Er runzelt die Stirn und atmet schwer, als bereitete ihm dies starkes körperliches Unbehagen.»Ich berechne fünfhundert Dollar die Stunde für eine Zeugenaussage.«
Das schockiert mich nicht, weil ich damit gerechnet habe. Während des Studiums habe ich Geschichten von Ärzten gehört, die sogar noch mehr berechnet haben. Ich muß betteln.»Das kann ich mir nicht leisten, Dr. Kord. Ich habe meine Kanzlei erst vor sechs Wochen eröffnet und bin dem Hungertod nahe. Dies ist der einzige anständige Fall, den ich habe.«
Es ist erstaunlich, was die Wahrheit bewirken kann. Dieser Mann verdient vermutlich eine Million Dollar im Jahr, und er ist sofort entwaffnet von meiner Offenheit. Ich sehe Mitleid in seinen Augen. Er zögert eine Sekunde, denkt vielleicht an Donny Ray und daran, wie frustrierend es ist, ihm nicht helfen zu können. Vielleicht tue ich ihm auch leid. Wer weiß?
«Ich schicke Ihnen eine Rechnung, okay? Bezahlen Sie sie, wann immer Sie können.«
«Danke, Doktor.«
«Machen Sie mit meiner Sekretärin einen Termin aus. Können wir es hier machen?«
«Selbstverständlich.«
«Gut. Ich muß weitermachen.«
Als ich zurückkomme, hat Deck eine Mandantin in seinem Büro. Es ist eine Frau in mittlerem Alter, dicklich, gut angezogen. Er winkt mich herein und stellt sie mir als Mrs. Madge Dresser vor, die eine Scheidung möchte. Sie hat geweint, und als ich mich neben Deck an den Schreibtisch lehne, schiebt er mir seinen Block mit einer Notiz zu:»Sie hat Geld.«
Wir verbringen eine Stunde mit Madge, und es ist eine traurige Geschichte. Alkohol, Schläge, andere Frauen, Glücksspiel, mißratene Kinder, und sie hat sich nichts vorzuwerfen. Vor zwei Jahren hat sie schon einmal die Scheidung eingereicht, und ihr Mann hat ihrem Anwalt die Kanzleifenster zerschossen. Er spielt mit Waffen herum und ist gefährlich. Ich werfe Deck einen Blick zu, während sie diese Geschichte erzählt. Er weigert sich, mich anzusehen.
Sie zahlt sechshundert Dollar in bar und verspricht mehr. Wir werden die Scheidungsklage morgen einreichen. Bei der Kanzlei von Rudy Baylor ist sie in guten Händen, versichert ihr Deck.
Kurz nachdem sie gegangen ist, läutet das Telefon. Eine Männerstimme fragt nach mir. Ich nenne meinen Namen.
«Ja, Rudy, hier ist Roger Rice, Anwalt. Ich glaube nicht, daß wir uns kennen.«
Auf meiner Stellungssuche habe ich beinahe jeden Anwalt in Memphis kennengelernt, aber an einen Roger Rice erinnere ich mich nicht.»Nein, das glaube ich auch nicht. Ich bin neu im Geschäft.«
«Ja, ich mußte die Auskunft anrufen, um Ihre Nummer zu bekommen. Hören Sie, ich stecke mitten in einer Zusammenkunft mit zwei Brüdern, Randolph und Delbert Birdsong, und ihrer Mutter Birdie. Soweit ich verstanden habe, kennen Sie diese Leute.«
Ich kann mir genau vorstellen, wie sie da zwischen ihren Söhnen sitzt, dämlich grinst und» wie nett «sagt.
«Ja, Miss Birdie kenne ich sehr gut«, sage ich, als hätte ich den ganzen Tag auf diesen Anruf gewartet.
«Genaugenommen sitzen sie nebenan hier in meiner Kanzlei. Ich habe mich hinausgeschlichen, um mit Ihnen zu sprechen. Ich arbeite an ihrem Testament und, nun ja, es geht um einen Haufen Geld. Sie haben gesagt, sie hätten versucht, ihr Testament aufzusetzen.«
«Das stimmt. Ich habe vor ein paar Monaten einen Entwurf angefertigt, aber sie war offensichtlich nicht geneigt, ihn zu unterschreiben.«
«Warum nicht?«Er macht einen netten Eindruck, tut nur seinen Job, und es ist nicht seine Schuld, daß sie bei ihm sind. Also liefere ich ihm einen kurzen Bericht über Miss Birdies Absicht, ihr Vermögen dem Reverend Kenneth Chandler zu vermachen.
«Hat sie das Geld?«fragt er.
Ich kann ihm die Wahrheit nicht sagen. Es widerspräche sämtlichen ethischen Grundsätzen, wenn ich ohne ihre ausdrückliche Zustimmung irgendwelche Informationen über Miss Birdie preisgeben würde. Und die Information, auf die Rice aus ist, habe ich mir mit wenn auch nicht gerade illegalen, so doch mit dubiosen Mitteln verschafft. Mir sind die Hände gebunden.
«Was hat sie Ihnen erzählt?«frage ich.
«Nicht viel. Etwas über ein Vermögen in Atlanta, Geld, das ihr zweiter Ehemann ihr hinterlassen hat, aber wenn ich versuche, sie festzunageln, macht sie alle möglichen Ausfüchte.«
Das kommt mir sehr bekannt vor.»Weshalb will sie ein neues Testament machen?«frage ich.
«Sie will alles ihrer Familie hinterlassen — Söhnen und Enkelkindern. Ich möchte nur wissen, ob sie das Geld hat.«
«Darüber kann ich Ihnen nichts sagen. In Atlanta gibt es eine Nachlaßakte, und die ist versiegelt. Weiter bin ich nicht gekommen.«
Er ist immer noch nicht befriedigt, aber mehr kann ich ihm nicht sagen. Ich verspreche, ihm den Namen des Anwalts in Atlanta und seine Telefonnummer zu faxen.
Als ich nach neun nach Hause komme, stehen sogar noch mehr Mietwagen in der Einfahrt. Ich bin gezwungen, meinen Wagen auf der Straße stehen zu lassen, und das ärgert mich. Ich schleiche durch die Dunkelheit, und die Leute auf der Terrasse bemerken mich nicht.
Es müssen die Enkelkinder sein. Ich sitze im Dunkeln am Fenster meines kleinen Wohnzimmers, esse eine Hühnerpastete und lausche den Stimmen. Ich kann die von Delbert und Randolph heraushören. Gelegentlich dringt Miss Birdies Gekicher durch die schwüle Luft. Die anderen Stimmen sind jünger.
Das muß gelaufen sein wie bei der Notrufzentrale, eine Sache um Leben und Tod. Kommt schnell! Sie ist stinkreich! Wir dachten, die alte Krähe hätte ein paar Dollar, aber doch kein Vermögen. Sie müssen mit einer Art Telefonkette die ganze Familie aufgescheucht haben. Kommt schnell! Euer Name steht im Testament, und daneben steht eine Million Dollar. Und sie denkt daran, es zu ändern. Macht euch schleunigst auf die Socken. Es ist an der Zeit, Granny zu lieben.
Kapitel 31
Auf Kiplers Rat und mit seiner Zustimmung treffen wir uns für Dots Vernehmung in seinem Gerichtssaal. Nachdem Drummond sie für meine Kanzlei vorgesehen hatte, ohne mich vorher zu fragen, habe ich bewußt weder Ort noch Zeitpunkt zugestimmt. Kipler schaltete sich ein, rief Drummond an, und binnen Sekunden war alles geregelt.
Als wir Donny Ray vernahmen, konnten alle einen Blick auf den in seinem Fairlane sitzenden Buddy werfen. Ich habe Kipler und auch Drummond erklärt, daß es meiner Meinung nach keinen Sinn hat, Buddy zu vernehmen. Er ist nicht ganz richtig, wie Dot es ausdrückt. Der arme Kerl ist harmlos, und er weiß nichts über den Versicherungsschlamassel. In der gesamten Akte deutet nichts darauf hin, daß Buddy irgend etwas darüber weiß. Ich habe noch nie einen vollständigen Satz von ihm gehört, und ich kann mir nicht vorstellen, daß er dem Streß einer eingehenden Vernehmung gewachsen wäre. Buddy könnte durchdrehen und ein paar Anwälte krankenhausreif schlagen.
Dot läßt ihn zu Hause. Ich war gestern zwei Stunden bei ihr und habe sie auf Drummonds Fragen vorbereitet. Sie wird bei der Verhandlung aussagen, also ist dies nicht die offizielle Zeugenaussage, sondern nur eine Vernehmung zu Ermittlungszwecken. Drummond wird den Anfang machen, praktisch alle Fragen stellen und die meiste Zeit freie Bahn haben. Es wird Stunden dauern.
Kipler gedenkt auch diesmal anwesend zu sein. Wir versammeln uns an einem der Anwaltstische unterhalb seines Podiums. Er instruiert die Bedienerin der Videokamera und die Protokollantin. Das hier ist sein Reich, und er will es so haben.
Ich bin überzeugt, er befürchtet, daß Drummond mich einfach überrennen könnte, wenn ich auf mich allein gestellt bin. Die Abneigung zwischen diesen beiden sitzt so tief, daß sie es kaum ertragen können, einander anzusehen. Ich finde das großartig.
Die arme Dot sitzt allein und mit zitternden Händen am Ende des Tisches. Ich bin dicht neben ihr, und das macht sie vermutlich noch nervöser. Sie trägt ihre beste Baumwollbluse und ihre besten Jeans. Ich habe ihr erklärt, daß sie sich nicht herauszuputzen braucht, weil die Geschworenen das Video nicht zu sehen bekommen werden. Aber beim Prozeß ist es wichtig, daß sie ein Kleid trägt. Was wir mit Buddy machen werden, weiß Gott allein.