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»Naida!«, hauchte Robin erschrocken. »Aber was...?«

Naidas trübe Augen flackerten. »Bist du hier, um dich an meinem Schmerz zu ergötzen?«, murmelte die Alte mit heiserer Stimme. Das Sprechen bereitete ihr sichtlich Mühe, nicht nur aufgrund ihrer Schwäche, sondern auch weil ihr Mund geschwollen und die Lippen auf der linken Seite aufgeplatzt und erst halb verschorft waren.

Robin hörte ihre Worte kaum. »Was... wer hat dir das angetan?«

Was für eine dumme Frage. Sie hatte doch gesehen, wer es gewesen war. Dennoch weigerte sie sich im ersten Moment, ihren Augen zu trauen. Sie hatte gesehen, dass Omar Naida geschlagen hatte. Ein Hieb, hart, aber doch nur mit der flachen Hand ausgeführt. Sie hatte genug solcher Schläge selbst zu spüren bekommen, um zu wissen, welchen Schaden sie anrichteten. Doch bisher war ihr nicht in den Sinn gekommen, dass ein Schlag, der sie selbst schmerzen und sie allenfalls wütend machen würde, einen Menschen in Naidas Alter und von ihrer Gebrechlichkeit durchaus umbringen konnte.

Die alte Sklavin verzog die Lippen, doch statt zu einem Lächeln geriet es ihr zu einer Grimasse. »Er hat mich bestraft«, antwortete sie. »Und er hat Recht daran getan.«

»Wie bitte?«, keuchte Robin.

»Ich habe sein Vertrauen missbraucht - wie hätte er anders handeln sollen«, murmelte Naida. Mit fast brechender Stimme fügte sie hinzu: »Aber auch ich hatte keine Wahl. Mein dummer Junge. Er ist blind für das Unheil, das du über sein Haus bringen wirst.« Sie verdrehte die Augen. Ihr Atem ging schwerer, und Robin hatte für einen Moment Angst, dass Naida gleich sterben würde. Das Gesicht der alten Frau wirkte wie aus gelbem Wachs geformt, und ihr Schweiß roch nach Krankheit und Verfall.

»Ich... ich werde dir helfen«, versprach Robin. Sie kam sich beinahe lächerlich vor bei diesen Worten. Helfen? Es gab absolut nichts, was sie für Naida tun konnte. Im Gegenteiclass="underline" Mit jedem Moment, den sie länger hier war, brachte sie auch die alte Sklavin in größere Gefahr. Ganz egal, was Omar am Morgen behauptet hatte - sie wagte sich nicht einmal vorzustellen, was er täte, wenn er Robin hier vorfinden würde. Hilflos und nur noch mit Mühe die Tränen zurückhaltend, streckte sie die Hand aus und berührte die Wange der alten Frau. Sie fühlte sich heiß und trocken an, - sie konnte mit den Fingerspitzen fühlen, wie Naidas Puls raste. »Dieses Ungeheuer«, flüsterte sie. »Er hat mir erzählt, dass er dich liebt.«

Die Sklavin öffnete die Augen und suchte Robins Blick. »Aber das tut er«, murmelte sie. »Er hatte keine Wahl, glaub mir. Er...« Sie stockte. Robin spürte, wie sie unter ihrer Berührung zusammenfuhr und zog fast erschrocken die Hand zurück. Mit einer schier unglaublichen Kraftanstrengung setzte Naida sich auf, sog mit einem qualvollen Seufzen die Luft zwischen den Zähnen ein und griff so hart nach Robins Handgelenk, dass es schmerzte.

»Der Ring!«, keuchte sie. Ihre Augen weiteten sich, als sie den Blick auf das blasse Schimmern richtete, mit dem sich das Licht auf dem schmalen Goldring an Robins Mittelfinger brach. »Er hat ihn dir zurückgebracht!«

»Ribauld von Melk ist nichts geschehen«, sagte Robin hastig. Sie verzichtete darauf hinzuzufügen, dass sie es wenigstens hoffte. Naidas Griff umspannte ihr Handgelenk noch fester, aber Robin biss tapfer die Zähne zusammen und gab weder einen Laut von sich, noch versuchte sie, ihre Hand loszureißen.

»Er ist wieder da«, stammelte Naida. »Wir sind verloren! Jetzt werden die Schatten über uns kommen! Wir alle werden sterben!«

»Was bedeutet das?«, fragte Robin. »Wovon sprichst du?«

»Allah hat seinen Segen von uns genommen«, stammelte Naida. »Die Kinder Ismaels werden über uns kommen.«

»Die Kinder Ismaels?« Behutsam nahm Robin die freie Hand, um Naidas knochige Finger von ihrem Gelenk zu lösen, während die alte Sklavin weiter wie gebannt den Ring anstarrte. »Wer sind die Kinder Ismaels?«

»Die Hashashin«, antwortete Naida. »Deine Freunde.«

Es war Robin endlich gelungen, Naidas Griff zu lösen, und kaum hatte sie es getan, da schien alle Kraft die alte Frau zu verlassen. Keuchend sank sie zurück in ihre Kissen und schloss die Augen. Ihre Brust hob und senkte sich so schnell, als wäre sie die Treppen hinaufgehastet.

»Was hat dieser Ring zu bedeuten?«, flehte Robin sie an.

»Den Tod.« Naidas Augen starrten blicklos an ihr vorbei in eine Leere, die von einem Schrecken erfüllt zu sein schien, den Robin noch nicht sehen, sehr wohl aber bereits erahnen konnte. »O Omar, spürst du denn nicht, wie der Schatten Azraels auf dich fällt? Man feilscht nicht mit dem Tod!«

Robin massierte unbewusst ihr Handgelenk. Naidas Griff war so hart gewesen, dass er ihr das Blut abgeschnürt hatte. Ihre linke Hand prickelte. Naidas Worte verwirrten sie immer mehr, aber sie konnte nicht sagen, ob etwas dran war oder ob es sich einfach nur um Fiebergerede handelte.

»Flieh«, murmelte Naida plötzlich.

»Fliehen?« Robin riss verblüfft die Augen auf. Fieberwahn oder nicht, dieser Vorschlag war so ziemlich das Letzte, was sie von Naida erwartet hätte. Ausgerechnet von Naida.

»Du musst fliehen, Kind«, murmelte Naida. »Lauf weg. Noch heute. Nur so kannst du dein Leben retten, und nur so kannst du dieses Haus retten, und die Leben aller, die darin sind. Fort von hier. Wende den Fluch von uns, den Omar auf unser aller Häupter herabgerufen hat. Die Haschisch-Anbeter werden uns töten. Wir werden alle sterben. Du musst gehen!«

»Bitte, Naida, ich verstehe nicht, was du meinst«, sagte Robin. »Was dir angetan wurde, tut mir unendlich Leid. Ich würde den Schmerz von dir nehmen, wenn ich es könnte. Aber jetzt...«

Sie hörte ein Geräusch von der Tür her, und diesmal waren es nicht Haruns Lehrstunden, die ihr zugute kamen, sondern die Reflexe der Kriegerin, zu der sie in den vergangenen beiden Jahren geworden war. Sie ließ sich blitzschnell zur Seite fallen, federte ihren Sturz mit den Fingerspitzen ab, sodass sie praktisch kein Geräusch dabei verursachte, und rollte sich in der gleichen Bewegung auf den Rücken. Praktisch im selben Moment wurde die Tür geöffnet und Omar trat ein.

Robin war kurz davor, in Panik zu geraten. Sie lag völlig deckungs- und wehrlos auf dem Boden, Omar musste sie einfach sehen. Gleich würde er einen zornigen Schrei ausstoßen und sich auf sie stürzen, um sie zu schlagen. Was er Naida für dieses neuerliche Vergehen antun würde, für das sie ebenso wenig konnte wie für das vermeintliche Verbrechen zuvor, daran wagte sie erst gar nicht zu denken.

Der Sklavenhändler blieb für einen Moment unter der Tür stehen, dann trat er vollends in den Raum, wandte sich um und schloss die Tür hinter sich!

Robin konnte gerade noch ein erleichtertes Aufatmen unterdrücken. So unglaublich es schien, Omar hatte sie nicht bemerkt. Der schwarze Umhang und der Schleier, der einen Großteil ihres Gesichtes verbarg, schützten sie. Schließlich war auch sie im ersten Moment fast blind gewesen, als sie hereingekommen war. Das Licht der Öllampe war mittlerweile noch weiter heruntergebrannt und jetzt kaum mehr als ein rötliches Glimmen am Ende des Dochtes. Sie hörte, wie Omar sich abermals herumdrehte und mit langsamen Schritten näher kam. Selbst wenn er sie nicht sah, würde er gleich auf sie treten. Als Omar noch zwei Schritte von ihr entfernt war, glitt sie so leise sie konnte in das naheliegendste Versteck: unter das Bett.

Keinen Augenblick zu früh. Omars Stiefel tauchten genau dort vor ihrem Gesicht auf, wo sie gerade noch gelegen hatte. Selbst wenn sich seine Augen nicht so schnell an die Dunkelheit gewöhnten wie ihre gerade, würde sein Gehör dafür umso schärfer sein. Robin schloss für einen Moment die Augen und konzentrierte sich darauf, flach und möglichst lautlos zu atmen.

Über ihr bewegte sich Naida unruhig in ihrem Bett. »Du... du kannst dich nicht verbergen«, stammelte sie. Robins Herz machte einen erschrockenen Sprung.

»Ruhig, Nana. Ich bin bei dir.« Omars Stimme klang weicher und zärtlicher, als Robin sie jemals gehört hatte. »Ich bin hier, keine Angst. Niemand wird dir etwas zuleide tun.« Robin hörte, wie eine Flüssigkeit von einem Gefäß in ein anderes gegossen wurde. »Ich bringe dir einen Schlaftrunk, den der Franke für dich bereitet hat. Er wird dir die Schmerzen nehmen.«