«Sie haben kein Recht, hierzusein«, sage ich und versuche, mich zu entspannen.
«Kein Grund zur Aufregung. «Sie geht an mir vorbei, und ich bekomme eine Nase voll von billigem Parfüm, das nach Kokosnußöl riecht.»Birdie möchte Sie sehen«, sagt sie, als sie meine Wohnung verläßt. Ich höre zu, wie ihre Sandalen die Treppe hinunterschlappen.
Miss Birdie sitzt mit verschränkten Armen auf dem Sofa, sieht sich eine dieser idiotischen Comedy-Serien an und ignoriert den Rest der Welt. Vera durchstöbert den Kühlschrank. Am Küchentisch sitzt eine weitere braune Kreatur, ein großer Mann mit dauergewelltem Haar, so schlecht gefärbt, daß es grau ist, und Elvis-Koteletten. Goldgerahmte Brille. Goldene Armbänder an beiden Handgelenken. Er sieht aus wie ein Zuhälter.
«Sie müssen der Anwalt sein«, sagt er, als ich hinter mir die Tür zumache. Auf dem Tisch vor ihm liegen einige Papiere, mit denen er sich beschäftigt hat.
«Ich bin Rudy Baylor«, sage ich, am anderen Ende des Tisches stehend.
«Ich bin Delbert Birdsong, Birdies Jüngster. «Er ist Ende Fünfzig und versucht verzweifelt, auszusehen wie Vierzig.
«Nett, Sie kennenzulernen.«
«Ja, ja, ganz meinerseits. «Er deutet auf einen Stuhl.»Setzen Sie sich.«
«Warum?«frage ich. Diese Leute sind schon seit Stunden hier. Der Unmut hängt wie eine Rauchschwade über der Küche und dem angrenzenden Wohnzimmer. Ich kann Miss Birdies Hinterkopf sehen. Ich weiß nicht, ob sie uns zuhört oder dem Fernseher. Der Ton ist leise gestellt.
«Ich versuche nur, nett zu sein«, sagt Delbert, als gehörte ihm das Haus.
Vera kann im Kühlschrank nichts finden, also beschließt sie, sich zu uns zu gesellen.»Er hat mich angeschrien«, wimmert sie Delbert an.»Hat gesagt, ich soll aus seiner Wohnung verschwinden. Er war richtig grob.«
«Stimmt das?«fragt Delbert.
«Natürlich stimmt das. Es ist meine Wohnung, und ich rate Ihnen beiden, sie nicht zu betreten. Sie ist privat.«
Er zieht mit einem Ruck die Schultern zurück. Dieser Mann hat garantiert schon so manche Kneipenschlägerei hinter sich.»Sie gehört meiner Mutter.«
«Und sie ist zufällig meine Hauswirtin. Ich zahle jeden Monat meine Miete.«
«Wieviel?«
«Das geht Sie nichts an. Dieses Haus ist nicht auf Ihren Namen eingetragen.«
«Ich würde sagen, sie ist vier —, vielleicht fünfhundert Dollar im Monat wert.«
«Gut. Möchten Sie sonst noch irgend etwas loswerden?«
«Ja. Sie sind ein ganz schöner Klugscheißer.«
«Wunderbar. Sonst noch was? Ihre Frau hat gesagt, Miss Birdie wollte mich sprechen. «Das sage ich so laut, daß Miss Birdie es hören kann, aber sie rührt sich nicht.
Vera nimmt sich einen Stuhl und rückt ihn nahe an den von Delbert heran. Sie werfen sich vielsagende Blicke zu. Er zupft an einem der Papiere herum, schiebt seine Brille hoch, sieht mich an und sagt:»Sie haben an Mamas Testament rumgepfuscht.«
«Das geht nur mich und Miss Birdie etwas an. «Ich schaue auf den Tisch und kann gerade die Oberkante eines Dokuments sehen. Ich erkenne, daß es ihr Testament ist, das jüngste, glaube ich, von ihrem letzten Anwalt. Das ist ziemlich irritierend, denn Miss Birdie hat immer behauptet, daß keiner ihrer Söhne, weder Delbert noch Randolph, etwas von ihrem Geld wüßte. Aber in dem Testament wird über ungefähr zwanzig Millionen Dollar verfügt. Jetzt weiß Delbert Bescheid. In den letzten paar Stunden hat er das Testament immer wieder gelesen. Ich erinnere mich, daß Paragraph drei ihm zwei Millionen zuspricht.
Noch irritierender ist die Frage, wie Delbert dieses Dokument in die Hände bekommen hat. Miss Birdie hätte es ihm nie freiwillig gegeben.
«Ein ziemlicher Klugscheißer«, sagt er.»Und da fragt man sich noch, weshalb die Leute Anwälte hassen. Ich komme nach Hause, um nach Mama zu sehen, und da wohnt doch, verdammt noch mal, so ein stinkiger Anwalt bei ihr. Würde Ihnen das nicht zu denken geben?«
Vermutlich.»Ich habe die Wohnung gemietet«, sage ich.»Eine Privatwohnung mit einer abgeschlossenen Tür. Wenn Sie noch einmal dort eindringen, rufe ich die Polizei.«
Da fällt mir ein, daß ich eine Kopie von Miss Birdies Testament in einer Akte unter meinem Bett habe. Sollten sie es etwa dort gefunden haben? Plötzlich ist mir übel bei der Vorstellung, daß ich eine derart private Angelegenheit preisgegeben habe und nicht Miss Birdie.
Kein Wunder, daß sie mich ignoriert.
Ich habe keine Ahnung, was in ihren früheren Testamenten steht, also weiß ich nicht, ob Delbert und Vera in dem Wissen schwelgen, daß sie Millionäre werden können, oder ob sie wütend sind, weil sie nicht mehr bekommen. Und es ist völlig ausgeschlossen, daß ich ihnen die Wahrheit sage. Ich will es auch nicht, um ehrlich zu sein.
Delbert tut meine Drohung, die Polizei zu rufen, mit einem verächtlichen Schnauben ab.»Ich frage Sie noch einmal«, sagt er, eine schlechte Imitation von Marion Brando im Paten.»Haben Sie für meine Mutter ein neues Testament aufgesetzt?«
«Sie ist Ihre Mutter. Weshalb fragen Sie nicht sie?«
«Sie rückt nicht mit der Sprache heraus«, meldet sich Vera zu Wort.
«Gut. Dann tue ich es auch nicht. Das ist streng vertraulich.«
Das begreift Delbert nicht so recht, und er ist nicht intelligent genug, um aus einer anderen Ecke heraus anzugreifen. Schließlich weiß er nicht, ob er womöglich gegen das Gesetz verstößt.
«Ich hoffe nur, Sie mischen sich da nicht in Dinge ein, die Sie nichts angehen, junger Mann«, sagt er so furchteinflößend wie möglich.
Ich bin bereit zum Gehen.»Miss Birdie!«rufe ich. Eine Sekunde lang bewegt sie sich nicht, dann hebt sie langsam die Fernbedienung und stellt den Ton lauter.
Soll mir auch recht sein. Ich zeige auf Delbert und Vera.
«Wenn Sie noch einmal in die Nähe meiner Wohnung kommen, rufe ich die Polizei. Haben Sie verstanden?«
Delbert zwingt sich als erster zu einem Auflachen, dann kichert auch Vera schnell ein bißchen. Ich knalle die Tür zu.
Ich kann nicht erkennen, ob sich jemand an den Akten unter meinem Bett zu schaffen gemacht hat. Miss Birdies Testament ist da, genau so, wie ich es hinterlassen hatte. Es ist mehrere Wochen her, seit ich es das letzte Mal angesehen habe. Alles scheint in Ordnung zu sein.
Ich schließe die Tür ab und keile einen Stuhl unter die Klinke.
Ich habe mir angewöhnt, zeitig im Büro zu erscheinen, gegen halb acht, nicht, weil ich in Arbeit ertrinke, und auch nicht, weil meine Tage etwa mit Auftritten vor Gericht und Terminen im Büro angefüllt wären, sondern weil ich gern in Ruhe eine Tasse Kafee trinke und die Einsamkeit genieße. Ich verbringe jeden Tag mindestens eine Stunde damit, mich eingehend mit dem Fall Black zu beschäftigen. Deck und ich versuchen, einander im Büro aus dem Wege zu gehen, aber das ist gelegentlich schwierig. Das Telefon beginnt allmählich, öfter zu läuten.
Ich liebe die Stille dieses Ortes, bevor der Tag beginnt.
Am Montag erscheint Deck spät, erst kurz vor zehn. Wir unterhalten uns ein paar Minuten. Er möchte, daß wir zeitig zum Lunch gehen, es wäre wichtig.
Um elf verlassen wir das Büro und gehen zwei Blocks zu einem vegetarischen Selbstbedienungsladen mit einem kleinen Restaurant im Hintergrund. Wir bestellen fleischlose Pizza und Orangentee. Deck ist sehr nervös, sein Gesicht zuckt noch mehr als gewöhnlich, und sein Kopf fährt beim leisesten Geräusch herum.
«Muß Ihnen was erzählen«, sagt er fast flüsternd. Wir sitzen in einer Nische. Die anderen sechs Tische sind leer.