Kipler sitzt auf meiner Seite des Tisches, aber soweit weg wie möglich, dicht neben der Videokamera. Auf der anderen Seite sitzen Drummond und nur drei Mitstreiter — B. Dewey Clay Hill der Dritte, M. Alec Plunk Junior und Brandon Fuller Grone.
Deck ist im Gebäude, irgendwo draußen auf dem Flur, auf der Jagd nach Mandanten. Er hat gesagt, er würde vielleicht später dazukommen.
Also sind fünf Anwälte und ein Richter anwesend und starren Dot an, als sie die rechte Hand hebt und schwört, die Wahrheit zu sagen. Mir würden auch die Hände zittern. Drummond lächelt breit, stellt sich Dot vor, fürs Protokoll, und verbringt die ersten fünf Minuten mit einer liebenswürdigen Erklärung über den Zweck der Vernehmung. Wir sind auf die Wahrheit aus. Er wird nicht versuchen, sie zu irgend etwas zu verleiten oder sie zu verwirren. Sie kann sich jederzeit mit ihrem Anwalt beraten und so weiter und so weiter. Er hat es ganz und gar nicht eilig. Die Uhr tickt vor sich hin.
Die erste Stunde wird mit Familiengeschichte verbracht. Drummond ist, wie nicht anders zu erwarten, makellos vorbereitet. Er bewegt sich langsam von einem Thema zum nächsten — Schulbildung, Beschäftigungen, Wohnsitze, Hobbys — und stellt Fragen, die mir nicht einmal im Traum eingefallen wären. Das meiste davon ist sinnloses Geschwätz, aber so verhalten sich gewiefte Anwälte nun mal bei einer Vorvernehmung. Frage, grabe, stoß nach, grabe noch ein bißchen, man kann ja nie wissen, was vielleicht dabei herauskommt. Aber selbst wenn er auf irgend etwas besonders Pikantes stoßen würde, sagen wir, eine Teenagerschwangerschaft, dann wäre das völlig nutzlos. Er könnte es nicht vor Gericht verwenden.
Aber die Vorschriften erlauben derartigen Unfug, und sein Mandant zahlt ihm eine Wagenladung Geld dafür, daß er ausgiebigst im trüben fischt.
Kipler kündigt eine Pause an, und Dot stürmt hinaus auf den Flur. Die Zigarette steckt schon zwischen ihren Lippen, bevor sie die Tür erreicht hat. Wir stellen uns an eine Trinkwasserfontäne.
«Sie machen das ausgezeichnet«, sage ich zu ihr, und sie hält sich tatsächlich sehr gut.
«Wird mich dieser Mistkerl auch nach meinem Sexleben fragen?«knurrt sie.
«Vermutlich. «Vor meinem inneren Auge erscheint das Bild von Dot und ihrem Ehemann im Bett, und ich bin nahe daran, mich mal eben entschuldigen zu müssen.
Sie raucht so hastig, als könnte diese Zigarette die letzte sein.
«Können Sie den Kerl nicht stoppen?«
«Wenn er zu weit geht, werde ich es tun. Aber er hat das Recht, nach fast allem zu fragen.«
«Dieser neugierige Bastard.«
In der zweiten Stunde geht es so langsam voran wie in der ersten. Drummond kommt zu den finanziellen Verhältnissen der Blacks, und wir erfahren vom Kauf ihres Hauses und vom Kauf ihrer verschiedenen Wagen, einschließlich des Fairlane, und vom Kauf ihrer größeren Haushaltsgeräte. Da reicht es Kipler, und er fordert Drummond auf, zum nächsten Thema überzugehen. Wir erfahren eine Menge über Buddy, seine Kriegsverletzung, seine Jobs und seine Rente. Und über seine Hobbys und darüber, wie er seine Tage verbringt.
Kipler sagt bissig zu Drummond, er sollte zusehen, daß er etwas Relevantes findet.
Dot informiert uns, daß sie auf die Toilette muß. Ich habe ihr gesagt, das sollte sie immer dann tun, wenn sie erschöpft wäre. Wir unterhalten uns ein paar Minuten auf dem Flur. Währenddessen raucht sie drei Zigaretten, und ich versuche, dem Rauch auszuweichen.
Ungefähr in der Mitte der dritten Stunde kommen wir endlich auf die Versicherung. Ich habe eine vollständige Kopie sämtlicher zu der Akte gehörenden Unterlagen, Donny Rays Krankengeschichte eingeschlossen, angefertigt, und alle diese Dokumente liegen in einem säuberlichen Stapel auf dem Tisch. Kipler hat sie sich angesehen. Wir sind in der seltenen und beneidenswerten Lage, daß wir keine üblen Dokumente haben. Es ist nichts dabei, was wir lieber verbergen würden. Drummond kann alles sehen.
Kipler und auch Deck zufolge ist es in derartigen Fällen nicht ungewöhnlich, daß die Versicherungsgesellschaften versuchen, Dinge vor ihren eigenen Anwälten zu verbergen. Es kommt sogar ziemlich oft vor, zumal dann, wenn die Gesellschaft wirklich schmutzige Wäsche hat, die sie vergraben möchte.
Während eines Seminars über Prozeßführung im vorigen Jahr haben wir fassungslos einen Fall nach dem anderen durchgenommen, bei dem Firmen für ihre Untaten bestraft wurden, weil sie versucht hatten, Dokumente vor ihren eigenen Anwälten geheimzuhalten.
Als wir zu dem Papierkram kommen, bin ich fürchterlich aufgeregt. Und Kipler ist es auch. Drummond hat diese Dokumente bereits angefordert, aber ich habe noch eine Woche Zeit, bis sie ihm vorliegen müssen. Ich würde zu gern sein Gesicht sehen, wenn er den Blöde-Brief liest. Und Kipler auch.
Wir vermuten, daß er das meiste, wenn nicht sogar alles, was vor Dot auf dem Tisch liegt, bereits gesehen hat. Er hat seine Dokumente von seinem Mandanten bekommen. Meine stammen von den Blacks. Aber wir vermuten, daß die meisten davon identisch sind. Ich habe, genau wie er es getan hat, eine schriftliche Aufforderung zur Vorlage sämtlicher Dokumente eingereicht. Wenn er dieser Aufforderung nachkommt, wird er mir Dokumente schicken, die ich seit drei Monaten besitze. Die Papierschlacht.
Später, wenn alles so läuft wie geplant, werde ich in der Zentrale der Gesellschaft in Cleveland einen frischen Haufen Dokumente dazubekommen.
Wir fangen mit dem Antrag und der Police an. Dot gibt sie Drummond, der sie überfliegt und dann an Hill weiterreicht; dann wandert sie weiter zu Plunk und schließlich zu Grone.
Es dauert seine Zeit, bis diese Affen sie Seite für Seite durchgeblättert haben. Sie haben die verdammte Police und den Antrag seit drei Monaten. Aber Zeit ist Geld. Dann macht die Protokollantin sie zu einem Beweisstück in Dots Vernehmung.
Das nächste Dokument ist der erste ablehnende Brief, und er wird gleichfalls um den Tisch herumgereicht. Ebenso geht es mit den anderen Ablehnungsschreiben. Ich bemühe mich angestrengt, nicht einzuschlafen.
Der Blöde-Brief kommt als nächster. Ich habe Dot eingeschärft, ihn Drummond einfach auszuhändigen, ohne irgendeinen Kommentar zu seinem Inhalt. Ich will nicht, daß er vorgewarnt ist, falls er ihn bisher noch nicht zu Gesicht bekommen hat. Das ist ziemlich viel verlangt von Dot, denn der Brief kann einen immer wieder neu in Rage bringen. Drummond nimmt ihn und liest:
Sehr geehrteMrs. Black,
unsere Gesellschaft hat Ihre Ansprüche bereits siebenmal schriftlich abgewiesen. Wir tun es jetzt zum achten und letzten Mal. Offenbar sindSe blöde, blöde, blöde!
Nachdem er die letzten dreißig Jahre in Gerichtssälen verbracht hat, ist Drummond ein vorzüglicher Schauspieler. Mir ist sofort klar, daß er diesen Brief noch nie gesehen hat. Sein Mandant hat ihn der Akte nicht beigefügt. Der Brief ist ein schwerer Schlag für ihn. Sein Mund öffnet sich leicht. Auf seiner Stirn erscheinen drei dicke Falten. Er kneift angestrengt die Augen zusammen und liest den Brief ein zweites Mal.
Dann tut er etwas, von dem er sich später wünscht, er hätte es nicht getan. Er hebt den Blick über den Brief hinweg und sieht mich an. Ich natürlich starre ihn an, mit einer etwas höhnischen Miene, die besagt:»Erwischt, großes Tier.«
Dann macht er die Sache noch schlimmer, indem er Kipler ansieht. Seine Ehren läßt sich keine Gesichtsbewegung entgehen, kein Zucken und Zwinkern, und er registriert das Offenkundige. Drummond ist fassungslos über das, was er in der Hand hält.
Er erholt sich rasch, aber der Schaden ist angerichtet. Er gibt den Brief an Hill weiter, der vor sich hindöst und keine Ahnung hat, daß sein Boß ihm eine Bombe überreicht. Wir beobachten Hill ein paar Sekunden, dann explodiert sie.