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Auch Saila, Nemeth und der Bärtige gingen, doch bevor sie sie allein ließen, bedachte Saila Robin noch einmal mit einem sehr sonderbaren Blick. Diesmal war sie sicher, Schmerz darin zu lesen und ein so tief empfundenes Mitleid, dass ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief. Etwas stimmte hier nicht. Dieser Fremde war nicht gekommen, um ihr zu helfen. Robin glaubte zwar nicht mehr, dass er zu den Sarazenen auf den Schiffen gehörte, denn wäre es so gewesen, hätte er sie zweifellos auf der Stelle getötet, dennoch war sie sich sicher, dass dieser Mann keinesfalls in freundlicher Absicht gekommen war.

Verwirrt und weitaus mehr beunruhigt, als sie selbst zugeben wollte, ging sie wieder zu ihrem Teppich zurück und ließ sich darauf nieder. Sie musste sich innerlich zur Ruhe zwingen. Nach allem, was sie gerade erlebt hatte, wäre sie am liebsten auf der Stelle aus dem Zelt gestürmt und davongelaufen. Aber ihre Vernunft sagte ihr, dass sie wahrlich genug Fehler begangen hatte. Vor allem aber war sie noch immer nicht in der Lage, einen möglicherweise tagelangen, strapaziösen Fußmarsch zu bewältigen. Sie würde hier bleiben, - zumindest noch für den Rest des Tages und die darauf folgende Nacht, und sich morgen früh entscheiden.

Es vergingen nur wenige Minuten, bis Saila und ihre Mutter zurückkehrten. Saila betrat das Zelt mit gesenktem Blick, während die ältere Frau Robin auf eine Weise musterte, die ihr abermals einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Irgendetwas war geschehen. Das Gespräch zwischen dem Bärtigen und dem hoch gewachsenen Fremden schien tatsächlich nicht so harmloser Natur gewesen zu sein, wie sie sich gerade einzureden versucht hatte. »Ich hoffe, ich habe euch nicht schon wieder Ärger bereitet«, sagte sie. »Ich wollte wirklich nicht...«

Die Alte brachte sie mit einer herrischen Geste zum Schweigen, zugleich warf sie ihr ein Bündel vor die Füße und sagte etwas, das eindeutig den Tonfall eines Befehls hatte.

Robin versuchte vergeblich, einen Blick aus Sailas Augen aufzufangen, sah dann einen Moment verständnislos ihre Mutter an, um dann ziemlich beunruhigt das Bündel anzustarren, das die Alte mitgebracht hatte. Zögernd bückte sie sich danach, faltete es auseinander und stellte fest, dass es sich um ein schwarzes Kleid handelte, in Schnitt und Farbe ähnlich dem, das sie trug, aber aus deutlich gröberem Stoff gewoben. Auch Kopftuch und Schleier waren viel schwerer und schmucklos. Zusätzlich fand sie in dem Bündel ein Paar grob gefertigte, stabil aussehende Sandalen. Offensichtlich erwartete die Alte von ihr, dass sie die Kleider, die sie trug, gegen diese hier austauschte. Vielleicht war ihre Sorge doch übertrieben gewesen. Es waren eindeutig Kleidungsstücke, die für eine lange Reise gedacht waren.

Sie zögerte noch einen letzten Moment, aber dann hob sie gehorsam die Schultern und zog sich um, so rasch sie konnte. Saila sah sie immer noch nicht an, sondern starrte mit unbewegtem Gesicht zu Boden, und es war gerade diese bemühte Beherrschtheit, die aus dem unguten Gefühl in Robin allmählich Furcht werden ließ. Irgendetwas stimmte hier nicht. Ihr war mittlerweile klar geworden, dass dieser Fremde sie mitnehmen würde, doch jetzt war sie ganz und gar nicht mehr sicher, ob sie das tatsächlich wollte.

Sie streifte das Gewand über, das man ihr hingeworfen hatte. Es war viel schwerer als das Kleid, das sie bisher getragen hatte, und so grob, dass es sogleich auf der Haut zu scheuern begann. Mit dem schweren Stoff am Leib klebend durch die glühende Mittagssonne zu reiten würde eine reine Qual werden. In diesem unbequemen knöchellangen Kleid auf ein Pferd zu steigen erschien ihr so gut wie unmöglich. Vermutlich erwartete man von ihr, dass sie im Damensitz reiten würde.

Robin drehte sich zu Saila herum, legte sich das Tuch über Kopf und Schultern und bat sie mit Gesten, ihr dabei zu helfen, auch den Schleier anzulegen. Die junge Frau entsprach ihrer Bitte, wich jedoch ihrem Blick weiter aus und Robin glaubte für einen Moment, nicht nur Schmerz, sondern das feuchte Schimmern von Tränen in ihren Augen zu sehen. Sie war nicht sicher, aber allein der Gedanke, dass es so sein könnte, ließ sie vor Furcht innerlich erschauern. Sie verfluchte sich noch einmal für ihre Unbeherrschtheit gegenüber dem bärtigen Fischer. Hätte sie sich nicht dazu hinreißen lassen, ihn niederzuschlagen, dann hätten ihre Aussichten für eine Flucht jetzt eindeutig besser gestanden. Aber was nutzte es jetzt noch, sich mit Worten wie »hätte«, »wenn« und »wäre« abzugeben? Vielleicht sah sie die Dinge ja auch einfach zu schwarz.

»Also gut«, sagte sie, »gehen wir.« Sie begleitete ihre Worte mit einer entsprechenden Geste, woraufhin sich Saila herumdrehte und so schnell aus dem Zelt lief, dass es schon fast einer Flucht gleichkam. Hätte Robin jetzt noch im Leisesten daran gezweifelt, dass hier irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung war, dann hätte die Haltung der Alten diese Zweifel endgültig zerstreut. Sie verzog keine Miene, als Robin hinter Saila das Zelt verließ, und folgte ihr dann in so dichtem Abstand, dass sie nur die Hand auszustrecken brauchte, um sie zu ergreifen. Es war sinnlos, sich noch etwas vorzumachen, dachte Robin. Spätestens seit dem Moment, in dem der Fremde ihr Zelt betreten hatte, war sie nicht mehr Gast in diesem Dorf, sondern Gefangene.

Sie wurde zu dem Platz in der Ortsmitte geführt. Von dort aus hatte sie freien Blick auf das Boot am Strand. Einige Männer und Frauen aus dem Dorf waren damit beschäftigt, die Beutestücke zu sortieren und zu handlichen Bündeln zusammenzuschnüren. Andere trugen diese Pakete dann den Hügel hinauf und verschwanden mit ihrer Last auf der anderen Seite. Der Fremde, der vorhin in ihr Zelt gekommen war, beaufsichtigte die Arbeit zusammen mit zwei weiteren Männern, die ähnlich wie er gekleidet waren und ebenfalls Waffen trugen. Robin wurde zu ihnen gebracht, aber Sailas Mutter ergriff sie am Arm und hielt sie mit einem groben Ruck fest, als sie sich den Männern auf fünf Schritte genähert hatten.

Robin widerstand nur mit Mühe dem Impuls, sich mit einem Ruck frei zu machen. Vielleicht hatte sie ja Glück, und der Bärtige verschwieg dem Fremden in seinem Stolz, dass Robin nicht das wehrlose Kind war, für das er sie möglicherweise hielt. Sie beging auch nicht den Fehler, dem Krieger direkt in die Augen zu blicken und ihn damit vielleicht herauszufordern, sondern starrte wortlos zu Boden und versuchte, ihn und die anderen aus den Augenwinkeln zu beobachten. Was sie sah, rundete das Bild ab, das sie sich bereits auf dem Weg hierher von der Situation gemacht hatte.

Die Fremden waren offensichtlich Händler, denen die Fischer ihre Beute verkauften, und offensichtlich gehörte auch sie zu dieser Beute. Der Gedanke war so erschreckend, dass sie ihn im ersten Moment einfach von sich wies. Aber er war unglückseligerweise auch der einzige, der Sinn machte. Plötzlich verstand sie die Trauer in Sailas Blick. Und ebenso plötzlich wurde ihr klar, dass das, was sie für Schmerz gehalten hatte, vielleicht viel mehr ein Ausdruck von schlechtem Gewissen gewesen war. Aber noch immer mochte sie nicht glauben, dass die Fischer sie nicht aus purem Mitleid und Menschlichkeit aus dem Wasser gezogen hatten, vielmehr weil sie ihr wertvollstes Beutestück gewesen war.

Genau in diesem Moment, fast als hätte er ihre Gedanken gelesen und wollte nun auch ihren letzten Zweifel zerstreuen, deutete der Bärtige mit einer fordernden Geste in ihre Richtung und streckte gleichzeitig die andere Hand nach dem Krieger aus. Dieser antwortete mit einem ärgerlichen Kopfschütteln, aber der Bärtige wiederholte seine Bewegung und bekräftigte sie mit entschieden klingenden Worten. Schließlich griff der Krieger unter seinen Umhang und zog einen Beutel hervor, aus dem er sieben kleine, golden schimmernde Münzen auf die ausgestreckte Hand des Bärtigen abzählte. Die Finger des Fischers schlossen sich so schnell darum wie die Fänge einer zuschnappenden Tarantel. Nach einem letzten, eindeutig boshaften Blick in Robins Richtung drehte er sich herum und ging davon.