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Wir werden nie wieder einen Fuß in dieses Gebäude setzen.

Kapitel 24

Ich werde wohl nie erfahren, ob Deck tatsächlich wußte, was passieren würde, oder ob er nur verblüffend hellsichtig war. Er ist ein unkomplizierter Mann, der mit seinen Gedanken meistens ziemlich an der Oberfläche bleibt. Aber er hat dennoch etwas Seltsames an sich, mal abgesehen von seinem Äußeren. Irgendwo in seinem Innern ist etwas verborgen, das er nicht preisgeben will. Ich habe den starken Verdacht, daß er und Bruiser einander erheblich näherstanden, als die meisten von uns wußten. Bruisers Freigebigkeit in der Van-Landel-Sa-che war wahrscheinlich die Belohnung für Decks treue Dienste und gleichzeitig als unauffällige Warnung gedacht, daß er, Bruiser, sich demnächst absetzen würde.

Jedenfalls bin ich nicht sonderlich überrascht, als zwanzig nach drei in der Nacht mein Telefon klingelt. Es ist Deck mit zwei Neuigkeiten: Das FBI ist kurz nach Mitternacht über unsere Kanzlei hergefallen, und Bruiser hat sich aus dem Staub gemacht. Und das ist noch nicht alles. Unsere Büros sind auf richterliche Anordnung hin versiegelt worden, und das FBI wird vermutlich mit allen reden wollen, die bei Bruiser beschäftigt waren. Und man sollte es nicht glauben: Prince Thomas scheint zusammen mit seinem Anwalt und Freund verschwunden zu sein.

Stellen Sie sich vor, kichert Deck ins Telefon, wie diese beiden wandelnden Fleischberge mit ihrem langen, angegrauten Haar und ihren dicken Barten versuchen, unerkannt durch Flughäfen zu schleichen.

Die Anklagen sollen erhoben werden, sobald die Sonne aufgegangen ist. Deck schlägt vor, daß wir uns gegen Mittag in unserem neuen Büro treffen, und da ich nicht weiß, wo ich sonst hingehen sollte, sage ich zu.

Ich starre eine halbe Stunde an die dunkle Zimmerdecke, dann gebe ich auf. Ich gehe barfuß durch das kühle, feuchte Gras und lasse mich in die Hängematte fallen. Um einen Typ wie Prince ranken sich immer eine Menge bunter Gerüchte. Bargeld war seine Leidenschaft, und schon an meinem ersten Tag bei Yogi's erzählte mir eine Kellnerin, daß er achtzig Prozent davon nie bei der Steuer angegeben hat. Es gehörte zu den Lieblingsbeschäftigungen seiner Angestellten, sich darüber die Mäuler zu zerreißen und Vermutungen anzustellen, wieviel Geld es wohl tatsächlich war, was er so beiseite schaffen konnte.

Und Yogi's war nicht seine einzige Einnahmequelle. Bei einem Prozeß gegen das organisierte Verbrechen vor ein paar Jahren sagte ein Junge aus, daß in einer bestimmten Oben-ohne-Bar neunzig Prozent der Erträge in Bargeld eingenommen und sechzig Prozent davon nie in einer Steuererklärung auftauchen würden. Wenn Bruiser und Prince also tatsächlich einen oder mehrere von diesen Pornoclubs besessen haben, dann haben sie das Geld nur so gescheffelt.

Gerüchteweise hat Prince ein Haus in Mexiko, Bankkonten in der Karibik, eine schwarze Geliebte in Jamaika und eine Farm in Argentinien; an die anderen Geschichten kann ich mich nicht mehr erinnern. In seinem Büro gab es eine geheimnisvolle Tür, die angeblich zu einem kleinen Raum führte, in dem sich die Kartons voller Zwanzig- und Hundert-DollarScheine bis zur Decke stapelten.

Wenn er wirklich auf der Flucht ist, hoffe ich, daß er durchkommt. Ich hoffe, daß er möglichst viel von seinem geliebten Bargeld mitnehmen konnte und nie erwischt wird. Es ist mir egal, was er verbrochen haben soll, er ist mein Freund.

Dot dirigiert mich an den Küchentisch, auf denselben Stuhl, und setzt mir Instantkaffee vor, in derselben Tasse. Es ist noch früh am Tage, und in der schäbigen Küche hängt der fettige Geruch von ausgelassenem Speck. Buddy ist da draußen, sagt sie armeschwenkend. Ich schaue nicht hin.

Donny Ray wird immer schwächer, sagt sie, die letzten beiden Tage ist er überhaupt nicht aufgestanden.

«Wir waren gestern das erste Mal vor Gericht«, erkläre ich.

«Schon?«

«Es war kein Prozeß oder so etwas. Nur eine vorläufige Anhörung. Die Versicherung versucht, eine Klageabweisung zu erreichen, und darüber haben wir uns mächtig in den Haaren gelegen. «Ich versuche, mich möglichst einfach auszudrük-ken, aber ich bin nicht sicher, ob sie irgend etwas mitbekommt. Sie schaut durch die schmutzigen Fenster hinaus in den Hintergarten, ohne dem Fairlane auch nur einen Blick zu schenken. Dot scheint alles gleichgültig zu sein.

Das ist seltsam beruhigend. Wenn Richter Hale tut, was er meiner Meinung nach tun wird, und wenn wir auch bei einem anderen Gericht nicht mit der Klage durchkommen, dann ist die Sache erledigt. Vielleicht hat die ganze Familie aufgegeben. Vielleicht werden sie mich nicht einmal anschreien, wenn wir abgeschmettert werden.

Auf dem Weg hierher habe ich beschlossen, Richter Hale und seine Drohungen nicht zu erwähnen. Das hätte unsere Unterhaltung nur schwieriger gemacht. Wir werden später noch massenhaft Zeit haben, darüber zu sprechen, wenn sonst nichts mehr zu bereden bleibt.

«Die Versicherung hat einen Vergleich angeboten.«

«Sie hat was angeboten?«

«Geld.«

«Wieviel?«

«Fünfundsiebzigtausend Dollar. Sie haben sich ausgerechnet, daß sie ihren Anwälten bei einem Prozeß ungefähr genausoviel zahlen müßten, also bieten sie das Geld jetzt uns als Abfindung an.«

Ich kann zusehen, wie sie rot anläuft und die Kiefer aufeinanderpreßt.»Diese Mistkerle glauben, sie könnten sich freikaufen, stimmt's?«

«Ja, das glauben sie.«

«Donny Ray braucht kein Geld. Letztes Jahr hätte er eine Knochenmarkstransplantation gebraucht. Jetzt ist es zu spät.«

«Richtig.«

Sie nimmt ihre Zigarettenschachtel vom Tisch und zündet sich eine an. Ihre Augen sind rot und glänzen feucht. Ich habe mich geirrt. Diese Mutter hat nicht aufgegeben. Sie will Blut sehen.»Was sollen wir mit fünfundsiebzigtausend Dollar anfangen? Donny Ray wird bald tot sein, und dann sind nur noch ich und er da. «Sie nickt mit dem Kopf in Richtung auf den Fairlane.

«Diese Schweine«, sagt sie.

«Ganz meine Meinung.«

«Sie haben vermutlich gesagt, daß wir es nehmen werden, oder?«

«Natürlich nicht. Ohne Ihre Zustimmung kann ich keinen Vergleich abschließen. Wir haben bis morgen Zeit, uns zu entscheiden. «Damit wären wir wieder bei der drohenden Klageabweisung. Wir hätten das Recht, gegen einen ablehnenden Beschluß durch Richter Hale Berufung einzulegen. Das würde ungefähr ein Jahr dauern, aber wir härten eine reelle Chance. Aber auch darüber möchte ich im Moment nicht reden.

Wir sitzen eine lange Zeit schweigend beisammen, beide vollauf damit zufrieden, einfach nur dazusitzen und zu warten. Ich versuche, meine Gedanken zu ordnen. Gott allein weiß, was ihr im Kopf herumgeht. Arme Frau.

Sie drückt ihre Zigarette im Aschenbecher aus und sagt:»Wir sollten mit Donny Ray reden.«

Ich folge ihr durch das düstere Wohnzimmer und einen kurzen Korridor entlang. Donny Rays Tür ist geschlossen, und an ihr hängt ein Zettel mit der Aufschrift RAUCHEN VERBOTEN. Sie klopft leise an, und wir gehen hinein. Das Zimmer ist hübsch und ordentlich und riecht irgendwie antiseptisch. In einer Ecke surrt ein Ventilator. Das mit einem Fliegengitter versehene Fenster steht offen. Auf einem Gestell am Fußende des Bettes steht ein Fernseher und neben dem Kopfkissen ein Tisch mit einer ganzen Batterie von Medikamenten.

Donny Ray liegt steif wie ein Brett da, ein Laken fest um seinen zerbrechlichen Körper gewickelt. Er lächelt, als er mich sieht, und klopft mit der Hand auf eine Stelle neben sich. Dort lasse ich mich nieder. Dot setzt sich auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Bettes.

Er bemüht sich, weiter zu lächeln und mich davon zu überzeugen, daß es ihm gutgeht. Heute ist alles besser. Nur ein bißchen müde, das ist alles. Seine Stimme ist leise und angestrengt, seine Worte sind manchmal kaum verständlich. Er hört aufmerksam zu, als ich über die gestrige Anhörung be-richte und das Vergleichsangebot erkläre. Dot hält seine rechte Hand.