Robin musste sich mit aller Gewalt beherrschen, um den Ring nicht an sich zu reißen, als er ihr die Hand entgegenstreckte. So ruhig, wie es ihr möglich war, nahm sie den Ring, streifte ihn wieder über den Finger und schloss schützend die Faust darum. Der Sklavenhändler sah ihr wortlos zu. Sein Gesicht blieb unbewegt, aber Robin meinte ein sonderbares Glitzern in seinen Augen wahrzunehmen, wobei sie nicht sicher war, ob es sich um einen Ausdruck von Spott oder Herablassung handelte.
»Danke«, sagte sie.
»Du wirst gleich zu essen bekommen«, erklärte Omar, ohne noch weiter auf den Ring einzugehen. »Für den Rest des Tages magst du dich ausruhen, aber schon morgen früh wirst du anfangen, unsere Sprache besser zu lernen.« Er deutete auf die alte Frau. »Naida ist eine ausgezeichnete Lehrerin, wenn auch manchmal etwas ungeduldig. Tu, was sie von dir verlangt, und es wird dir gut gehen. Wenn sich erweist, dass du es wert bist, wird noch ein weiterer Lehrer kommen, der dich in die Dinge unterweist, die eine Frau wissen sollte.« Der Sklavenhändler lächelte anzüglich. »Im Übrigen werde ich nach einem Heilkundigen schicken, der sich deine Wunden ansehen soll. Du siehst ja aus, als sei eine Herde wilder Pferde über dich hinweggetrampelt.«
»Zu gütig«, murmelte sie leise.
»Versteh mich nicht falsch. Ich habe einen Namen zu verlieren und kann es mir nicht leisten, dass man mir nachsagt, ich hätte meine Kunden mit schadhafter Ware oder schlimmer noch... Gütern aus zweiter Hand beliefert.« Damit drehte er sich herum und wollte das Zimmer verlassen, aber Robin rief ihn noch einmal zurück. »Herr?«
Der Sklavenhändler blieb stehen, drehte sich widerwillig herum und warf ihr einen ungeduldigen Blick zu. »Was ist denn noch?«
Robins Herz begann zu pochen. Eine innere Stimme sagte ihr, dass sie dabei war, einen schweren Fehler zu begehen. Nach den Ereignissen der vergangenen Tage hätte sie jetzt ebenso gut gefesselt und halb verhungert bei den anderen Sklaven unten im Keller sein können. Sie war vermutlich gut beraten, wenn sie den Bogen nicht überspannte und das Schicksal, das es so unerwartet gut mit ihr gemeint hatte, nicht noch zusätzlich auf die Probe stellte. Dennoch fuhr sie mit leiser, fast unterwürfiger Stimme fort: »Darf ich noch eine Bitte äußern?«
Auf dem Gesicht ihres Gegenübers war deutlich abzulesen, wie sehr Robin seine Geduld strapazierte. Dennoch nickte er knapp und Robin fuhr fort: »Nemeth. Das... das Mädchen aus dem Fischerdorf. Erinnert Ihr euch? Ihr habt sie mitgenommen.«
»Und?«
»Ich... würde sie gerne besuchen«, sagte Robin. »Vielleicht nur... ab und zu.«
Der Sklavenhändler dachte einen Moment über ihre Bitte nach, dann machte er eine Bewegung, von der sie nicht ganz sicher war, ob sie ein Nicken oder ein Kopfschütteln darstellte. »Wenn deine Pflichten es zulassen«, sagte er.
Und damit ging er endgültig.
7. KAPITEL
Robin sollte bereits am nächsten Morgen herausfinden, wie diese Worte gemeint waren. Nach der Ankündigung des Sklavenhändlers hatte sie erwartet, ihre Tage in diesem luxuriösen Gefängnis mit nichts anderem als einigen Stunden Sprachunterricht und sehr vielen Stunden Langeweile zu verbringen, aber das Gegenteil war der Fall. Trotz des Sturms von Gefühlen, der in ihr tobte, und all der unzähligen Ängste und Befürchtungen, mit denen sie sich quälte, hatte sie ausgezeichnet und sehr tief geschlafen.
Noch nie hatte sie in einem solchen Bett gelegen, und zum ersten Mal seit Wochen schlief sie ein, ohne dass ihr übel war, ihr etwas wehtat, der Boden unter ihr bedrohlich schwankte und sie fürchten musste, sich durch eine unbedachte Bemerkung oder auch nur eine falsche Bewegung zu verraten. Sie erwachte erst, als die Sonne bereits hoch am Himmel stand. Das Klappern der großen silbernen Teller, auf denen die beiden Sklavinnen eine Schale mit Wasser zum Waschen und ein reichhaltiges Frühstück hereinbrachten, hatte Robin geweckt. Obwohl unvermittelt aus dem tiefsten Schlaf gerissen, war sie sofort hellwach und versuchte, die beiden Frauen in ein Gespräch zu verwickeln. Ihr Arabisch war aber entweder zu schlecht, um sich mit den beiden Frauen zu verständigen, oder sie hatten Befehl, nicht mit ihr zu reden, denn ihre Antworten bestanden nur aus einem freundlichen Lächeln oder Gesten des Nichtverstehens.
Kaum hatte Robin ihr Frühstück beendet und sich angekleidet, da erschien auch schon Naida, und ihr Unterricht begann. Ganz, wie Omar es behauptet hatte, erwies sich die alte Frau als ausgezeichnete Lehrerin, die manchmal etwas unwirsch wirkte, doch dort, wo Geduld angebracht war, genug davon aufbrachte. Auch verzieh sie Robin so manchen Fehler, für den Bruder Abbé oder Heinrich sie heftig gescholten hätten.
Der Unterricht ging bis zur Mittagsstunde und Naida gab ihr gerade genug Zeit, etwas zu essen und sich ein wenig frisch zu machen, bevor sie auch schon fortfuhr. Robin erwies sich als gelehrige Schülerin und Naida als eine Lehrerin, die sehr viel besser war, als Salim es jemals hätte sein können. Schon nach wenigen Tagen bereitete es der Templerin keine Schwierigkeiten mehr, sich fließend mit der alten Sklavin zu verständigen, und noch ehe die erste Woche zu Ende war, ertappte sie sich manchmal dabei, schon auf Arabisch zu denken. Zwar beherrschte sie längst nicht alle Feinheiten dieser überaus blumigen und facettenreichen Sprache, doch konnte sie bereits ohne Mühe ihre Wünsche und Bedürfnisse artikulieren oder eine kurze Unterhaltung führen, ohne sich zu blamieren und ihren Gesprächspartner unwillentlich zum Lachen zu reizen.
Darüber hinaus aber unterwies Naida sie auch in vielerlei anderen Dingen. Sie zeigte ihr, wie man die ungewohnten Kleider richtig anlegte, auf welche Art man die fremdartigen Speisen aß und welche Gesten man in Gegenwart eines Fremden besser unterließ. Auch lehrte die Alte sie, wann es angezeigt war, den Blick zu senken, und wann sie reden durfte, ohne dazu aufgefordert zu sein. Zunächst hatte Robin nicht darüber nachgedacht - aber langsam begriff sie, dass sie keine Behandlung erfuhr wie eine Sklavin, die in weniger als zwei Wochen auf dem Markt verkauft werden sollte. Nachdem sie ihr anfängliches Misstrauen überwunden hatte und diese Behandlung nicht länger als einen grausamen Scherz empfand, indem ihr neuer Besitzer sie anschließend in noch tiefere Verzweiflung stürzen wollte, fragte sie sich, warum man ihr solche Aufmerksamkeit angedeihen ließ.
Zwar hatte sie von Salim erfahren, dass hellhäutige Frauen mit »pferdeäpfelfarbenem« Haar in den Harems so mancher Sultane seiner Heimat ganz besonders geschätzt wurden, aber das allein konnte nicht der Grund sein. Sicher, sie war gefangen. Sie durfte ihren Raum nicht verlassen, und auch wenn Naida auf ihre bärbeißige Art im Grunde freundlich zu ihr war, so ließ die alte Frau doch keinen Zweifel daran aufkommen, dass Robin ihr zu gehorchen hatte, ganz egal, was auch immer sie von ihr verlangte.
Manchmal schrie Naida sie an und einmal hatte sie Robin sogar geschlagen, als sie sich zu unbeholfen dabei angestellt hatte, ein festliches Gewand anzulegen. Davon abgesehen jedoch wurde sie behandelt wie eine Königin. Warum auch immer, der Sklavenhändler schien etwas ganz Besonderes in ihr zu sehen; eine Investition, die sich für ihn überaus lohnen musste, denn sonst hätte er sich wohl kaum solche Mühe mit ihr gegeben.
Vielleicht hätte sie sogar ganz vergessen, was sie in Wahrheit war, wären da nicht ihre regelmäßigen Besuche bei Nemeth gewesen.
Es hatte drei Tage gedauert, bis sie zum ersten Mal Gelegenheit bekam, das Versprechen einzulösen, das sie dem Fischermädchen und vor allem sich selbst gegeben hatte. Naidas Unterrichtsstunden dauerten stets bis zum Sonnenuntergang, und Robin war anschließend so müde, dass sie auf der Stelle einschlief und sogar das Nachtmahl hätte ausfallen lassen, hätte Naida es ihr gestattet. Erst am vierten Tag nach ihrer Ankunft in Hama bat sie die alte Frau, sie hinunter in den Keller zu führen, wo die anderen Sklaven untergebracht waren.