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Nemeth war ihnen ins Zelt gefolgt. Sie wagte es nicht, irgendetwas zu sagen, sondern blickte weiter aus angstvoll aufgerissenen Augen zu dem Mann auf, der vielleicht ihr Vater, oder aber auch ihr Großvater war. Vielleicht war es einzig ihre Gegenwart, die den Bärtigen davon abhielt, mehr zu tun, als Robin anzubrüllen und wütend mit den Armen zu gestikulieren.

Robin war sich nicht sicher, ob die Situation nicht dennoch ein böses Ende genommen hätte, wäre nicht plötzlich Saila unter dem Eingang aufgetaucht - zweifellos angelockt vom Gebrüll des Bärtigen. Sie schien die Situation mit einem einzigen Blick zu erfassen, denn sie trat sofort und ohne zu zögern zwischen Robin und den Muselmanen und zog - wie schon am Tag zuvor - seinen Zorn für einen Moment auf sich, ja, er schien sogar noch wütender zu werden. Zu Robins Erleichterung ließ er seinen Zorn nicht an Saila aus, sondern wandte sich plötzlich um und stürmte dann erbost aus dem Zelt.

»Danke«, sagte Robin. »Es tut mir wirklich Leid. Ich... ich wollte nicht, dass du meinetwegen Ärger bekommst. Bitte glaub mir das.«

Saila antwortete etwas, das Robin wie üblich nicht verstand, aber ihr Ton war sehr ernst, vielleicht auch erbost.

»Ich verstehe, dass du zornig auf mich bist«, bekannte Robin. »Ich verspreche dir, dass es nicht noch einmal vorkommt.« Sie war nicht sicher, ob sie dieses Versprechen wirklich würde halten können. Es war nicht das erste Mal, dass ihre Gefühle mit ihr durchgegangen waren und sie Dinge tun ließen, die sie fast sofort bedauerte. Sie durfte nicht vergessen, dass sie hier fremd war. Eine Fremde in einer Welt, die so vollkommen anders und unverständlich war als alles, was sie jemals erlebt hatte, sodass sie eigentlich nur Fehler machen konnte. Das war in Ordnung, solange diese Fehler nur sie betrafen, aber wenn sie damit andere in Schwierigkeiten oder gar in Gefahr brachte, dann ging das eindeutig zu weit.

»Ich verspreche, dass es nicht noch einmal vorkommen wird«, sagte sie in ernstem, fast feierlichem Ton, und Saila schien die Bedeutung ihrer Worte zu erraten, denn sie nickte ein paar Mal und der Ärger verschwand rasch von ihrem Gesicht. Sie bedeutete Robin noch einmal mit einer Geste, das Zelt nicht zu verlassen, dann drehte sie sich ebenfalls um und folgte dem Bärtigen.

Nemeth, die mit ihnen hereingekommen war, sah Robin noch einen Augenblick lang eindeutig erschrocken an. Dann zog auch sie sich zurück und Robin blieb allein mit sich und ihren Gedanken.

Es waren keine sehr angenehmen Gesellschafter. Ganz egal, was sie noch am Morgen gedacht haben mochte: Sie hatte sich zumindest einen Feind in diesem Dorf gemacht, und es war besser, wenn sie in Zukunft auf der Hut war. Sie ging zum Ausgang, wagte aber nicht, das Zelt zu verlassen, sondern blickte nur stumm hinaus. Niemand war in ihrer Nähe. Augenscheinlich war sie keine Gefangene, und doch waren die unsichtbaren Ketten, die sie hielten, so stabil, als wären sie aus dem härtesten Eisen geschmiedet. Sie sah eine geraume Weile in das allmählich heller werdende Licht des neuen Tages hinaus. Schließlich wandte sie sich traurig ab, ging zu dem kleinen Teppich in der Mitte des Raumes zurück, auf dem sie geschlafen hatte, und ließ sich darauf nieder. Sie dachte wieder an Salim, aber nicht einmal dieser Gedanke brachte ihr jetzt noch Trost.

Der Tag, der ihr letzter in diesem Fischerdorf werden sollte, verging quälend langsam. Gegen Mittag kamen Nemeth und ihre Großmutter in Robins Zelt, um ihr Brot, Fisch und eine Schale Kamelmilch zu bringen. Robin nahm das Essen dankbar an, bedeutete der alten Frau aber mit Gesten, dass sie lieber Wasser trinken würde, und bekam es auch. Ihre Versuche, ein Gespräch in Gang zu bringen, scheiterten diesmal nicht nur daran, dass sie verschiedene Sprachen sprachen. Es wäre ihr durchaus möglich gewesen, sich zumindest, was das Wesentliche betraf, mit Gesten zu verständigen, aber es wurde bald klar, dass der alten Frau nicht an Unterhaltung gelegen war, und ihre bloße Gegenwart hinderte wohl auch das Mädchen daran, es zu versuchen. Nachdem sie fertig gegessen hatte, nahm die Alte die geleerten Schalen wieder an sich, stand auf und befahl Nemeth mit barschen Worten, ihr zu folgen. Und wieder vergingen endlose, quälend langsam verrinnende Stunden, in denen Robin vollkommen allein in ihrem Zelt blieb.

Erst am späten Nachmittag kehrten die Fischerboote von der See zurück. Robin konnte die Stelle, an der sie an Land gingen, von ihrem Zelt aus nicht sehen, aber sie hörte aufgeregte Stimmen, Rufe und Schritte sowie eine allgemeine Unruhe, die sich in dem kleinen Dorf ausbreitete. Kurze Zeit darauf kehrten Saila, Nemeth und der Bärtige zurück. In ihrer Begleitung befand sich ein weiterer Muselmane, den Robin bisher noch nicht gesehen hatte. Dennoch war ihr sofort klar, dass dieser Mann weder ein Fischer war, noch aus dem Dorf stammte.

Er war sehr groß und - soweit man das unter dem lose fallenden Kaftan beurteilen konnte - von schlanker, fast athletischer Statur. An seiner Seite hing ein Krummsäbel, und Robins Herz begann unwillkürlich schneller zu klopfen, als sie seinem Blick begegnete. Der harte Glanz in seinen Augen erinnerte sie an den Mann, gegen den sie auf der sinkenden Sankt Christophorus gekämpft hatte. Vielleicht war er einer jener Sarazenen, denen sie mit Müh und Not entkommen war. Und vielleicht war er hierher gekommen, weil sich die Kunde von der Christenfrau, die das Meer ausgespien hatte, bereits im Land verbreitete und er zu Ende bringen wollte, was seine Kameraden vor zwei Tagen begonnen hatten.

Sein Blick war jedoch nicht wirklich feindselig. Er musterte sie alles andere als freundlich oder gar wohlgesinnt, aber sie las auch keinen Hass in seinen Augen. Seine linke Hand lag auf dem Schwert, jedoch auf eine Art, als läge sie einfach immer dort. Eine ganze Weile sprach er mit dem Bärtigen und etwas kürzer mit Saila - ohne sie in dieser Zeit auch nur einmal aus den Augen zu lassen -, dann trat er einen Schritt auf Robin zu und sprach sie auf Arabisch an: »Wer bist du? Wo kommst du her?«

Robin hätte vor Erleichterung fast gejauchzt. Diese einfachen Worte verstand Robin, als sie sich mit einiger Mühe in Erinnerung rief, was Salim ihr im Laufe des zurückliegenden Jahres beigebracht hatte. Es war gerade so viel, sich notdürftig zu verständigen, keinesfalls aber reichte es aus, um eine richtige Unterhaltung zu führen. Und dennoch hatte sie das Gefühl, einem Menschen gegenüberzustehen, mit dem man sich nicht bloß mit Händen und Füßen verständigen konnte und der ihr womöglich sogar helfen würde. Vielleicht war er über den Pfad gekommen, der in die Hügel führte. Ein reisender Händler, der sie zur nächsten christlichen Stadt mitnehmen würde.

»Robin«, sagte sie. »Mein Name ist Robin. Und ich komme von...« Fast hätte ihre Erleichterung sie dazu gebracht, etwas sehr Dummes zu sagen. Im buchstäblich allerletzten Moment hielt sie jedoch eine innere Stimme zurück. Statt sich um Kopf und Kragen zu reden, machte sie eine vage Bewegung in Richtung des Meeres und sagte: »Von weit her. Aus dem Abendland.«

Ein Schatten huschte über das Gesicht des Fremden, als sie das Wort »Abendland« erwähnte, aber er sagte nichts, und Robin fuhr radebrechend und in dem vermutlich schlechtesten Arabisch fort, das ihr Gegenüber jemals gehört hatte: »Ich war auf einem Schiff. Wir sind überfallen worden. Und ich bin über Bord gefallen. Könnt Ihr mir helfen?«

Sie bekam auch diesmal keine Antwort, obwohl sie ziemlich sicher war, dass der Araber sie verstanden hatte. Er sah sie einfach nur weiter an, auf eine Art, die ihr mit jeder Sekunde weniger gefiel. Plötzlich drehte er sich mit einem Ruck herum und begann nun wieder, in dem Robin unverständlichen Dialekt der Fischer mit dem Bärtigen zu reden. Soweit sie der Unterhaltung folgen konnte, waren die beiden nicht unbedingt einer Meinung, sondern stritten einen Moment hitzig. Schließlich aber nickte der Bärtige, und sie besiegelten, was immer sie ausgemacht hatten, mit einem Handschlag. Ohne sie noch eines weiteren Blickes zu würdigen, verließ der Fremde das Zelt.