»Das. Omars Ware zu veredeln ist meine Aufgabe, nur dass ich mich nicht mit den jämmerlichen, ungewaschenen Geschöpfen dort unten herumschlagen muss.«
»Omars Ware? Ich verstehe nicht...«
Harun seufzte. Oder japste er auch nur vor Anstrengung nach Luft? fragte sich Robin. »Dafür beginne ich zu verstehen, was Naida gemeint hat«, murmelte er.
»Naida?«
»Sie wird dir doch gesagt haben, dass ich komme?« Harun blinzelte. Er klang überrascht - und ein wenig ungeduldig.
»Sie hat Euch angekündigt, ja«, antwortete Robin. »Aber...«
Harun brachte sie mit einer wedelnden Handbewegung zum Verstummen, machte zwei halbe Schritte zurück und maß sie mit einem langen, taxierenden Blick vom Scheitel bis zur Sohle. Was er sah, schien ihm zu gleichen Teilen zu gefallen, wie auch seinen Unmut zu erregen. »Allahs Wege sind manchmal wirklich sonderbar«, murmelte er.
»Wenn Ihr mich zum Islam bekehren wollt...«, begann Robin, sprach den Satz aber nicht zu Ende, als sie das spöttische Glitzern in Haruns Augen gewahrte. Wer immer dieser Mann auch war, er war gewiss kein Imam oder wie auch immer die Kirchengelehrten in diesem Teil der Welt genannt wurden.
»Oh, Ungläubige.« Harun seufzte mit einem Blick wie ein Meisterkoch, der voller Entsetzen eine hoffnungslos verunglückte Mahlzeit betrachtet, die sein schlechtester Schüler zubereitet hat. »Naida hatte Recht. Du bist wie ein ungeschliffener Edelstein, aber mir scheint, dass du noch viel mehr Kanten und Unebenheiten hast, als sie behauptet hat. Und sie war nicht wählerisch in ihren Worten.«
»Was wollt Ihr von mir?«, fragte Robin. Mittlerweile war sie zu dem Schluss gekommen, dass sie diesen Mann nicht fürchten musste - niemand auf der Welt musste das vermutlich - und in die Mischung aus Belustigung und Verwirrung, die sein Anblick in ihr auslöste, mischte sich Zorn. Wenn Naida ihr einen Hofnarren geschickt hatte, um sie aufzuheitern, dann hatte sie den denkbar schlechtesten Moment dafür gewählt.
»Ich werde aus dir ein Schmuckstück machen«, antwortete Harun. Er rollte begeistert mit den Augen und klatschte schließlich in die Hände. »Bis zu den fernen Ufern des Nils werden die Männer sich nach deiner Schönheit verzehren, wenn ich erst einmal mit dir fertig bin. Neben dir werden alle anderen Frauen aussehen wie vertrocknete Disteln neben einer frisch erblühten Rose.«
»Aha«, sagte Robin.
Harun ließ sich davon nicht irritieren. Ganz im Gegenteiclass="underline" Der Ausdruck von Enttäuschung, den Robin für einen Moment in seinen Augen gelesen hatte, war vollkommen verschwunden und machte dem einer Begeisterung Platz, die sie allmählich als beunruhigend empfand.
»Oh, du wirst mein absolutes Meisterstück«, schwärmte er. »Ich muss Allah danken und Naida Abbitte tun. Zweifellos hat sie nach mir geschickt, weil sie glaubte, ich würde an dir scheitern, dieses listige alte Weib. Aber Harun al Dhin erkennt einen Edelstem, wenn er ihn sieht - selbst wenn er sich in einem Haufen Kameldung verbirgt.«
»Oh, vielen Dank.«
Harun ging auch auf diese Bemerkung nicht ein. Robin war sich mittlerweile sicher, dass er ihr überhaupt nicht zuhörte.
»Es wird ein schweres Stück Arbeit, mein Kind, aber du bist zweifellos der Aufmerksamkeit eines Meisters wert. Wenn deine Ausbildung beendet ist, wird man dich die Blume des Abendlandes heißen, und selbst Könige und Kaiser werden ins Schwärmen geraten, wenn von dir die Rede ist.«
»Ich würde schon ins Schwärmen geraten, wenn Ihr mir endlich verraten würdet, was Ihr mich lehren wollt«, antwortete Robin.
Harun lachte. »Nun, du hast die Frage zum Teil gerade selbst beantwortet, mein Kind. Beginnen wir mit deiner Sprache.«
»Ich habe einen Sprachlehrer«, sagte Robin ärgerlich. »Naida ist sehr gut darin.«
»Die Worte einer Sprache zu können heißt nicht, sie auch zu beherrschen, mein liebes Kind«, sagte Harun liebenswürdig. »Mir scheint, dass deine Schönheit nicht unbedingt auf deine Herkunft zurückzuführen ist.« Robin wollte ihn unterbrechen, aber Harun machte eine wedelnde Handbewegung, mit der er ihr das Wort abschnitt und zugleich seine Begleiterin zu sich heranwinkte. Die Frau bewegte sich so lautlos und elegant, dass der Gegensatz zu Haruns tollpatschigen Gesten nicht krasser hätte sein können.
»Nun erzähl mir von deinen besonderen Talenten«, verlangte Harun.
»Talente?«
Haruns Lächeln wurde etwas gequält. »Ein jeder Mensch hat irgendein Talent«, antwortete er. »Die meisten wissen es nur nicht. Überlege einfach. Es muss etwas geben, was du besonders gut kannst. Etwas, für das andere dich bewundern oder gar beneiden. Was ist es?«
Robin sah den schwitzenden alten Mann nachdenklich an. Sie überlegte, was ihn wohl mehr beeindrucken würde: ihre Fähigkeit im Lanzenreiten und Schwertfechten oder ihr Geschick, eine Ente auf fünfzig Schritte mit einem Pfeil im Flug treffen zu können, und das aus dem Sattel eines galoppierenden Pferdes. Wahrscheinlich wäre diese Antwort nicht besonders klug, auch wenn sie der Wahrheit entsprach. Sie zuckte nur mit den Schultern.
Harun quittierte ihr Schweigen mit einem tiefen, enttäuschten Seufzer. »Also gut«, sagte er. »Dann geh zur Tür.«
»Wie bitte?«
»Geh einfach zur Tür«, antwortete Harun. »Nur hin - und wieder zurück, wenn es nicht zu viel Mühe bereitet.«
Robin sah ihn verblüfft an, hob abermals die Schultern und tat schließlich, was er von ihr verlangte.
Sie war noch nicht ganz bei der Tür und im Umdrehen begriffen, als Harun hinter ihr zu lamentieren begann. »Siehst du das, Aisha?«, fragte er mit schriller Stimme. »Beim Barte des Propheten! Dieses Weib watschelt mit der Eleganz eines gichtkranken Erpels, der sich Blasen unter den Schwimmhäuten gelaufen hat!«
Robin drehte sich beleidigt herum. »Was mache ich denn falsch?«
Harun verdrehte die Augen. »Aisha«, seufzte er. »Zeig dieser Tochter einer fußkranken Bäuerin, wie eine Frau geht.«
Aisha nickte gehorsam, drehte sich wortlos um und ging zur Tür und wieder zurück zum Fenster. Wobei gehen nicht das richtige Wort war. Robin hatte schon Frauen gesehen, die sich durchaus anmutig zu bewegen imstande waren, aber ihr war noch niemand begegnet, der diese einfache Bewegung so perfekt beherrschte wie die Frau in dem schwarzen Kleid. Sie ging nicht wirklich, nein, sie schien zu schweben - und das mit einer solchen Natürlichkeit und Grazie, dass Robin ein flüchtiges Gefühl von Neid empfand. Gleichzeitig jedoch erweckte dieses Gefühl in ihr Trotz.
»Siehst du, Ungläubige, so bewegt sich eine Frau«, sagte Harun. In seiner Stimme lag ein triumphierender Ton, als hätte er ihr gerade das Geheimnis verraten, mit dem man Blei in Gold verwandelte.
Robin zuckte betont beiläufig mit den Schultern. »Ich bin bis jetzt immer noch ohne zu stolpern von einem Fleck zum anderen gekommen.«
»Und du hast etwas gegen Verbesserungen?«, erkundigte sich Harun spitz.
Die Antwort, die ihr auf der Zunge lag, schluckte Robin lieber herunter. Sie hatte sich immer noch keine endgültige Meinung über Harun gebildet - vielleicht war sein albernes Äußeres ebenso wie seine sonderbare Art zu reden nichts anderes als eine Maskerade, hinter der er seine wahren Absichten verbarg. Es hatte keinen Sinn, ihn noch weiter zu verärgern, als sie es vermutlich ohnehin schon getan hatte. Wenn dieser fette Pfau sich tatsächlich einbildete, er könnte eine Dame aus ihr machen, dann würde er noch früh genug begreifen, dass er sich die Zähne ausbiss.
Harun wartete einen Moment vergeblich auf eine Antwort. Schließlich seufzte er wieder tief, drehte sich schnaubend zu seiner Begleiterin um und machte eine knappe, wedelnde Handbewegung. Daraufhin legte Aisha so geschickt den Schleier sowie das schwarze Gewand ab - als wäre es nur eine einzelne, fließende Bewegung. Darunter war sie ganz ähnlich gekleidet wie Robin - in eine weite, halb durchsichtige Hose, dazu ein Oberteil, das ihren Bauch bis dicht unter die Brüste frei ließ. Schmale goldene Fußkettchen mit winzigen Glöckchen umschmeichelten ihre Fesseln und klingelten bei jedem ihrer Schritte leise. Robin konnte ihr Gesicht noch immer nicht erkennen, denn unter dem schwarzen Schleier trug sie einen Gesichtsschmuck aus Hunderten hauchzarter Goldplättchen, die auf ein Seidentuch genäht waren, das ihr Antlitz vollständig verhüllte. Man sah lediglich ihre großen, dunklen Augen, die jetzt von einer sinnlichen Glut erfüllt waren, die in Robin abermals ein absurdes Gefühl von Neid aufsteigen ließ.