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«Das ist sehr großzügig.«

«Nicht der Rede wert. Es ist das mindeste, was ich tun kann.«

Wir denken lange Zeit darüber nach. Gelegentlich kommt ein leises Geräusch aus der Küche, aber sonst ist es still im Haus. Kord ist ein Mann, dem lange Gesprächspausen nichts ausmachen.

«Wissen Sie, was ich tue?«fragt er schließlich.

«Was?«

«Ich untersuche Leute, dann bereite ich sie auf den Tod vor.«

«Weshalb haben Sie sich für die Onkologie entschieden?«

«Wollen Sie die Wahrheit hören?«

«Klar. Weshalb nicht?«

«Ganz einfach. Es herrscht Bedarf an Onkologen. Der Andrang ist nicht so groß wie auf anderen Spezialgebieten.«

«Ich nehme an, irgend jemand muß es tun.«

«So schlimm ist es im Grunde nicht. Ich liebe meine Arbeit. «Er schweigt einen Moment und betrachtet seinen Patienten.»Aber das hier geht mir an die Nieren. Zusehen zu müssen, wie ein Patient unbehandelt bleibt. Wenn die Knochenmarkstransplantation nicht so teuer wäre, hätten wir vielleicht etwas tun können. Ich war bereit, meine Zeit und meine Arbeit kostenlos zur Verfügung zu stellen, aber es ist trotzdem noch ein Zweihunderttausend-Dollar-Eingriff. Kein Krankenhaus im Lande kann es sich leisten, so viel Geld zu verschenken.«

«Und deshalb hassen Sie die Versicherungsgesellschaften, stimmt's?«

«Ja, das kann man wohl sagen. «Eine lange Pause, dann:»Wir müssen es ihnen heimzahlen.«

«Ich versuche es.«

«Sind Sie verheiratet?«fragt er, dann setzt er sich gerade auf und sieht auf die Uhr.

«Nein. Und Sie?«»Nein. Geschieden. Lassen Sie uns zusammen ein Bier trinken.«

«Okay. Wo?«

«Kennen Sie Murphy's Oyster Bar?«

«Natürlich.«

«Wir treffen uns dort.«

Wir schleichen auf Zehenspitzen an Donny Ray vorbei, verabschieden uns von Dot, die schaukelnd und rauchend auf der Vorderveranda sitzt, und verlassen sie für diesmal.

Ich schlafe zufällig gerade einmal, als um zwanzig Minuten nach drei in der Nacht das Telefon läutet. Entweder ist Donny Ray tot oder ein Flugzeug ist abgestürzt und Deck wittert fette Beute. Wer sonst würde um diese Zeit anrufen?

«Rudy?«ertönt eine sehr vertraute Stimme vom anderen Ende.

«Miss Birdie?«sage ich, setze mich auf und taste nach dem Lichtschalter.

«Tut mir leid, daß ich Sie zu einer so fürchterlichen Zeit anrufen muß.«

«Das ist okay. Wie geht es Ihnen?«

«Ach, sie sind so gemein zu mir.«

Ich schließe die Augen, hole tief Luft und lasse mich auf mein Bett zurücksinken. Weshalb überrascht mich das nicht?» Wer ist gemein?«frage ich, aber nur, weil es von mir erwartet wird. Es ist schwierig, um diese Zeit Mitgefühl aufzubringen.

«June ist die Gemeinste«, sagt sie, als hätte sie eine Rangordnung aufgestellt.»Sie will mich nicht im Haus haben.«

«Sie wohnen bei Randolph und June?«

«Ja, und es ist fürchterlich. Einfach fürchterlich. Ich habe Angst, etwas zu essen.«

«Weshalb?«

«Weil sie Gift hineingetan haben könnten.«

«Na, hören Sie mal, Miss Birdie.«

«Ich meine es ernst. Sie warten alle nur darauf, daß ich sterbe. Ich habe ein neues Testament unterschrieben, das ihnen gibt, was sie wollen. Das habe ich noch in Memphis getan. Und nachdem wir hier in Tampa angekommen waren, haben

sie sich ein paar Tage lang wirklich reizend benommen. Die Kinder schauten ständig herein. Brachten mir Blumen und Pralinen. Dann hat Delbert mich zu einem Arzt gebracht, damit er mich gründlich untersucht. Nachdem er damit fertig war, hat er erklärt, ich wäre bei bester Gesundheit. Ich glaube, sie haben etwas anderes erwartet. Sie schienen so enttäuscht zu sein von dem, was der Arzt gesagt hat. Und über Nacht wurde alles anders. June wurde wieder zu dem gemeinen kleinen Flittchen, das sie in Wirklichkeit ist. Randolph ging wieder Golfspielen und ist nie zu Hause. Delbert ist ständig beim Hunderennen. Vera haßt June, und June haßt Vera. Die Enkelkinder, die meisten von ihnen haben keinen Job, wissen Sie, sind einfach verschwunden.«

«Weshalb rufen Sie um diese Zeit an, Miss Birdie?«

«Weil, also, ich muß heimlich telefonieren. Gestern hat June mir gesagt, ich dürfte das Telefon nicht mehr benutzen, und da bin ich zu Randolph gegangen, und der hat gesagt, ich dürfte es zweimal am Tag benutzen. Ich vermisse mein Haus, Rudy. Ist alles in Ordnung?«

«Alles bestens, Miss Birdie.«

«Ich halte es hier nicht mehr lange aus. Sie haben mich in ein kleines Schlafzimmer mit einem winzigen Bad gesteckt. Ich bin es gewohnt, viel Platz zu haben, das wissen Sie, Rudy.«

«Ja. Miss Birdie. «Sie wartet darauf, daß ich ihr anbiete, zu kommen und sie zu holen, aber dazu ist es noch zu früh. Sie ist noch nicht einmal einen Monat fort. Das hier ist gut für sie.

«Und Randolph bekniet mich, daß ich eine notarielle Vollmacht unterschreibe, die ihn ermächtigt, sich um meine Angelegenheiten zu kümmern. Was halten Sie davon?«

«Ich empfehle meinen Mandanten nie, eine solche Vollmacht zu unterschreiben, Miss Birdie. Es ist keine gute Idee. «Ich hatte noch nie einen Mandanten, der vor diesem Problem stand, aber in ihrem Fall ist es eine üble Sache.

Armer Randolph. Er reißt sich den Hintern auf, um an das Zwanzig-Millionen-Dollar-Vermögen heranzukommen. Was wird er tun, wenn er die Wahrheit erfährt? Miss Birdie glaubt, im Augenblick liefe es schlecht für sie. Sie braucht nur abzuwarten.

«Also, ich weiß nicht recht…«Ihre Stimme verklingt.

«Unterschreiben Sie nicht, Miss Birdie.«

«Und noch etwas. Gestern hat Delbert — oh, da kommt jemand. Muß Schluß machen. «Am anderen Ende wird der Hörer auf die Gabel geknallt. Ich kann June sehen, wie sie Miss Birdie mit einem Lederriemen für ein unerlaubtes Telefongespräch verprügelt.

Ich betrachte den Anruf nicht als bedeutsames Ereignis. Er war fast belustigend. Wenn Miss Birdie heimkommen will, werde ich sie abholen.

Ich schaffe es, wieder einzuschlafen.

Kapitel 36

Ich wähle die Nummer des Gefängnisses und frage nach der Dame, mit der ich bei meinem ersten Besuch bei Bobby Ort gesprochen habe. Die Vorschriften verlangen, daß alle Besuche mit ihr abgesprochen werden. Ich will noch einmal mit ihm sprechen, bevor wir ihn vernehmen.

Ich kann hören, wie sie etwas in einen Computer eingibt.»Bobby Ott ist nicht mehr hier«, sagt sie.

«Wie bitte?«

«Er wurde vor drei Tagen entlassen.«

«Mir hat er gesagt, er hätte noch achtzehn Tage vor sich. Und das war vor einer Woche.«

«Pech gehabt. Er ist fort.«

«Und wohin?«frage ich fassungslos.

«Machen Sie Witze?«fragt sie und legt auf.

Ott ist verschwunden. Er hat mich angelogen. Wir hatten Glück, daß wir ihn gefunden hatten, und nun ist er wieder untergetaucht.

Der Anruf, vor dem ich mich gefürchtet habe, kommt schließlich an einem Sonntagmorgen. Ich sitze auf Miss Birdies Terrasse, als gehörte das Haus mir, lese die Sonntagszeitung, trinke Kaffee und genieße einen herrlichen Tag. Es ist Dot, und sie sagt mir, daß sie ihn vor einer Stunde gefunden hat. Er ist gestern abend eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht.

Ihre Stimme bebt ein wenig, aber sie hat ihre Gefühle unter Kontrolle. Wir unterhalten uns einen Moment, und ich spüre, daß mein Hals trocken ist und meine Augen feucht sind. In ihren Worten klingt ein Anflug von Erleichterung mit.»Er ist jetzt besser dran«, sagt sie mehr als einmal. Ich sage ihr, wie leid es mir tut, und verspreche, am Nachmittag zu kommen.

Ich wandere durch den Hintergarten zu der Hängematte, wo ich mich an eine Eiche lehne und mir die Tränen von den Wangen wische. Ich setze mich auf den Rand der Hängematte, mit den Füßen auf dem Boden und mit tief gesenktem Kopf, und spreche das letzte meiner vielen Gebete für Donny Ray.