«Wie geht's Tyrone Kipler?«frage ich.
Booker glaubt, daß er die Ernennung in der Tasche hat. Kipler hat heute morgen mit dem Gouverneur gesprochen, kommt alles auf die Reihe. Es könnte höchstens noch am Geld scheitern. Als Partner in der Kanzlei Shankle verdient er zwischen hundertfünfundzwanzig und hundertfünfzigtausend im Jahr. Das Gehalt eines Richters beträgt nur neunzigtausend. Kipler hat Frau und Kinder, aber Shankle möchte ihn am Richtertisch haben.
Booker erinnert sich an den Black-Fall. Er erinnert sich sogar an Dot und Buddy, die er bei unserem ersten Besuch im Cypress Gardens Senior Citizens Building kennengelernt hat. Ich informiere ihn über den Stand der Dinge, und er lacht laut auf, als ich ihm erzähle, daß der Fall bei der Abteilung Acht des Bezirksgerichts liegt und nur darauf wartet, daß ein Richter sich seiner annimmt. Ich liefere Booker einen Bericht über die Vorfälle im Zimmer des verstorbenen Richters Hale vor nur drei Tagen und wie mich die einstigen Zimmergenossen Drummond und Hale als Spielball benutzt haben. Booker hört interessiert zu, als ich ihm von Donny Ray und seinem Zwillingsbruder und der Transplantation erzähle, die wegen Great Beneft nicht vorgenommen werden konnte.
Er hört mit einem Lächeln zu.»Kein Problem«, sagt er mehr als einmal.»Wenn Tyrone die Ernennung bekommt, wird er über den Fall Black bestens informiert sein.«
«Du kannst also mit ihm reden?«
«Mit ihm reden? Ich werde ihm eine regelrechte Predigt halten. Er kann Trent & Brent nicht ausstehen, und er haßt Versicherungsgesellschaften, vertritt ständig Klagen gegen sie. Was glaubst du, wo sie sich ihre Opfer suchen? Unter Weißen der Mittelschicht?«
«Unter allen möglichen Leuten.«
«Ganz genau. Es wird mir ein Vergnügen sein, mit Tyrone zu reden. Und er wird mir zuhören.«
Der Gumbo kommt, und wir geben Tabasco dazu, Booker mehr als ich. Ich erzähle ihm von meinem neuen Büro, aber nicht von meinem neuen Partner. Er stellt eine Menge Fragen über meine bisherige Kanzlei. Die ganze Stadt redet über Bruiser und Prince.
Ich erzähle ihm alles, was ich weiß, wobei ich die eine oder andere Kleinigkeit vielleicht ein ganz klein wenig beschönige.
Kapitel 26
Für ein Zeitalter wie dieses, in dem die Gerichtssäle verstopft und die Richter überlastet sind, hat der verschiedene Harvey Hale eine Liste von anhängigen Verfahren hinterlassen, die bemerkenswert gut organisiert ist und frei von hingeschleppten Fällen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens war er faul und spielte lieber Golf. Zweitens hat er sofort jede Klage abgewiesen, die den seiner Ansicht nach so schützenswerten Versicherungen und anderen großen Unternehmen unangenehm werden konnte. Und deshalb wurde er auch von den meisten Anwälten, die eine Klage zu vertreten hatten, gemieden.
Es gibt Möglichkeiten, bestimmte Richter zu umgehen, kleine Tricks, die ein erfahrener Anwalt anwenden kann, wenn er mit den die Klage entgegennehmenden Kanzlisten auf gutem Fuße steht. Ich werde nie begreifen, warum Bruiser, ein Anwalt mit zwanzigjähriger Berufserfahrung, der alle Tricks kannte, mich die Black-Klage hat einreichen lassen, ohne vorher die nötigen Schritte zu unternehmen, damit wir um Harvey Hale herumkommen. Darüber würde ich unter anderem gern mal mit ihm reden, falls er jemals wiederauftauchen sollte.
Aber Hale ist tot und das Leben wieder gerecht. Tyrone Kip-ler wird bald eine Verfahrensliste erben, die danach schreit, bearbeitet zu werden.
Als Reaktion auf die jahrelange Kritik von Anwälten und Laien gleichermaßen wurden vor nicht allzu langer Zeit die Verfahrensrichtlinien geändert, um zu einer schnelleren Rechtsprechung zu gelangen. Es wurden höhere Strafmaßnahmen für nicht stichhaltige Verfahren eingeführt. Das Hin-und Hergeplänkel im Vorverfahren wurde durch strenge Fristen auf ein Minimum beschränkt. Die Richter erhielten größere Befugnisse beim Abweisen von Klagen; außerdem wurde ihnen nahegelegt, sich aktiver für Vergleiche einzusetzen. Unmengen von neuen Gesetzen und Vorschriften wurden erlassen, um zivilrechtliche Verfahren zu beschleunigen.
Zu dieser Masse von neuen Bestimmungen gehörte auch etwas, das als» Schnellspurverfahren «bezeichnet wird und womit bestimmte Fälle schneller zur Verhandlung gebracht werden können als andere. Die Prozeßparteien können beantragen, daß ihr Fall vorgezogen wird. Aber das geschieht nur selten. Kaum ein Verteidiger würde sich freiwillig bereit erklären, ohne die üblichen, eingehendsten Vorbereitungen im Gerichtssaal zu erscheinen. Deshalb hat der Richter die Möglichkeit, ein solches Verfahren von sich aus anzuordnen. Das geschieht gewöhnlich dann, wenn der Fall klarliegt und die Fakten scharf umrissen und ebenso heftig umstritten sind und alles, was noch fehlt, der Spruch einer Jury ist.
Da Black gegen Great Benefit im Grunde mein einziger Fall ist, hätte ich gern ein Schnellverfahren. Das erläutere ich Booker eines morgens beim Kaffee. Booker gibt es an Kipler weiter. So funktioniert die Justiz.
Am T ag nach seiner Ernennung durch den Gouverneur bestellt Kipler mich in sein Arbeitszimmer, dasselbe, das noch vor gar nicht so langer Zeit Harvey Hale gehört hat. Jetzt sieht es ganz anders aus. Hales Bücher und Erinnerungsstücke wurden in Kartons verpackt. Die staubigen Regale sind leer. Die Vorhänge sind geöffnet. Hales Schreibtisch ist bereits hinausgeschafft worden, und wir unterhalten uns auf Klappstühlen sitzend.
Kipler ist ein kaum vierzigjähriger Mann mit leiser Stimme und Augen, denen nichts entgeht. Er ist ungeheuer intelligent und wird nach Ansicht vieler Leute dereinst zum Bundesrichter aufsteigen. Ich danke ihm für seine Hilfe bei der Vorbereitung des Anwaltsexamens.
Wir plaudern über dieses und jenes. Er sagt nette Dinge über Harvey Hale, ist aber erstaunt, wie wenig anhängige Verfahren er hinterlassen hat. Er hat sich bereits sämtliche Fälle angesehen und sich vorgenommen, einige davon beschleunigt abzuwickeln. Er steht sozusagen in den Startlöchern.
«Und Sie glauben, der Black-Fall sollte auf der Schnellspur verhandelt werden?«fragt er langsam und bedächtig.
«Ja, Sir. Der Fall liegt ziemlich klar. Es wird nicht viele Zeugen geben.«
«Wie viele Zeugenvernehmungen?«
Bisher habe ich noch nie einen Zeugen vernommen.»Das weiß ich noch nicht genau. Weniger als zehn.«
«Sie werden Probleme mit den Dokumenten haben«, sagt er.»Das ist bei Versicherungsgesellschaften immer so. Ich habe schon eine Menge von ihnen verklagt, und sie geben einem nie den ganzen Papierkram. Es wird eine Weile dauern, bis wir alle Dokumente in der Hand halten, auf die Sie Anspruch haben.«
Mir gefällt die Art, auf die er» wir «sagt. Und das ist völlig in Ordnung. Ein Richter hat unter anderem auch die Aufgabe, Druck auszuüben. Es ist seine Pflicht, alle Parteien bei ihren Bemühungen zu unterstützen, im Vorfeld des Prozesses alles Beweismaterial zusammenzubekommen, das ihnen zusteht. Allerdings scheint Kipler ein wenig parteiisch zu unseren Gunsten zu sein. Aber vermutlich ist auch dagegen nichts einzuwenden — schließlich hatte Drummond Harvey Hale viele Jahre lang am Gängelband.
«Stellen Sie einen Antrag auf beschleunigtes Verfahren«, sagt er und macht sich eine entsprechende Notiz.»Die Verteidigung wird Einspruch erheben. Dann kommt es zur Anhörung. Sofern ich nicht von der Gegenseite etwas sehr Überzeugendes höre, werde ich dem Antrag stattgeben. Ich gewähre vier Monate für die Beweisaufnahme, das sollte Zeit genug sein für alle Vernehmungen, das Austauschen von Dokumenten, schriftliche Verhöre und so weiter. Wenn die Beweisaufnahme abgeschlossen ist, setze ich einen Prozeßtermin fest.«
Ich hole tief Luft und schlucke. Für mich hört sich das unheimlich schnell an. Die Vorstellung, Drummond und Genossen schon so bald im offenen Gerichtssaal und vor einer Jury gegenüberstehen zu müssen, ist beängstigend.»Wir werden bereit sein«, sage ich, obwohl ich nicht einmal weiß, wie die nächsten drei Schritte auszusehen haben. Ich hoffe nur, ich höre mich wesentlich zuversichtlicher an, als ich es bin.