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»Los jetzt!«, befahl der Sklavenhändler. »Stell meine Geduld nicht zu sehr auf die Probe.«

Robin blickte erschrocken auf. Viel mehr als seine Worte warnte sie das zornige Beben seiner Stimme. Es fehlte nicht mehr viel und er würde sie schlagen oder ihr Schlimmeres antun.

Rasch wandte sie sich um und ging weiter; diesmal so schnell, dass er Mühe hatte, mit ihr Schritt zu halten.

Hama war eine große, lärmende Stadt voller Menschen und brodelndem Leben - jedenfalls nahm Robin das an. Doch das Erste, was sie von der Stadt sah, war ein weiter, an allen Seiten von doppelt mannshohen, braunen Sandsteinmauern umgebener Innenhof, in dem der Wagen zum Stillstand gekommen war.

Selbst den Hof nahm Robin nur schemenhaft wahr, wie durch einen Schleier aus klarem Wasser, der sich vor ihren Augen bewegte. Es war vier Tage her, dass sie das letzte Mal wirklich Sonnenlicht gesehen hatte, denn sie hatte die gesamte Reise im Inneren des fensterlosen Wagens zugebracht. Nur abends hatte man sie für kurze Zeit aus ihrem Gefängnis befreit, damit sie essen und ihren körperlichen Bedürfnissen nachkommen konnte. Sie war nicht einmal sicher, ob es tatsächlich vier oder vielleicht auch mehr Tage gewesen waren. Irgendwann war ihr Zeitgefühl vollkommen erloschen und ihr Leben hatte nur darin bestanden, auf dem harten Boden in eine halbwegs erträgliche Lage zu rutschen und dem immer wiederkehrenden Fieber und dem ständigen Durst zu trotzen. Die Hitze, die sich tagsüber in dem kleinen Wagen staute, war schier unerträglich gewesen. Und obwohl sie gut verpflegt worden war, hatte sie weiter deutlich an Gewicht verloren.

Robin hob schützend die Hand über das Gesicht, denn das ungewohnte Sonnenlicht stach wie mit winzigen glühenden Nadeln in ihre Augen. Vorsichtig trat sie einen Schritt von dem Wagen zurück und drehte sich herum, als hinter ihr eine ärgerliche Stimme laut wurde. Es war nicht der Sklavenhändler selbst - von dem war weit und breit nichts zu sehen -, sondern einer der Männer, die sie abends am Lagerfeuer gesehen hatte. Robin verstand nicht, was er von ihr wollte, während er heftig mit beiden Händen gestikulierte und sehr verärgert wirkte. Hilflos hob sie die Schultern, und diese Geste war offenbar über alle Sprachbarrieren hinweg verständlich.

Der Araber trat wütend auf sie zu und packte sie so derb am Oberarm, dass Robin erschrocken die Luft einsog. Ihre Sammlung blauer Flecken, Schrammen und Hautabschürfungen hatte sich vermutlich gerade um ein weiteres Exemplar vergrößert. Mit der freien Hand streifte er ihr das Kopftuch über, das Robin in der Abgeschiedenheit des Wagens natürlich nicht getragen und auch jetzt nur lose über die Schultern gelegt hatte. Dann versuchte er, den Schleier vor ihrem Gesicht zu befestigen. Dabei stellte er sich ziemlich ungeschickt an. Seine groben Finger streiften ihre Wange und sie spürte seine raue und sonnenverbrannte Haut. Ein säuerlicher und zugleich scharfer Geruch entströmte ihr, und Robin musste gegen Übelkeit ankämpfen.

Angewidert drehte sie den Kopf zur Seite, machte einen halben Schritt zurück und beeilte sich, den Schleier selbst zu befestigen. Seinem Blick nach zu urteilen war das Ergebnis nicht das, was er sich vorgestellt hatte, aber er schien sich dennoch damit zufrieden zu geben, denn er beließ es dabei, ungeduldig mit den Händen zu fuchteln und auf eine Tür hinter ihrem Rücken zu deuten. Robin drehte sich gehorsam herum, und nutzte die Gelegenheit, um noch einen raschen Blick in die Runde zu werfen.

Viel gab es indes nicht zu sehen. Der Hof war an drei Seiten von hohen, grob verputzten Mauern umschlossen. Der einzige Weg hinaus in die Gassen der Stadt war ein breites, aus soliden Balken gefertigtes Holztor, das sich hinter der kleinen Karawane bereits wieder geschlossen hatte. Die vierte Seite des Hofes wurde von einer Hauswand eingenommen. Zu ebener Erde gab es hier nur den einen niedrigen Eingang, auf den ihr Bewacher gedeutet hatte. Hinter der offenen Tür konnte sie nichts als Dunkelheit ausmachen. Die beiden oberen Geschosse des dreistöckigen Hauses besaßen zahlreiche vergitterte Fenster, aber diese waren so schmal, dass sie eher an Schießscharten erinnerten.

Kein unbedingt einladender Ort.

Die Stimme hinter ihr wurde nun lauter und deutlich ungeduldiger. Robin beeilte sich, zur Tür zu kommen, obwohl alles in ihr danach schrie, herumzufahren und davonzulaufen, ganz egal, wie aussichtslos ein Fluchtversuch auch sein mochte. Der Araber gab ihr ohnehin nicht die geringste Gelegenheit dazu; unsanft stieß er sie vorwärts und in einen dunklen Gang hinein, dann schlug er hinter ihrem Rücken die Tür zu. Robin hörte das ihr inzwischen vertraute Geräusch eines schweren Riegels, der vorgelegt wurde.

Von außen. Sie war wieder in einem Gefängnis.

Sogleich drang das ferne Plätschern von Wasser und leise, fremdartige Musik an ihr Ohr; außerdem war es so angenehm kühl im Haus, dass sich schon beinahe wohl zu fühlen begann. Allerdings nur so lange, bis sie das Knarren einer Tür am anderen Ende des Ganges hörte und gespannt darauf wartete, welche Art Peiniger sie nun hier erwartete.

Doch statt eines weiteren übel aufgelegten Gehilfen des Sklavenhändlers betrat eine alte, barhäuptige Frau den Korridor. Sie kam nicht näher, sondern blieb unter der Tür stehen und bedachte Robin mit einem Blick, der ihr gar nicht gefiel. Er war nicht einmal unfreundlich, doch die durchdringende, prüfende Art, mit der sie Robin musterte, ließ ihr einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Die Alte sah sie an, wie man einen neu erworbenen, kostbaren Besitz betrachten mochte, vielleicht auch ein edles Pferd, das man zu zähmen gedenkt. Schon dieser eine Blick reichte Robin, um zu wissen, dass sie von dieser Frau kein Mitleid oder gar Beistand erwarten konnte.

Die alte Frau war ein Stück kleiner als Robin und hatte strähniges, bis auf die Schultern fallendes graues Haar, das so dünn geworden war, dass hier und da schon ihre Kopfhaut durchschimmerte. Ihre Hände waren schmal und knochig, und Robin musste unwillkürlich an ein Skelett denken. Die Alte trat einen Schritt zurück und wieder durch die Tür hindurch, unter der sie gerade erschienen war. Dann winkte sie Robin, ihr zu folgen. »Komm«, befahl sie, mit einer Stimme, die trotz ihres stolzen Alters voller Kraft war.

Da Robin es sich nicht gleich im ersten Moment mit ihr verderben wollte, beschleunigte sie ihre Schritte und stieg gehorsam die Steintreppe hinauf, auf die die Alte gedeutet hatte. Sie führte an zwei Fenstern vorbei, die mit bunt bestickten Tüchern verhängt waren, sodass Robin nicht sagen konnte, ob sie auf die Straße oder nur einen weiteren Hof hinausgingen. Ein sonderbarer Geruch hing in der Luft: nicht unangenehm, aber fremdartig. Es duftete nach Gewürzen, Kräutern und anderen Dingen, die sie nicht zu benennen vermochte. Von ganz weit her glaubte sie Stimmen zu hören. Ein leises Wehklagen etwa? Aber Robin war sich nicht ganz sicher.

Auch im obersten Stockwerk gab es einen Flur mit zwei Türen. Robin wartete und lauschte auf den schlurfenden Schritt der Alten. Wortlos ging ihre Führerin an ihr vorbei und wählte die Tür auf der linken Seite. Sie schob den Riegel zurück und bedeutete Robin mit einer eindeutigen Gebärde einzutreten.

Robin hatte sich zwar fest vorgenommen, auf keinen Fall etwas Unüberlegtes zu tun, und doch... Die Gelegenheit war günstig. Ein altes Weib zu überwältigen sollte keine Mühe machen. Aber was dann? Wohin sollte sie sich wenden? Nein, es war klüger, sich zunächst in ihr Schicksal zu fügen. So trat sie schweren Herzens in die Kammer, die man ihr aufgeschlossen hatte, und erlebte eine Überraschung. Das Zimmer war kein Kerker, nein, es war das prächtigste Gemach, das sie jemals gesehen hatte. Ein Quartier, das eines Königs würdig gewesen wäre.

Der Raum war sehr groß und so hell, dass sie im ersten Moment blinzeln musste und ihre Augen zwei oder drei Herzschläge brauchten, um sich an das Licht zu gewöhnen. Der Boden bestand nicht mehr aus schlichten Steinplatten, sondern aus einem prächtigen schwarzweißen Mosaik. Die Wände waren mit wunderbaren Fresken bedeckt, die eine Jagd und Szenen im Garten eines Fürstenhofes darstellten.