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»Zeig es ihr noch einmal, Aisha«, sagte Harun kopfschüttelnd.

Das Gefühl des Neides verstärkte sich noch, als sich die Araberin erneut bewegte. Ihr sanfter, wiegender Hüftschwung rief in Robin die Erinnerung an die viel zu seltenen und viel zu lange zurückliegenden Stunden mit Salim wach, an die einzige Zeit in ihrem Leben, in der sie wirklich glücklich gewesen war. Die Füße der Araberin schienen kaum den Boden zu berühren, und sie strahlte eine beinahe beunruhigende Sinnlichkeit aus.

»So, so«, sagte Harun herablassend. »Herumzustehen wie eine vom Sturmwind gebeugte Dattelpalme, das ist also deine natürliche Haltung, wie? Oder hast du erst üben müssen, um solch ein jämmerliches Bild abzugeben?« Er wartete vergeblich auf eine Antwort. Robin war ganz darin vertieft, Aisha anzustarren. Schließlich fügte er hinzu: »Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du genauso einherschreiten wie sie.«

Harun klatschte in die Hände, woraufhin die Tür aufgerissen wurde. Einer von Omars Kriegern trat ein - nicht Faruk, der schwarz gekleidete Riese, der normalerweise dort Wache hielt - und Harun befahl ihm mit unangebrachter Schärfe in der Stimme, einige Tonkrüge mit Wasser heraufzuschaffen.

»Wasser?« Robin sah den dunkelhäutigen Araber misstrauisch an. »Wollt Ihr mir jetzt auch noch erzählen, dass ich stinke?«

Diesmal enthielt sich Harun einer Antwort.

Robin hatte ein ungutes Gefühl. Etwas an diesem sonderbaren alten Mann, der sich alle Mühe zu geben schien, auch bestimmt von niemandem ernst genommen zu werden, erregte ihr Misstrauen. Sie konnte nicht sagen, was es war. Vielleicht war es nur die Art, wie Aisha ihn manchmal ansah, vielleicht auch eine unsichtbare Aura, die ihn umgab und sein scheinbar so harmloses Auftreten und lächerliches Äußeres Lügen zu strafen schien. Robin verzichtete darauf, ihre Frage zu wiederholen. Sie maß Harun mit einem Blick, von dem sie hoffte, dass er einigermaßen selbstbewusst und herausfordernd wirkte. Doch selbst damit entlockte sie dem Alten nur ein schwer zu deutendes Stirnrunzeln. Schließlich drehte sich Robin herum, trat wieder ans Fenster und blickte erneut in den Hof hinab.

Die Sonne war immer noch nicht ganz aufgegangen, aber in wenigen Minuten würde der Tag vollends anbrechen. Über dem Hof lag ein wunderbares goldenes Licht, wie sie es in diesem Teil der Welt schon öfter hatte bewundern können. Dennoch galt ihr Blick nicht der prächtigen Stadt, die sich entlang der Ufer des Orontes erstreckte, sondern dem kranken Jungen. Sie wusste nicht, warum, aber sie hatte mehr und mehr das Gefühl, dass sein Schicksal ganz allein in ihrer Hand lag.

Es verging einige Zeit, in der Robin stur aus dem Fenster blickte und Harun demonstrativ den Rücken zukehrte. Auch er sprach sie nicht an, sondern unterhielt sich mit gedämpfter Stimme und in einem Robin nicht geläufigen Dialekt mit seiner Begleiterin. Schließlich wurde an die Tür geklopft, und nachdem Aisha sie geöffnet hatte, betraten gleich fünf von Omars Kriegern den Raum. Jeder von ihnen trug zwei große Tonkrüge, die, wenn sie tatsächlich mit Wasser gefüllt waren, sicherlich je zwanzig Pfund wiegen mussten.

Harun gestikulierte wild mit seinen goldberingten Händen, woraufhin die Männer die Krüge in einer Reihe an der Wand neben der Tür abstellten. Robin gefielen diese Vorbereitungen nicht, zumal ihr einer der Krieger beim Hinausgehen einen Blick zuwarf, der zwischen Spott und Mitleid lag. Harun wartete, bis der letzte der Männer den Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatte, dann klatschte er in die Hände, und die schwarzhaarige Schönheit in seiner Begleitung nahm einen der Krüge auf, setzte ihn sich auf den Kopf und begann, langsam damit im Zimmer auf und ab zu schreiten. Während der ersten Schritte stützte sie den Krug noch mit einer Hand, aber schon nach wenigen Augenblicken hatte sie so weit ihre Balance gefunden, dass sie sich freihändig und nicht einmal besonders langsam bewegte, ohne dass das klobige Gefäß auf ihrem Haupt auch nur wackelte; ganz zu schweigen davon, dass sie etwas von seinem Inhalt verschüttet hätte. Robin sah ihr mit großen Augen dabei zu, blickte dann wieder Harun an und runzelte die Stirn, als sie dessen hämisches Grinsen bemerkte.

»Und?«, fragte sie.

»So bewegt sich eine Frau«, erwiderte Harun in einem ganz genau bemessenen, halb abfälligen, halb spöttischen Ton. »Leichtfüßig wie eine Gazelle und dennoch fest wie ein Felsen im Sturm.«

»Aha.«

»Auch du wirst es noch lernen, Christenmädchen«, versprach Harun. Er sah geduldig zu, wie Aisha sechs oder sieben Mal das Zimmer durchmaß, dann bedeutete er ihr mit einem wortlosen Nicken, dass es genug sei. Die dunkeläugige Araberin blieb stehen, nahm das Tongefäß vom Kopf und reichte es Robin.

Robin starrte den Krug völlig verständnislos an. Sollte das ein Witz sein?

»Worauf wartest du?«, fragte Harun. »Es ist nicht so schwer, wie es aussieht.«

Robin blickte erst ihn, dann den Wasserkrug an, aber schließlich griff sie nach dem Gefäß und hätte es um ein Haar fallen gelassen, als Aisha die Hände zurückzog und Robin feststellen musste, wie schwer der Krug war. Ihre vorsichtige Schätzung wurde von dem wirklichen Gewicht anscheinend noch übertroffen.

»Das ist nicht Euer Ernst?«, sagte sie.

»O doch«, erwiderte Harun. Er lächelte noch immer. Aber dieses Lächeln war nicht echt. In seinen Augen war etwas, das Robin einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Er wich zwei Schritte zurück, machte eine ungeduldige Handbewegung, und noch bevor Robin wirklich wusste, wie ihr geschah, trat Aisha hinter sie, nahm ihr den Krug wieder aus der Hand und setzte ihn reichlich unsanft auf ihrem Scheitel ab. Robin griff unwillkürlich nach dem Gefäß, jedoch vergeblich: Kaum hatte Aisha den Krug losgelassen, da kippte er auch schon und zerbarst mit einem gewaltigen Klirren neben ihren Füßen. Das eisige Wasser überschwemmte den Fußboden, sodass Robin erschrocken die Luft zwischen den Zähnen einsog und ein Stück zurückwich.

»Ja, so ungefähr habe ich mir das gedacht«, seufzte Harun. Er verdrehte die Augen und starrte gegen die Zimmerdecke. »Was habe ich getan, o Allah?«

Das wusste Robin nicht, aber sie wusste ziemlich genau, was sie in diesem Augenblick gern getan hätte. Verärgert besah sie sich ihre nassen Füße und dann die Überschwemmung auf dem Boden. Das Wasser war nicht nur eiskalt, der geflieste Boden war nun mit kleinen, scharfkantigen Tonscherben übersät, sodass sie aufpassen musste, wo sie hintrat, um sich nicht zu verletzen.

»Worauf wartest du?«, fragte Harun. »Versuch es erneut!«

Robin starrte missmutig die Reihe aus noch neun gefüllten Tonkrügen an. Aisha bewegte sich leichtfüßig an ihr vorbei, nahm einen weiteren Krug auf und streckte ihn auffordernd in ihre Richtung, aber Robin verschränkte nur demonstrativ die Arme vor der Brust und wich einen Schritt zurück; weiter konnte sie nicht, denn sie stand jetzt bereits mit dem Rücken an der Wand. »Fällt mir nicht ein«, beharrte sie.

Harun seufzte. »Mach es mir doch nicht so schwer, Kind«, murmelte er. »Und vor allem nicht dir.«

»Das mache ich nicht«, sagte Robin mit dem unschuldigsten Blick, den sie zustande brachte. »Ihr braucht Euch nur zurückzuziehen, so leicht ist das.«

Harun antwortete nicht; er gab Aisha einen kaum wahrnehmbaren Wink, woraufhin die junge Frau Robin grob an der Schulter packte und mit nur einer Hand den zweiten Tonkrug auf ihren Kopf platzierte. Diesmal fiel die Berührung noch unsanfter aus. Es tat wirklich weh und wieder kam Robins instinktiver Griff nach oben zu spät; der Krug kippte und prallte schmerzhaft auf ihrer Schulter auf, ehe er zu Boden fiel. Das eisige Wasser ergoss sich über ihren ganzen Körper, bevor auch das zweite Gefäß zerbarst.