Gemächlich wandte sich der Krieger um, kam auf Robin zu, legte die Hand unter ihr Kinn, und schob ihr Gesicht nach oben. Mit der anderen löste er den Schleier, den sie vor dem Gesicht trug. Robin versteifte sich und spannte die Nackenmuskeln an, so sehr sie nur konnte, aber der Krieger drehte ihr Gesicht mühelos zur Seite. Dann zwang er ihr sogar mit Daumen und Zeigefinger die Lippen auseinander, um ihre Zähne, zu begutachten, als wäre sie ein Pferd, das er gerade auf dem Markt erstanden hatte.
Dieser Gedanke war zu viel. So unvernünftig es sein mochte - Robin schlug mit einer blitzschnellen Bewegung seinen Arm zur Seite und wich gleichzeitig einen Schritt zurück. Ein Ausdruck von Verblüffung machte sich auf dem Gesicht des Kriegers breit, und sie wäre nicht überrascht gewesen, hätte er sie auf der Stelle niedergeschlagen. Stattdessen aber schüttelte er nur den Kopf und begann plötzlich zu lachen. Er lachte nicht sehr lange, und es war auch kein Lachen, das Robin gefallen hätte, aber wenigstens schlug er sie nicht.
Mit einer herrischen Geste befahl er ihr, zu ihm zu kommen. Robin schüttelte heftig den Kopf und trat im Gegenteil einen weiteren Schritt zurück. Daraufhin verdüsterte sich das Gesicht des Kriegers wieder. Ohne noch etwas zu sagen, ging er auf sie zu, packte sie mit der linken Hand hart an der Schulter und streckte die andere nach ihrem Gesicht aus. Robin war davon überzeugt, dass er sie nun schlagen würde, doch befestigte er nur wieder den Schleier, ehe er ihr erneut befahclass="underline" »Komm mit mir«, sagte er.
»Nein«, erwiderte Robin, ebenso entschieden wie er, und auf Arabisch.
»Dann werde ich dir wehtun«, sagte der Krieger. »Willst du das?« In seiner Stimme war nicht einmal ein Hauch einer Drohung. Aber es war gerade die Gelassenheit, die Robin begreifen ließ, wie bitter ernst seine Worte gemeint waren. Sie hatte von diesem Mann kein Mitleid zu erwarten.
»Nein«, antwortete sie. »Aber rühr mich nicht noch einmal an.«
Der Krieger verzichtete auf eine Antwort. Er machte nur noch einmal eine - diesmal einladend wirkende - Geste, und diesmal siegte Robins Verstand über ihren Stolz. Sie trat an seine Seite und folgte dann den Dörflern, die die Waffenbündel den steinigen Hang hinauftrugen.
Robin war nicht überrascht, auf der anderen Seite des Hügels eine stattliche Anzahl weiterer Fremder vorzufinden, die den Fischern ihre Lasten abnahmen und dann auf Maultiere und Kamele verluden, die in langer Reihe auf dem Pfad am Fuß des Abhangs aufgereiht standen. Aus ihrer Besorgnis war mittlerweile pure Angst geworden, obwohl sie noch beharrlich gegen dieses Gefühl ankämpfte. Inzwischen klopfte ihr Herz bis in den Hals und sie war mit einem Mal froh, das grobe Gewand zu tragen, denn darunter konnte man das Zittern ihrer Hände und Knie wenigstens nicht sehen. »Wohin... bringt Ihr mich?«, fragte sie.
Ihr Begleiter sah sie auf eine Art an, als wäre er überrascht, dass sie es überhaupt wagte, ihn anzusprechen. »Das geht dich nichts an«, antwortete er. »Geh weiter!«
»Bin ich... bin ich Eure Gefangene?«, fragte Robin. Die Frage schien den Krieger im ersten Moment ehrlich zu verblüffen. Er zog die Augenbrauen zusammen und maß sie mit einem schwer zu deutenden Blick, dann spielte ein abfälliges Lächeln um seine Lippen. »Das liegt ganz bei dir«, antwortete er. »Wenn du keine Schwierigkeiten machst, wird die Reise einigermaßen bequem für dich verlaufen. Wenn nicht...« Er ließ den Satz unbeendet und hob viel sagend die Schultern, aber das Schweigen nach seinen Worten war Antwort genug.
Auch wenn Robin das Arabisch des Fremden wenigstens etwas verstand, im Vergleich zu dem Kauderwelsch der Fischer, so war sie sich keineswegs sicher, ob sie für ihre Frage die richtigen Worte gewählt hatte. Seine Blicke jedoch, sein Gesichtsausdruck und seine Gesten waren in diesem Moment Antwort genug. Als Robin den Missmut in seinen Augen gewahrte, ging sie rasch weiter und nutzte die Gelegenheit, die kleine Karawane noch einmal genauer in Augenschein zu nehmen. Sie bestand aus fünfzehn bis zwanzig Tieren und ungefähr genauso vielen Männern, von denen einige den Fischern beim Beladen der Kamele und Maultiere halfen. Die meisten jedoch standen nur tatenlos herum und begnügten sich damit, bedrohlich auszusehen. Robin war oft genug Menschen begegnet, die Angst hatten, um die Bewegungen und die Blicke der Fischer richtig zu deuten. Mochten sie auch Handel mit diesen Männern treiben - so waren sie ganz gewiss nicht ihre Freunde. Außer den Tieren gab es noch zwei große Karren mit kastenförmigen Aufbauten. Hinter den Wagen schienen noch weitere Begleiter der Karawane zu stehen, doch waren sie durch die Karren so weit verdeckt, dass Robin ihre Anzahl nicht ausmachen konnte. Es kam ihr jedoch so vor, als seien sie merkwürdig dicht zusammengedrängt.
Am Fuße des Hügels angekommen, blieb sie stehen und sah ihren Begleiter unschlüssig an. Er deutete nach rechts, und Robin ging ein Stück weiter, doch dann stockte ihr Schritt. Es war weder Neugier noch Erschöpfung, was sie am Weitergehen hinderte, sondern der pure Schrecken: Die Menschen hinter dem Wagen waren keine Wachen oder Lastenträger, sondern Sklaven. Die meisten waren junge Männer, aber es gab auch ein paar Frauen und etliche Kinder darunter, und alle waren mit groben Stricken an den Händen aneinander gebunden.
»Großer Gott!«, flüsterte sie entsetzt.
»Dein Christengott wird dir hier nicht helfen«, verhöhnte sie der Krieger. »Er hat keine Macht in diesem Land. Du weißt doch: Hier ist sogar sein Sohn gestorben.«
Robin sah ihn entsetzt an, wagte es jedoch nicht, zu antworten; stattdessen drehte sie sich wieder herum und blickte zu den aneinander gebundenen Sklaven. Erst jetzt konnte sie sehen, wie viele es wirklich waren: Es mussten fünfzig oder mehr sein, und kaum einer von ihnen befand sich in einem guten Zustand. Viele sahen aus, als hätten sie einen tagelangen Marsch und schreckliche Entbehrungen hinter sich. Einige schienen kaum noch die Kraft zu haben, sich auf den Beinen zu halten.
»Ihr... Ihr seid Sklavenhändler?«, murmelte sie. Die Frage war reichlich überflüssig und dennoch ließ der Krieger sich zu einer Antwort herab.
»Ja. Aber mach dir keine Sorgen. Wenn du vernünftig bist und tust, was ich dir sage, dann wirst du deutlich bequemer reisen.« Statt seine Worte näher zu erläutern, packte er sie grob am Arm und stieß sie eilig vor sich her, sodass sie laufen musste und ein paar Mal fast aus dem Tritt gekommen und gestürzt wäre. Schließlich erreichten sie das Ende der langen Kette aus aneinander gebundenen, ausgemergelten Menschen, von denen die meisten zu schwach zu waren, um überhaupt Notiz von ihr zu nehmen.
Der Anblick jagte Robin einen kalten Schauer nach dem anderen über den Rücken. Ihr Herz schien sich zusammenzuziehen, bis es schwer wie ein Stein in ihrer Brust lag. Obwohl sie mit jedem Moment neue Schrecknisse und noch mehr Leid sah, war es ihr zugleich auch unmöglich, den Blick von den aneinander gebundenen Sklaven zu wenden. Noch vor drei Tagen, während des Kampfes gegen die Sarazenen, war sie fest davon überzeugt gewesen, das Schlimmste mitzuerleben, was Menschen einander antun konnten. Jetzt wusste sie, dass das nicht stimmte. Dies hier war unendlich grausamer.
Am Ende der langen Kette aus Menschenleibern warteten zwei weitere Kamele und ein dritter, von zwei kräftigen Pferden gezogener Karren auf sie. Ihr Begleiter zerrte sie zum hinteren Ende des Wagens und hielt Robin dabei mit der linken Hand mit eisernem Griff fest, während er mit der anderen den schweren Riegel zurückschob, mit dem die Tür des Wagens gesichert war. Dahinter war es so dunkel, dass Robin nur ein schwarzes Rechteck wahrnahm. Bei diesem Anblick erwachte sie aus ihrer Lethargie und stemmte sich mit aller Kraft gegen den Griff des Sklavenhändlers. Vergebens! Es bereitete ihm nicht die geringste Mühe, sie in den Karren hineinzustoßen. Als sie heftig auf den hölzernen Boden der Kutsche, aufschlug schürfte sie sich die Knie und die Handflächen an den rauen Brettern auf. Mit einem gepeinigten Keuchen rollte sie sich auf die Seite.