Meine Mandanten bemühen sich, präsentabel zu sein. Ich bin stolz auf sie.
Deck erscheint mit einem Haufen von Gerätschaften. Er hat sich von einem Freund eine veraltete Videokamera geliehen, die mindestens dreimal so groß ist wie die neuen Modelle. Er versichert mir, daß sie einwandfrei funktionieren wird. Es ist seine erste Begegnung mit den Blacks. Sie beobachten ihn argwöhnisch, zumal Buddy, der dazu abkommandiert worden ist, einen Tisch abzustauben. Deck nimmt das Wohnzimmer und die Küche in Augenschein und erklärt mir leise, daß der Platz einfach nicht ausreicht. Er schleppt ein Stativ ins Wohnzimmer, stößt dabei einen Zeitschriftenständer um und handelt sich einen wütenden Blick von Buddy ein.
Das Haus ist ziemlich vollgestopft mit kleinen Tischen und Fußbänken und anderem Mobiliar aus den Sechzigern, auf dem überall billige Souvenirnippes herumstehen. Es wird von Minute zu Minute heißer.
Richter Kipler trifft ein, wird mit allen bekanntgemacht, fängt an zu schwitzen, und ein oder zwei Minuten später sagt er:»Lassen Sie uns einen Blick nach draußen werfen. «Er folgt mir durch die Küchentür auf die kleine Terrasse. Am hinteren Zaun, in der Buddys Fairlane gegenüberliegenden Ecke, steht eine Eiche, die vermutlich um die Zeit gepflanzt wurde, als das Haus entstand. Unter ihr ist es schattig. Deck und ich folgen Kipler durch das frisch gemähte, aber nicht abgeharkte Gras. Er sieht den Fairlane und die Katzen auf der Haube.
«Wieso nicht hier?«fragt er unter dem Baum. Am Zaun zieht sich eine Hecke entlang, die so dicht ist, daß von dem angrenzenden Grundstück niemand hindurchschauen kann. Inmitten dieses Gewuchers wachsen vier hohe Kiefern. Sie blockieren die Morgensonne von Osten her und machen diesen Platz unter der Eiche halbwegs erträglich, jedenfalls vorerst. An Licht fehlt es hier jedenfalls nicht.
«Sieht gut aus«, sage ich, obwohl ich mit meiner beschränkten Erfahrung noch nie von einer Vernehmung im Freien gehört habe. Ich spreche ein rasches Dankgebet für die Anwesenheit von Tyrone Kipler.
«Haben wir ein Verlängerungskabel?«fragt er.
«Ja. Ich habe eins mitgebracht«, sagt Deck, bereits durch das Gras davonschlurfend.»Es ist ein Dreißig-Meter-Kabel.«
Das ganze Grundstück ist knapp fünfundzwanzig Meter breit und vielleicht dreißig Meter lang. Da der Vorgarten größer ist als der Hintergarten, ist die Terrasse nicht weit entfernt und auch der Fairlane nicht. Er steht sogar ganz in der Nähe, und Claws, die Wachkatze, sitzt majestätisch auf dem Dach und beobachtet uns mißtrauisch.
«Lassen Sie uns ein paar Stühle holen«, sagt Kipler, ganz
Herr der Lage. Er krempelt die Ärmel auf. Dot, der Richter und ich tragen vier Stühle aus der Küche in den Garten, während Deck sich mit dem Verlängerungskabel und den anderen Gerätschaften abmüht. Buddy ist verschwunden. Dot erlaubt uns, ihre Terrassenmöbel zu benutzen, dann macht sie drei fleckige und leicht angeschimmelte Segeltuchstühle im Geräteschuppen ausfindig.
Nur Minuten später sind Kipler und ich schweißgebadet. Und wir erregen Aufsehen. Ein paar Nachbarn sind unter ihren Steinen hervorgekrochen und beobachten uns neugierig. Ein Schwarzer in Jeans, der Stühle zur Eiche der Blacks schleppt? Ein seltsamer kleiner Typ mit übergroßem Kopf, der mit Kabeln hantiert und es geschafft hat, sie um seine Knöchel zu wickeln? Was geht da vor?
Ein paar Minuten vor neun treffen zwei Protokollantinnen ein, und unglücklicherweise werden sie ausgerechnet von Buddy in Empfang genommen. Sie hätten beinahe die Flucht ergriffen, aber Dot rettet sie und führt sie durch das Haus in den Hintergarten. Zum Glück tragen sie Hosen anstelle von Röcken. Sie unterhalten sich mit Deck über die Ausrüstung und die Stromzufuhr.
Drummond und seine Mannschaft treffen Punkt neun Uhr ein, nicht eine Minute zu früh. Er bringt nur zwei Anwälte mit, B. Dewey Clay Hill den Dritten und Brandon Fuller Grone, und sie sind gekleidet wie Zwillinge: dunkelblaue Blazer, weiße Baumwollhemden, gestärkte Khakihosen, Mokassins. Nur die Krawatten haben eine gewisse Eigenständigkeit behauptet. Drummond trägt keine.
Sie finden uns im Garten und sind fassungslos angesichts unseres Arrangements. Inzwischen triefen Kipler, Deck und ich vor Schweiß, und es ist uns völlig egal, was sie denken.»Nur drei?«frage ich, das Team der Verteidigung zählend, aber sie finden das kein bißchen komisch.
«Sie sitzen hier«, sagt Kipler und deutet auf drei Küchenstuhle.»Passen Sie mit den Kabeln auf. «Deck hat alle möglichen Kabel um den Baum geschlungen, und vor allem Grone scheint sich vor einem tödlichen Stromschlag zu fürchten.
Dot und ich helfen Donny Ray aus dem Bett und durch das
Haus in den Garten. Er ist sehr schwach, versucht aber trotzdem tapfer, ohne Unterstützung zu gehen. Als wir uns der Eiche nähern, beobachte ich Leo Drummond genau, der Donny Ray jetzt zum ersten Mal sieht. Sein selbstgefälliges Gesicht verrät keine Regung, und ich möchte ihm etwas an den Kopf werfen wie» Schauen Sie genau hin, Drummond. Sehen Sie, was Ihr Mandant angerichtet hat. «Aber es ist nicht Drummonds Schuld. Die Entscheidung, die Kostenübernahme zu verweigern, wurde von irgendwem bei Great Benefit getroffen, und zwar lange bevor Drummond etwas davon wußte. Er ist einfach zufällig der nächste Mensch, den man hassen kann.
Wir setzen Donny Ray in einen mit Kissen ausgepolsterten Schaukelstuhl von der Veranda. Dot hantiert mit den Kissen, tätschelt ihn und läßt sich viel Zeit, es ihm so bequem wie möglich zu machen. Sein Atem geht schwer, und sein Gesicht ist naß. Er sieht schlechter aus als sonst.
Ich mache ihn höflich mit allen Anwesenden bekannt: Richter Kipler, den beiden Protokollantinnen, Deck, Drummond und den beiden anderen von Trent & Brent. Er ist zu schwach, um ihnen die Hand zu geben, also nickt er lediglich und versucht zu lächeln.
Wir stellen die Kamera so hin, daß sie direkt auf sein Gesicht gerichtet und die Linse gut einen Meter davon entfernt ist. Deck versucht, sie scharf einzustellen. Eine der Protokollantinnen hat eine Lizenz, Videoaufnahmen für das Gericht herzustellen, und sie versucht, Deck aus dem Weg zu schieben. Auf dem Video wird niemand außer Donny Ray erscheinen. Es werden zwar auch andere Stimmen zu hören sein, aber sein Gesicht wird das einzige sein, das die Geschworenen zu sehen bekommen.
Kipler dirigiert mich auf Donny Rays rechte Seite und Drummond auf die linke. Seine Ehren selbst läßt sich neben mir nieder. Wir nehmen unsere Plätze ein und rücken unsere Stühle nahe an den Zeugen heran. Dot steht ein paar Schritte hinter der Kamera und läßt sich keine Bewegung ihres Sohnes entgehen.
Die Nachbarn können ihre Neugierde jetzt nicht mehr zurückhalten und stehen an dem keine sechs Meter entfernten
Maschendrahtzaun. Ein Stück die Straße hinunter dröhnt Conway Twitty aus einem Radio, aber das stört nicht weiter. Es ist Samstagmorgen, und man hört das Summen ferner Rasenmäher und elektrischer Heckenscheren.
Donny Ray trinkt einen Schluck Wasser und versucht, die vier Anwälte und den Richter, die nach vorne gebeugt um ihn herumsitzen, zu ignorieren. Der Zweck seiner Vernehmung liegt auf der Hand: die Jury muß von ihm hören, weil er tot sein wird, wenn der Prozeß beginnt. Er soll Mitgefühl erregen. Vor nicht allzu vielen Jahren wäre seine Vernehmung auf die übliche Art erfolgt. Eine Protokollantin hätte die Fragen und Antworten festgehalten und ein ordentliches Protokoll daraus gemacht, das wir dann beim Prozeß den Geschworenen vorgelesen hätten. Aber inzwischen ist das technische Zeitalter angebrochen. Jetzt werden viele Vernehmungen, insbesondere solche sterbender Zeugen, auf Video aufgezeichnet und der Film dann den Geschworenen vorgeführt. Auf Kiplers Vorschlag hin wird die Vernehmung außerdem auf die übliche Weise stenografisch festgehalten. Das ermöglicht beiden Parteien und dem Richter ein schnelles Nachschlagen, ohne daß sie sich das ganze Video ansehen müssen.