann.

«Er lebt bei uns. Ist nie von zu Hause weggegangen. Das ist noch ein Grund, weshalb die Versicherung nicht zahlen will. Sie hat gesagt, weil er volljährig ist, wäre er nicht mehr gedeckt.«

Ich blättere in den Papieren und werfe einen Blick auf die Briefe von und an Great Benefit.»Steht in der Police, daß der Versicherungsschutz endet, wenn er volljährig wird?«

Sie schüttelt den Kopf und lächelt verkniffen.»Nein. Davon steht nichts drin, Rudy. Ich habe sie Dutzende von Malen gelesen, und so was steht da nirgends. Hab sogar das ganze Kleingedruckte gelesen.«

«Sind Sie sicher?«frage ich und betrachte wieder die Police.

«Ganz sicher. Ich gehe das verdammte Ding seit fast einem Jahr immer wieder durch.«

«Wer hat sie Ihnen verkauft? Wer ist der Agent?«

«Irgend so ein blöder Kotzbrocken, der an unsere Tür geklopft und uns dazu überredet hat. Hieß Ott oder so ähnlich, ein gerissener kleiner Gauner mit einem gutgeölten Mundwerk. Ich hab versucht, ihn zu finden, aber er scheint sich aus dem Staub gemacht zu haben.«

Ich ziehe einen Brief aus dem Packen und lese ihn. Er kommt von einem Schadensregulierer in Cleveland, geschrieben mehrere Monate nach dem ersten Brief, den ich in der Hand gehabt habe, und er verweigert ziemlich brüsk jede Zahlung mit der Begründung, Donny Rays Leukämie wäre ein Zustand, der schon vor Vertragsabschluß bestanden hätte und deshalb nicht gedeckt sei. Wenn Donny Ray tatsächlich erst seit knapp einem Jahr krank ist, dann ist die Diagnose vier Jahre nach Ausstellung der Police durch Great Benefit gestellt worden.»Hier heißt es, die Zahlung würde wegen eines bereits vor Vertragsabschluß bestehenden Zustandes verweigert.«

«Sie benutzen jeden Vorwand, den man sich nur denken kann, Rudy. Nehmen Sie einfach all diese Papiere mit, und lesen Sie sie genau durch. Ausschlußklauseln, Ausnahmen, Vorerkrankung, Kleingedrucktes, sie haben einfach alles versucht.«

«Ist eine Knochenmarkstransplantation von der Versicherung ausgeschlossen?«

«Nein. Sogar unser Doktor hat sich die Police angesehen und gesagt, Great Benefit müßte zahlen, weil eine Knochenmarkstransplantation heutzutage eine Routinebehandlung ist.«

Bookers Mandant wischt sich mit beiden Händen das Gesicht ab und entschuldigt sich. Er dankt Booker, und Booker dankt ihm. Der alte Mann läßt sich auf einem Stuhl in der Nähe eines hitzigen Damespiels nieder. Miss Birdie erlöst N. Elizabeth Erickson von Bosco und seinen Problemen. Smoot wandert hinter uns herum.

Der nächste Brief stammt gleichfalls von Great Benefit. Er ist kurz, gemein und eindeutig. Er lautet:

«Sehr geehrte Mrs. Black, unsere Gesellschaft hat Ihre Ansprüche bereits siebenmal schriftlich abgewiesen. Wir tun es jetzt zum achten und letzten Mal. Offenbar sind Sie blöde, blöde, blöde!«

Unterschrieben ist dieser Brief vom Leiter der Schadensabteilung, und ich reibe fassungslos über das eingeprägte Firmenemblem am Kopf des Bogens. Vorigen Herbst habe ich ein

Seminar über Versicherungsrecht belegt, und ich erinnere mich, wie sehr mich das ungeheuerliche Verhalten bestimmter Gesellschaften in Fällen böswilliger Leistungsverweigerung schockiert hat. Unser Seminarleiter war ein Gastdozent, ein Kommunist, der Versicherungsgesellschaften und überhaupt alle großen Firmen haßte und sich eingehend mit Fällen beschäftigt hatte, in denen die legitimen Ansprüche von Versicherten völlig ungerechtfertigt zurückgewiesen worden waren. Er war überzeugt, daß es in diesem Land Zehntausende von solchen Verstößen wider Treu und Glauben gibt, die nie vor Gericht gebracht wurden. Er hatte Bücher über böswillige Leistungsverweigerung und die in diesem Zusammenhang geführten Prozesse geschrieben und sogar Statistiken vorgelegt, um seine Ansicht zu belegen, daß viele Leute die Zurückweisung ihrer Ansprüche einfach hinnehmen, ohne der Sache auf den Grund zu gehen.