Er kommt eine Viertelstunde zu spät, sonst gar nicht seine Art, aber er ist neuerdings ein vielbeschäftigter Mann, und seine ersten Worte sind:»Ich habe bestanden«. Wir trinken unser Wasser, während er mir in allen Einzelheiten die Geschichte seiner Berufung beim Juristischen Prüfungsausschuß erzählt. Sein Examen wurde noch einmal überprüft, die Punktezahl um drei heraufgesetzt, und jetzt ist er ein richtiger Anwalt. Ich habe ihn noch nie so oft lächeln sehen. Außer ihm haben aus unserer Gruppe nur noch zwei mit Erfolg Berufung eingelegt. Sara Plankmore gehört nicht zu ihnen. Booker hat ein Gerücht gehört, daß sie absolut miserabel abgeschnitten hat und sogar Gefahr läuft, ihren Job beim Bundesanwalt zu verlieren.
Trotz seiner Proteste bestelle ich eine Flasche Champagner und weise den Kellner an, mir die Rechnung zu geben. Geld kann man eben nicht verstecken.
Das Essen kommt. Es sind unglaublich winzige, aber sehr hübsch angerichtete Scheibchen Lachs, und wir bewundern ihn eine Weile, bevor wir ihn verspeisen. Shankle läßt Booker in dreißig Richtungen gleichzeitig rennen, fünfzehn Stunden am Tag, aber Charlene ist eine Frau mit sehr viel Geduld. Ihr ist klar, daß er in diesen Anfangsjahren Opfer bringen muß, um später die Belohnung einkassieren zu können. Fürs erste bin ich froh, daß ich weder Frau noch Kinder habe.
Wir unterhalten uns über Kipler. Er und Shankle hatten eine nette kleine Unterhaltung, von der so einiges durchgesickert ist. Anwälten fällt es sehr schwer, Geheimnisse zu bewahren. Shankle hat Booker gegenüber erwähnt, daß Kipler ihm gegenüber erwähnt habe, daß sein Freund, also ich, einen Fall hätte, der Millionen wert sein könnte. Offensichtlich ist Kipler inzwischen überzeugt, daß ich Great Benefit am Kanthaken habe und es jetzt nur noch darum geht, wieviel die Geschworenen uns zusprechen werden. Kipler ist entschlossen, dafür zu sorgen, daß ich in einem Stück vor die Jury trete.
Welch wundervoller Klatsch.
Booker will wissen, was ich sonst noch so mache. Hört sich an, als hätte Kipler vielleicht außerdem etwas in dem Sinne erwähnt, daß ich offensichtlich nur wenig zu tun habe.
Beim Käsekuchen sagt Booker, er hätte ein paar Akten, die ich mir vielleicht gern ansehen würde. Das zweitgrößte Möbelgeschäft in Memphis heißt Ruffin's, eine im Besitz von Schwarzen befindliche Firma mit Läden überall in der Stadt. Jeder kennt Ruffin's, vor allem deshalb, weil sie die Abendshows im Fernsehen mit Spots überschwemmen, in denen alle möglichen Sonderangebote ohne Anzahlung angepriesen werden. Die machen etwa acht Millionen Dollar pro Jahr, sagt Booker, und Shankle ist ihr Anwalt. Sie vergeben ihre eigenen Kredite, und sie haben Unmengen von säumigen Schuldnern. Das liegt in der Natur ihres Geschäfts. Und jetzt hat die Kanzlei Shankle Hunderte von Inkassoakten für Ruffin's-Kunden.
Ob ich ein paar von diesen Akten haben wollte?
Das Inkassorecht ist nicht der Grund dafür, daß intelligente junge Leute Jura studieren. Die Beklagten sind Leute, die billige Möbel gekauft haben und jetzt mit ihren Zahlungen im Verzug sind. Der Mandant will die Möbel nicht wiederhaben, sondern nur das Geld. In den meisten Fällen wird kein Widerspruch eingelegt, der Beklagte erscheint nicht vor Gericht, also muß der Anwalt persönliche Besitztümer oder den Lohn pfänden lassen. Das kann gefährlich sein. Vor drei Jahren wurde ein Anwalt in Memphis von einem wütenden jungen Mann angeschossen, dessen Gehaltsscheck gerade gepfändet worden war.
Wenn es sich lohnen soll, braucht ein Anwalt einen ganzen Stapel derartiger Akten, denn bei jeder Klage geht es nur um ein paar hundert Dollar. Das Gesetz erlaubt das gleichzeitige Eintreiben von Anwaltshonoraren und Kosten.
Es ist unerfreuliche Arbeit, aber — und das ist der Grund dafür, daß Booker sie mir anbietet — es läßt sich etwas Geld damit machen. Bescheidene Honorare, aber die Masse kann genügend einbringen, um die Unkosten zu decken und Lebensmittel einzukaufen.
«Ich kann dir fünfzig schicken«, sagt er,»zusammen mit den erforderlichen Formularen. Und ich werde dir helfen, den
ersten Schwung bei Gericht einzureichen. Dafür gibt es ein System.«
«Wie hoch ist das durchschnittliche Honorar?«
«Das ist schwer zu sagen, weil du bei manchen Akten keinen Pfennig herausholen wirst. Die Leute haben entweder die
Stadt verlassen oder Konkurs angemeldet. Aber im Durchschnitt würde ich sagen, so an die hundert Dollar pro Akte. «Fünfzig mal hundert macht fünftausend Dollar.
«Für eine durchschnittliche Akte brauchst du vier Monate«, erklärt er,»und wenn du willst, kann ich dir monatlich so an
die zwanzig schicken. Reiche sie alle gleichzeitig ein, bei demselben Gericht und demselben Richter, so daß sie alle am gleichen Tag zur Entscheidung kommen. Dann brauchst du nur einmal vor Gericht zu erscheinen. Nimm das Säumnisurteil, und mache von da aus weiter. Es ist zu neunzig Prozent Papierarbeit.«
«Ich tu's«, sage ich.»Gibt es sonst noch etwas, was ihr gerne
loswerden möchtet?«
«Vielleicht. Ich halte immer Ausschau.«
Der Kaffee kommt, und wir beschäftigen uns wieder mit dem, was Anwälte am besten können — über andere Anwälte
reden. In unserem Fall reden wir über unsere Mitstudenten und darüber, wie es ihnen in der wirklichen Welt ergeht. Booker ist wieder am Leben.
Deck bringt es fertig, völlig lautlos durch den winzigsten Spalt
einer offenen Tür hindurchzuschlüpfen. Das tut er bei mir ständig. Ich sitze an meinem Schreibtisch, tief in Gedanken
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«Arbeit.«
Er nimmt eine Akte in die Hand.»Ruffin's?«
«Ja, Sir. Wir arbeiten für die zweitgrößte Möbelfirma in Memphis.«
«Das ist eine Inkassoakte«, sagt er angewidert, als hätte er sich die Hand schmutzig gemacht. Und das von einem Mann, der von weiteren Raddampferkatastrophen träumt.
«Es ist ehrliche Arbeit, Deck.«
«Es ist dasselbe, als würden Sie mit dem Kopf gegen eine Wand rennen.«
«Ziehen Sie ab, und laufen Sie hinter einem Krankenwagen her.«
Er läßt meine Post auf den Schreibtisch fallen und verschwindet so lautlos, wie er gekommen ist. Ich hole tief Luft und öffne einen dicken Umschlag von Trent & Brent. Er enthält einen mindestens fünf Zentimeter dicken Stapel Papiere.
Drummond hat meine schriftlichen Fragen beantwortet, meinen Einlassungen widersprochen und einige der Dokumente beschafft, die ich verlangt hatte. Es wird mich Stunden kosten, mich da durchzuwühlen, und noch mehr Zeit, um herauszufinden, was er nicht beigebracht hat.
Von besonderem Interesse sind seine Antworten auf meine Fragen. Ich muß jemanden von der Versicherungsgesellschaft vernehmen, und er benennt einen Herrn namens Jack Underhall in der Zentrale der Gesellschaft in Cleveland. Außerdem habe ich die offiziellen Titel und Adressen mehrerer Angestellter von Great Benefit angefordert, auf deren Namen ich in Dots Unterlagen wiederholt gestoßen bin.
Mit Hilfe eines Formulars, das Richter Kipler mir gegeben hat, verfasse ich eine Vorladung zur Vernehmung von sechs Leuten. Ich wähle einen Tag in der nächsten Woche, in dem vollen Bewußtsein, daß Drummond anderweitig beschäftigt sein wird. Als es um Dots Vernehmung ging, hat er es mit mir nicht anders gemacht, so wird das Spiel eben gespielt. Er wird zu Kipler rennen, der wenig Mitgefühl aufbringen wird.
Ich bin im Begriff, ein paar Tage in Cleveland zu verbringen, in der Zentrale von Great Benefit. Das ist etwas, was ich gern vermeiden würde, aber ich habe keine andere Wahl. Es wird ein kostspieliger Ausflug werden — Fahrtkosten, Unterkunft, Verpflegung, Protokollantinnen. Deck und ich haben noch nicht darüber gesprochen. Ich hatte offen gestanden gehofft, daß er einen schnell abzuwickelnden Verkehrsunfall an Land ziehen würde.