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Von dem mehr als einem Dutzend Gestalten, das sie unter sich auf dem Hof erblickte, war sicherlich ein Drittel bewaffnet und gehörte zu den Wachen, die in Omars Dienst standen, aber die anderen waren eindeutig die Sklaven, die sie am vergangenen Abend unten im Kerker gesehen hatte. Im flackernden Licht der Fackeln und aus der Höhe ihres Zimmers herab betrachtet, wirkten sie beinahe noch bemitleidenswerter und zerlumpter als am Tag zuvor. Immerhin waren sie zum ersten Mal seit einer Woche nicht in Ketten oder eingepfercht in winzige, licht- und luftlose Zellen, sondern bewegten sich frei auf dem Hof. Einige standen reglos da - den Kopf in den Nacken gelegt - und starrten vollkommen fassungslos in den sternenübersäten Himmel über sich, als hätten sie nicht geglaubt, diesen Anblick noch einmal zu erleben; die meisten aber bildeten eine lange Schlange vor dem steinernen Trog, der auf der anderen Seite des Hofes stand. Normalerweise diente er zum Tränken der Pferde und Robin bezweifelte, dass sich die Wächter die Mühe gemacht hatten, das Wasser auszutauschen. Dennoch schien diese Brühe für die Sklaven ein ungeheurer Luxus zu sein, - diejenigen, die an der Reihe waren, wuschen sich mehr als ausgiebig, und manche ließen sogar alle Scham fallen und rissen sich die besudelten Kleider gänzlich vom Leib, um sich von Kopf bis Fuß mit dem sicherlich kalten Wasser zu säubern. Robin hörte ein allgemeines Wehklagen und Seufzen, aber auch Laute der Erleichterung, ja, des Glücks, die ihr vollkommen unangemessen erschienen. Sie hatte schon wieder einen bitteren Kloß im Hals, als sie auf die gequälten Kreaturen hinabsah, die frierend und halb nackt in der Kälte standen und für die ein Trog voll schmutzigen Wassers das höchste Glück zu sein schien. Zugleich empfand sie ein Gefühl tiefer Dankbarkeit Naida gegenüber, deren Herz vielleicht doch nicht so versteinert war, wie sie gerne vorgab.

Unwillkürlich hielt sie nach Nemeth und ihrer Mutter Ausschau, aber die beiden befanden sich nicht unter den Sklaven im Hof. Überhaupt war dort höchstens ein Viertel der Gefangenen, die sie gestern Abend im Kerker gesehen hatte. Vermutlich ließ man die Sklaven in kleinen Gruppen nach oben, schon damit sie in ihrer Verzweiflung nicht etwa auf den Gedanken kamen, sich gegen ihre Folterer zu erheben und einen Fluchtversuch zu wagen.

Sie stand lange am Fenster und blickte in den Hof hinab. Zu ihrer Enttäuschung tauchte Nemeth nicht auf. Unter den Kindern, die frierend vor dem Wassertrog standen und darauf warteten, vorgelassen zu werden, fiel Robin ein vielleicht zehnjähriger Junge auf, an den sie sich flüchtig erinnerte. Sie hatte ihn nur einmal im Fischerdorf gesehen und er hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Nemeth; vermutlich war in dieser kleinen Gemeinschaft jeder mit jedem verwandt. Er war ebenso schmutzig, bot einen ebenso jämmerlichen Anblick und wirkte genauso entkräftet wie Nemeth. Obwohl er sich so eng wie möglich an seine Mutter drängte, zitterte er am ganzen Leib und schien kaum die Kraft zu haben, sich auf den Beinen zu halten. Robin war fast froh, sein Gesicht nicht deutlicher erkennen zu können.

Die Tür hinter ihr glitt auf. Robin drehte sich um und erblickte Naida, die überrascht im Schritt innehielt, als sie sah, dass Robin bereits wach war und am Fenster stand. Ihr Gesicht verfinsterte sich. Aber sie sagte nichts, sondern trat vollends ins Zimmer und schob die Tür hinter sich zu.

»Wolltest du dich überzeugen, dass ich mein Wort halte?«, fragte sie. In ihrer Stimme war eine Feindseligkeit, die Robin nicht ganz verstand. Vielleicht war am vergangenen Abend etwas vorgefallen, von dem sie nichts wusste.

»Ich habe nicht daran gezweifelt«, entgegnete Robin ruhig. »Schließlich bist du eine kluge Frau.«

Naida verzog abfällig das Gesicht und kam mit kleinen schnellen Schritten näher. Eine geraume Weile blieb sie unmittelbar neben Robin stehen und blickte schweigend auf das Treiben im Hof hinab, dann schüttelte sie den Kopf. »Was für eine Verschwendung«, murmelte sie.

Robin war nicht klar, wie diese Worte gemeint waren; ihr Gefühl warnte sie davor, eine entsprechende Frage zu stellen. Sie schwieg.

»Wenn du auf deine Freundin wartest, dann verschwendest du deine Zeit«, sagte Naida nach einer Weile. Sie trat vom Fenster zurück, sah sich kurz und suchend im Zimmer um und ging dann zu dem kleinen Tischchen neben der Tür, um die darauf stehende Öllampe zu entzünden. Die kleine, ruhig brennende gelbe Flamme erhellte kaum das Zimmer, sondern schien das graublaue Zwielicht eher noch zu betonen.

»Wie meinst du das?«, fragte Robin beunruhigt.

»Sie ist bereits wieder in ihrer Zelle«, antwortete Naida. »Sie und ihre Mutter waren die Ersten, die auf den Hof durften.«

»Warum hast du gesagt, dass ich sie nicht wieder sehen werde?«, fragte Robin.

»Sie ist ein hübsches Mädchen«, sagte Naida, ohne ihre Frage zu beantworten. »Ich kann verstehen, dass du sie ins Herz geschlossen hast. Mach dir keine Sorgen um sie. Sie ist stark. Sie wird es schaffen.«

»Du hast meine Frage noch nicht beantwortet«, beharrte Robin.

»Weil es die Wahrheit ist«, erwiderte Naida, ohne sie anzusehen. »Du wirst sie nicht wieder sehen. Und du wirst ihr auch kein Essen mehr bringen.«

»Warum nicht?«, fragte Robin. »Ein Stück Brot und einige Datteln werden deinen Herrn nicht ruinieren, oder?«

Naida drehte sich zu ihr herum und sah ihr fest in die Augen. »Du willst weiter zu ihr gehen, ihr Mut zusprechen und ihr zu essen bringen?«, fragte sie. »Wozu? Willst du Hoffnungen in ihr wecken, die sich nicht erfüllen werden? Ihr ein Stück Brot zustecken, das ihren Hunger nicht stillt, ihr aber den Hass der anderen Gefangenen einbringt?«

»Aber...«

»Ich werde auf sie achten, soweit es in meiner Macht steht«, fiel ihr Naida ins Wort. »Aber überschätze diese Macht nicht. Und überschätze dich nicht, Kind. Wenn du diesem Mädchen wirklich helfen willst, dann vergiss es.«

Robin spürte, wie sich ihre Augen erneut mit Tränen füllen wollten, diesmal waren es Tränen der Wut und des Zorns. Sie war empört über Naida und vor allem über Omar, dessen Stimme und Hand die alte Frau war, und sie haderte mit einem Schicksal, das ihr unnötig grausam und ungerecht erschien. Dabei war ihr klar, dass die alte Sklavin Recht hatte. Es gab nichts, was sie für Nemeth oder ihre Mutter tun konnte. Ganz im Gegenteiclass="underline" Wenn dem Sklavenhändler zugetragen wurde, wie viel Robin dieses Mädchen bedeutete, würde er dieses Wissen zweifellos als Druckmittel einsetzen - worunter wahrscheinlich alle Beteiligten leiden würden.

»Dann schick wenigstens nach einem Heilkundigen«, verlangte sie.

Naida riss die Augen auf und starrte sie an, als zweifelte sie an ihrem Verstand. Robin drehte sich halb herum und deutete auf das Fenster zum Hof. »Diese Menschen sind krank. Sieh dir den Jungen dort unten an. Es ist ein Wunder, dass er noch lebt. Willst du warten, bis er stirbt und sich der Gewinn deines Herrn erneut schmälert?«

Naida schüttelte den Kopf und schürzte nur verächtlich die Lippen. Sie sagte nichts, als sie mit zwei schnellen Schritten wieder neben Robin trat. Einen Moment lang blickte sie auf den Knaben hinab, der zitternd vor Schwäche gegen seine Mutter gelehnt dastand und offenbar nicht einmal mehr die Kraft hatte, alleine zu gehen. Naida schüttelte erneut den Kopf. »Er wird ohnehin sterben«, murmelte sie. »Allah hat beschlossen, den Knaben schon bald zu sich zu nehmen.« Sie maß Robin mit einem verächtlichen Blick. »Ist es nicht auch bei euch Christen Sitte, die letzte Entscheidung über Leben und Tod in Gottes Hand zu legen? Und betrachtet ihr es nicht als Sünde, sich gegen den Willen eures Gottes aufzulehnen?«