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»Saila!«, entfuhr es ihr.

Die Angesprochene sah hoch, aber auch in ihrem Blick waren nur noch Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Einen Augenblick lang sah sie Robin wortlos an, dann erhob sie sich auf Hände und Knie, kroch zu Nemeth hinüber und schloss das weinende Kind in die Arme.

»Ihr... Ihr habt sie alle mitgenommen?«, murmelte Robin. »Das ganze Dorf?«

»Ich schätze es nicht, betrogen zu werden«, antwortete der Sklavenhändler kalt. »Ich habe ihnen einen fairen Preis geboten und wir waren uns einig. Aber sie haben versucht, mich zu hintergehen, und so musste ich mir nehmen, was mir von Rechts wegen zusteht.«

»Zusteht?«, flüsterte Robin. »Ihr...«

Sie sprach nicht weiter, nicht aus Furcht. Das Entsetzen über das, was sie sah und gerade erfahren hatte, schnürte ihr einfach die Kehle zu. Vielleicht hatten Abbé, Horace und die anderen Ritter ja Recht, dachte sie. Vielleicht waren die Menschen in diesem Teil der Welt ja tatsächlich die Ungeheuer, als die sie sie so oft beschrieben hatten. Barbaren, die sich hinter prachtvollen Gewändern und in Städten voller unvorstellbarem Luxus versteckten, die tief im Inneren aber nicht besser waren als wilde Tiere.

Robin achtete nicht auf die ungeduldige Gebärde des Sklavenhändlers und trat wieder dichter an das Gitter heran. Zum zweiten Mal ließ sie sich auf die Knie sinken und streckte den Arm durch die Stäbe nach Nemeth aus.

Das Mädchen starrte sie nur angsterfüllt an. Es weinte lautlos und auch über das Gesicht ihrer Mutter liefen Tränen. Nach ein paar Augenblicken machte Nemeth eine Bewegung, als wollte sie sich aus den Armen ihrer Mutter lösen und zu ihr kommen, aber Saila umklammerte sie nur noch fester, und schließlich zog Robin enttäuscht den Arm zurück und stand auf.

»Ich werde dir helfen«, sagte sie. »Das verspreche ich.«

»Du solltest nichts versprechen, was du nicht halten kannst, dummes Kind«, sagte der Sklavenhändler. »Weißt du nicht, dass falsche Hoffnungen das Schlimmste sind, was man einem Menschen antun kann? Und jetzt komm. Strapazier meine Geduld nicht über die Maßen.«

Ich werde dir helfen. Robin wagte es nicht, die Worte laut auszusprechen, aber sie dachte sie mit solcher Intensität, dass sich etwas davon wohl in ihrem Blick spiegeln musste, denn das Letzte, was sie in Nemeths Augen las, bevor sie sich herumdrehte, war eine neu aufkeimende, jähe Hoffnung und ein so verzweifeltes Flehen, dass ihr der Anblick schier das Herz brach. Sie würde sich jetzt nicht weiter widersetzen, aber in Gedanken wiederholte sie ihr lautloses Versprechen noch einmal, als sie die Treppe hinaufstiegen, um wieder in ihren goldenen Käfig zurückzukehren, und es war gewiss keine leere Versprechung. Jetzt hatte sie noch einen Grund mehr, einen Ausweg aus diesem Albtraum hier zu finden.

Robin leistete keinen Widerstand mehr und war innerlich auf das Schlimmste vorbereitet, nachdem man sie auf ihr Zimmer zurückgebracht hatte. Es mochte seitdem eine Stunde vergangen sein, bis Naida in Begleitung zweier jüngerer Frauen wiederkam.

Was konnte man ihr schon noch antun, dachte Robin verbittert, was ihr nicht bereits angetan worden war? Hätte sie ehrlich über diese Frage nachgedacht, dann hätte die Antwort vermutlich gelautet: eine ganze Menge. Man konnte sie töten. Man konnte sie foltern. Man konnte sie weiter erniedrigen. Trotzdem hatte sie das Gefühl, bereits so tief gestürzt zu sein, wie es nur ging. Es gab nichts, was man ihr noch wegnehmen, keinen Schrecken, mit dem man sie noch ängstigen konnte. Sie würde schweigend alles erdulden, was immer das Schicksal noch für sie bereithielt, und währenddessen still auf ihre Gelegenheit warten.

Zunächst jedoch widerfuhr ihr nichts Schlimmeres, als dass Naida ihr mit groben Gesten befahl, sich zu entkleiden. Robin gehorchte, woraufhin eine der beiden jüngeren Sklavinnen ihr Gewand nahm und damit das Zimmer verließ. Die andere brachte eine Schale mit frischem Wasser, weiche Tücher und ein Stück wohlriechender Seife, mit der sie Robin von Kopf bis Fuß wusch, als wäre sie ein kleines Kind, das nicht allein dazu in der Lage war. Naida stand die ganze Zeit schweigend dabei und sah mit verdrießlichem Gesicht zu. Offensichtlich war sie mit dem Ergebnis der Bemühungen nicht zufrieden, denn sie sagte ein paar grobe Worte, und die Sklavin begann erneut mit ihrer Prozedur. Es sollte nicht mehr lange dauern, bis Robin herausfand, dass alles, was Naida sagte, irgendwie grob klang, jedoch längst nicht immer so gemeint war.

Die Seife roch köstlich und fühlte sich so wunderbar auf der Haut an, dass Robin noch stundenlang dieses Gefühl hätte genießen wollen. Aber schließlich war das Wasser eiskalt, und als Naida endlich zufrieden gestellt war und dies mit einem angedeuteten Nicken kundtat, da zitterte sie am ganzen Leib und sah sich suchend nach einer Decke um, in die sie sich wickeln konnte. Naida verzog spöttisch das Gesicht und klatschte in die Hände. Die Sklavin nahm die Wasserschale und ging damit hinaus, und nur einen Augenblick später kehrte die andere Frau zurück. Über dem Arm trug sie ordentlich zusammengefaltete Kleider, in der rechten Hand hielt sie ein Paar zierlicher mit Perlen bestickter Pantoffeln, die aus dünnen goldfarbenen Schnüren geflochten waren, und in der anderen einen zusammengeschnürten Leinensack. Naida nahm ihr beides ab, warf die Kleider und Schuhe achtlos aufs Bett und schnürte den Beutel auf. Robin beobachtete misstrauisch ihr Tun, doch die Alte zog keine Folterwerkzeuge hervor, sondern nur einige weitere, kleinere Beutel und Säckchen sowie schmale Streifen eines weißen Tuches.

Sie winkte Robin heran, befahl ihr, sich herumzudrehen. Dann begutachtete sie ausführlich ihre auf dem ganzen Körper verteilten Kratzer und Verletzungen. Die meisten davon waren harmlos, aber Robin mutmaßte, dass zwei oder drei der Wunden tief genug waren, um hässlich zu vernarben. Naida untersuchte all ihre Verletzungen gründlich, kratzte hier und da mit dem Fingernagel ein wenig Schorf ab. Es tat weh, aber Robin biss tapfer die Zähne zusammen und gab nicht den mindesten Laut von sich. Schließlich begann die Alte, die unterschiedlichsten Tinkturen und Salben aus ihren Beutelchen hervorzuholen und auf die Verletzungen aufzutragen. Manches brannte wie Feuer, das meiste aber war kühl und tat gut. Robin ließ es gerne mit sich geschehen, dass Naida ihr zwei neue Verbände anlegte.

Als sie endlich fertig war, schielte Robin verlangend nach den Kleidern, die auf dem Bett lagen. Sie fror so erbärmlich, dass sie mittlerweile am ganzen Leib zitterte, obwohl die Sonne mit großer Kraft durch das Fenster hereinschien und es im Zimmer eher zu warm als zu kalt war. Offensichtlich hatte sie immer noch ein wenig Fieber, und ihr Körper protestierte mit Nachdruck gegen die grobe Behandlung, die sie ihm seit Wochen zuteil werden ließ. Doch Naida schüttelte nur den Kopf, schob sie am ausgestreckten Arm ein Stück von sich weg und begutachtete sie von Kopf bis Fuß, so wie ein Maler, der gerade ein Bild fertig gestellt hatte, aber nicht ganz zufrieden mit seiner Arbeit war.

Die Alte deutete auf die Narbe an Robins Kehle, sagte etwas, das sich wenig freundlich anhörte, und griff dann nach Robins Arm. Ihr Daumen grub sich so derb in Robins Oberarm, dass sie schmerzerfüllt die Luft einsog. Robin brauchte ihre Worte gar nicht zu verstehen, denn die Miene der alten Frau ließ ihre Missbilligung deutlich erkennen. Es war nicht schwer zu erraten, was sie sagen wollte. Körperlich hatte sich Robin im Verlauf des zurückliegenden Jahres endgültig vom Mädchen zur Frau entwickelt und mit ihrem Gesicht und ihrer Figur konnte sie sich ohne Weiteres mit den allermeisten anderen Frauen messen, denen sie begegnet war - auch wenn ihre Rundungen weniger üppig ausfielen als bei den meisten ihrer Geschlechtsgenossinnen. Schlimm stand es jedoch um ihre Frisur, die gewiss praktisch war, wenn man einen schweren Topfhelm trug, doch nüchtern betrachtet alles andere als damenhaft aussah.