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»Du bekommst morgen mehr, bevor wir weiterziehen«, sagte er. Plötzlich lächelte er. »Entschuldige, doch in dieser rauen Gesellschaft hier haben meine Manieren gelitten.« Er deutete eine knappe Verbeugung an. »Mein Name ist Omar Khalid ben Hadschi Mustapha Khalid.«

Robin entschied, dass sie jetzt nicht in der Verfassung war, sich den ellenlangen blumigen Namen eines Heiden zu merken. »Wohin... bringt Ihr mich?«

Omars Gesicht verdüsterte sich für einen Moment, als hätte sie eine Frage gestellt, die ihr nicht zustand. Dann aber schüttelte er den Kopf und sagte: »Nach Hama.« Er deutete auf die dunklen Schatten der Berge. »Eine Stadt im Osten, jenseits des Djebel el-Alawia. Wenn alles gut geht, erreichen wir sie in vier Tagen. Hinter den Bergen erwartet uns noch ein Wüstenstreifen. Wir werden ihn im Licht der Sterne durchqueren und dann im Morgengrauen die Gärten von Hama erreichen.«

Robin hatte diese Namen noch nie gehört. Aber was bedeutete das schon? Sie kannte nur die Namen weniger großer Städte in diesem Teil der Welt, und sah man vielleicht von Jerusalem, Akko und Damaskus ab, so wusste sie außer den Namen nichts von diesen Orten.

»Wie heißt du?«, fragte der Sklavenhändler.

»Robin«, antwortete sie knapp.

»Und wie alt bist du?«

Mit der Antwort auf diese Frage tat sich Robin schwer. Sie hatte nicht gelernt, auf Arabisch zu zählen, und so nahm sie nach kurzem Überlegen die Finger zu Hilfe und bedeutete ihm, dass sie sechzehn war - was möglicherweise der Wahrheit entsprach. Tatsache war, dass sie es selbst nicht ganz genau wusste. In dem Dorf, in dem sie aufgewachsen war, zählte man die Jahre nicht so genau, denn Zeit spielte dort kaum eine Rolle, allerhöchstens der Wechsel der Jahreszeiten.

»Dann bist du kein Kind mehr«, stellte Omar fest. Ein dünnes Lächeln erschien auf seinen Lippen. »Nach dem, was ich im Dorf gehört habe, habe ich das sowieso nicht angenommen.«

»Was habt Ihr denn gehört?«, entfuhr es Robin. Noch ehe sie zu Ende gesprochen hatte, bereute sie die Worte auch schon, denn sie hatte zumindest eines begriffen, nämlich dass es ihr in der Rolle, in der sie sich nun befand, nicht zustand, von sich aus das Wort zu ergreifen oder gar Fragen zu stellen. Ihr Gegenüber schien ihr diese kleine Verfehlung jedoch nicht übel zu nehmen, denn er lächelte plötzlich noch breiter und antwortete: »Dass du eine richtige kleine Wildkatze bist, die sich ihrer Haut zu wehren weiß.«

»Das war...«, begann Robin, wurde aber sofort und mit einer herrischen Geste unterbrochen.

»Du solltest Allah danken, dass wir dich mitgenommen haben«, sagte der Sklavenhändler. »Muhamed ist kein Mann, der verzeiht. Vor allem keine Schmach.«

»Muhamed?«

»Der Fischer, den du niedergeschlagen hast. Mir scheint, dir ist gar nicht klar, was du da getan hast.«

Robin hob die Schultern. Sie war sich bewusst, dass sie einen Fehler gemacht hatte, doch Omars Worte ließen vermuten, dass er noch größer gewesen war, als sie bisher angenommen hatte.

»Von einer Frau in aller Öffentlichkeit niedergeschlagen zu werden...« Der Sklavenhändler schüttelte den Kopf. Er gab sich Mühe, ernst zu blicken, aber das Lächeln hatte sich unwillkürlich in seinem Mundwinkel eingenistet und verriet, wie sehr ihn die Vorstellung im Stillen amüsierte. »Du hast ihn der Lächerlichkeit preisgegeben, und das wird er niemals verzeihen. Glaub mir, Robin, er hätte dich bei der ersten Gelegenheit getötet. Wahrscheinlich hätte er es bereits heute Morgen getan, wäret ihr allein gewesen. Er hatte wohl nur Angst, sich den Zorn der anderen zuzuziehen.«

»Warum?«, fragte Robin.

»Weil du zu wertvoll bist, als dass er dich nur aus verletztem Stolz heraus hätte töten können«, antwortete Omar.

»Wertvoll?«

»Du warst ihr kostbarster Besitz«, erwiderte der Sklavenhändler. Jetzt lächelte er wieder ganz offen, aber seine Amüsiertheit hatte einen anderen Grund. »Du glaubst doch nicht, dass sie dich aus reiner Nächstenliebe gerettet haben?« Er schüttelte heftig den Kopf. »Ich habe mehr für dich bezahlt als für den ganzen anderen Plunder, den sie aus dem Wasser gefischt haben.«

»Oh«, murmelte Robin. Zugleich fragte sie sich, warum sie diese Worte eigentlich so erschreckten. Jetzt, im Nachhinein betrachtet, ergab alles einen Sinn: die Blicke, mit denen der Fischer sie gemustert hatte, die Fürsorge, mit der man sich um sie gekümmert hatte - eine Fremde und noch dazu Angehörige eines Volkes, das mit den Bewohnern dieses Landes verfeindet war; und doch: Die Worte taten weh. Für einige wenige Stunden hatte sie geglaubt, dass es tatsächlich noch so etwas wie Menschlichkeit und Nächstenliebe in der Welt gab. Aber das war offensichtlich ein Irrtum gewesen.

Sie wollte eine weitere Frage stellen, aber in diesem Moment vernahm sie von der anderen Seite des Lagers aufgeregte Stimmen, wütende Rufe, trappelnde Schritte. Robin drehte den Kopf und spähte in die Richtung, aus der die Geräusche kamen, konnte aber in der Dunkelheit jenseits der Feuerstelle nichts erkennen. Auch der Sklavenhändler blickte auf. Mit einem Mal wirkte er angespannt. Er erhob sich jedoch nicht, um nach der Ursache des Lärms zu sehen, sondern machte nur eine befehlende Geste zu einem der Männer auf der anderen Seite des Feuers. Wortlos stand der Mann auf und eilte davon.

Omar wandte sich mit ernster Miene an Robin. »Es ist Zeit, dass du zurück in den Wagen gehst. Muss ich dich fesseln oder versprichst du mir, vernünftig zu sein?«

»Ihr meint, ob ich nicht versuche zu fliehen?« Robin schüttelte den Kopf. »Wohin sollte ich denn gehen?«

»In den Tod«, antwortete er. »Selbst wenn du entkämst, wäre es dein sicheres Ende. Es gibt hier in der Nähe zwar einen Fluss, aber ich werde dir nicht verraten, in welcher Richtung du ihn findest. Wohin wolltest du auch gehen? Zurück ins Fischerdorf?« Bei den letzten Worten spielte ein grausames Lächeln um seine Lippen. »Komm jetzt! Die Nacht ist kurz, und wir brechen noch vor Sonnenaufgang wieder auf.«

Der Lärm auf der anderen Seite des Lagers schwoll an, während sie zum Wagen zurückkehrten. Robin drehte ein paar Mal den Kopf und sah neugierig in die entsprechende Richtung, aber die Nacht war zu dunkel, um irgendetwas zu erkennen, das weiter als fünf oder sechs Schritte entfernt war. Sie hörte jetzt eindeutig aufgeregte Rufe. Es waren die Stimmen von drei oder vier Männern, die wütend durcheinander schrien, und eine weibliche Stimme. Oder war es die eines Kindes?

Plötzlich blieb Robin wie vom Schlag gerührt stehen. Obwohl sie ganz genau wusste, wie unmöglich es war: Sie hatte ihren Namen rufen gehört. Gleichermaßen überrascht wie berührt drehte sie sich um und wollte zurück, aber der Sklavenhändler versetzte ihr einen so derben Stoß, dass sie rückwärts taumelte und beinahe gestürzt wäre.

»Weiter!«, herrschte er sie an.

Wieder musste sich Robin mit aller Macht beherrschen, um sich nicht zu widersetzen oder seine Hand einfach zur Seite zu schlagen. Sie drängte den Impuls zurück, blieb jedoch noch einen Moment lang stehen und versuchte, die Dunkelheit mit Blicken zu durchdringen. Die Schreie und der Lärm hielten an. Aber jetzt hörte sie nur noch wütende Männerstimmen und niemanden mehr, der nach ihr rief. Hatte sie sich das vielleicht nur eingebildet? Außer ihr und dem Sklavenhändler konnte hier niemand ihren Namen kennen. Vielleicht lag es an ihrer Schwäche und Müdigkeit...